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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Oh weh

Gegen Ende der Oper, ich fie­be­re die­sem zu, lese ich auf den Über­ti­teln: Wehe! Wehe! Wehe! Damit ist eigent­lich schon alles über die­se Insze­nie­rung gesagt. Viel­leicht noch ein »Oh« davor und ein »E« weni­ger, dann haben wir es: Oh weh!

Die ukrai­ni­schen Diri­gen­ten (hier plu­ral, da geht sicher noch mehr) sind auch gut, ver­drän­gen nun die rus­si­schen; ob sie auch einen Eid auf die zen­tra­len west­li­chen Wer­te (free­dom und demo­cra­cy) able­gen müs­sen? In ande­ren Zei­ten hät­te man das, was da auf der Büh­ne abging, west­li­che Deka­denz genannt, und die guten Bür­ger hät­ten pro­te­stiert, aber da sind wir zum Glück wei­ter. Heu­te ist das schwarz­grü­nes Staats­thea­ter, im wahr­sten Sin­ne des Wortes.

»Mär­chen« – immer wird hier vor der Pre­mie­re bei der Ein­füh­rung ein Men­ge Stuss erzählt, frü­her zum Futur II, das hat man zum Glück heim­lich ent­sorgt, viel­leicht weil man gera­de an deren Abschaf­fung arbei­tet, nun wird aller­hand über Nixen und Mär­chen schwa­dro­niert. Mär­chen wür­den Mög­lich­keits­räu­me eröff­nen, Raum für Fan­ta­sie; das kann schon sein, aber nicht die­ses, das wir dann zu sehen bekom­men. Die schön­sten Mär­chen sor­gen für Gerech­tig­keit, aber natür­lich nicht in die­sem Land; des­we­gen blei­ben eben Mär­chen Mär­chen und unser demo­kra­ti­scher König Herr Kretschmann.

Eigent­lich hät­ten die in der Ankün­di­gung ange­droh­ten Drag-Performer*innen einem schon eine War­nung sein kön­nen, Par­al­lel­wel­ten gal­ten bis­her als irgend­wie abge­kop­pelt, nichts Gutes; nun ist das anders. Jedem Prot­ago­ni­sten der Oper wur­de ein bun­tes Wesen an die Sei­te oder gegen­über­ge­stellt, das nun irgend­et­was vor­stel­len soll­te: viel­leicht eine Arbeits­be­schaf­fungs­maß­nah­me für Coro­na-geschä­dig­te freie Künst­ler, wir wis­sen es nicht?! Mög­lich­keits­räu­me wur­den hier höch­stens für ande­re Kunst­for­men geschaf­fen, die in der Oper auch ihren Platz haben, mit­un­ter, hier aber weni­ger. Auch wenn in der Oper die Hand­lung sekun­där gegen­über der Musik ist, so ist sie doch nicht ganz so »frei« wie in Tra­ve­stie oder wha­te­ver. Die Oper will Dia­lek­tik, um sich ent­wickeln zu kön­nen, mit Kreuz und Que­er sehen wir deren Ver­fall ins Belie­bi­ge, Will­kür­li­che, Modi­sche. Wo frü­her Kul­tur und(!) Psy­cho­ana­ly­se zustän­dig gewe­sen wären, ist es heu­te das Staats­thea­ter mit sei­nem opern­fer­nen Publi­kum. Den aller­mei­sten hat es gefal­len; ein Sieg der schwarz­grü­nen Propaganda.

Ich erin­ne­re, dass die besten Phi­lo­so­phen dem Satz bei­pflich­te­ten: Kei­ne Eman­zi­pa­ti­on der Frau ohne die der Gesell­schaft; man könn­te das auf unter­drück­te Min­der­hei­ten aus­wei­ten. Das ist ver­ges­sen. Heu­te heißt es: kei­ne Frei­heit ohne unse­re Pan­zer und Bomben.

Inter­es­sant war der erste und lang­wei­lig­ste Akt; 2 Ebe­nen, oben die Sän­ge­rin­nen unten das per­for­ma­ti­ve Pen­dant. Wohin geht der Blick? Natür­lich schweift er zuerst umher, um alles zu erfas­sen, die bun­ten Ein­drücke auf­zu­neh­men und (ver­geb­lich) zu inter­pre­tie­ren (ver­ste­hen). Aber mit der Zeit hat man die Qual: Die Per­for­mer bewe­gen auch den Mund, aus der Fer­ne hin­te­rer Plät­ze hört man nicht, wer singt – die Sän­ge­rin oder ihr »Schat­ten«? Mein Blick blieb bei den Sän­ge­rin­nen hän­gen, weil ihr gesti­scher Aus­druck »aus­rei­chend« war, um das The­ma dar­zu­stel­len, zur Ein­füh­lung ein­zu­la­den, dazu brauch­te es kei­ne bun­ten Gewän­der, Schmin­ke und selt­sa­me Bewe­gun­gen usw. Doch das bür­ger­li­che Publi­kum, das nach der Här­te der (maso­chi­stisch hin­ge­nom­me­nen) Coro­na-Maß­nah­men nun ins (sadi­sti­sche) Gegen­teil muss, kurz: lernt die Bom­be zu lie­ben und dafür zu frie­ren, kann sich nun im Staats­thea­ter die­se fal­sche Mär­chen-Wär­me holen.

Wie geschrie­ben, wir raten ab.

Rusal­ka, Staats­oper Stutt­gart, näch­ste Auf­füh­rung 2. Juli, 19 Uhr.