Gegen Ende der Oper, ich fiebere diesem zu, lese ich auf den Übertiteln: Wehe! Wehe! Wehe! Damit ist eigentlich schon alles über diese Inszenierung gesagt. Vielleicht noch ein »Oh« davor und ein »E« weniger, dann haben wir es: Oh weh!
Die ukrainischen Dirigenten (hier plural, da geht sicher noch mehr) sind auch gut, verdrängen nun die russischen; ob sie auch einen Eid auf die zentralen westlichen Werte (freedom und democracy) ablegen müssen? In anderen Zeiten hätte man das, was da auf der Bühne abging, westliche Dekadenz genannt, und die guten Bürger hätten protestiert, aber da sind wir zum Glück weiter. Heute ist das schwarzgrünes Staatstheater, im wahrsten Sinne des Wortes.
»Märchen« – immer wird hier vor der Premiere bei der Einführung ein Menge Stuss erzählt, früher zum Futur II, das hat man zum Glück heimlich entsorgt, vielleicht weil man gerade an deren Abschaffung arbeitet, nun wird allerhand über Nixen und Märchen schwadroniert. Märchen würden Möglichkeitsräume eröffnen, Raum für Fantasie; das kann schon sein, aber nicht dieses, das wir dann zu sehen bekommen. Die schönsten Märchen sorgen für Gerechtigkeit, aber natürlich nicht in diesem Land; deswegen bleiben eben Märchen Märchen und unser demokratischer König Herr Kretschmann.
Eigentlich hätten die in der Ankündigung angedrohten Drag-Performer*innen einem schon eine Warnung sein können, Parallelwelten galten bisher als irgendwie abgekoppelt, nichts Gutes; nun ist das anders. Jedem Protagonisten der Oper wurde ein buntes Wesen an die Seite oder gegenübergestellt, das nun irgendetwas vorstellen sollte: vielleicht eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Corona-geschädigte freie Künstler, wir wissen es nicht?! Möglichkeitsräume wurden hier höchstens für andere Kunstformen geschaffen, die in der Oper auch ihren Platz haben, mitunter, hier aber weniger. Auch wenn in der Oper die Handlung sekundär gegenüber der Musik ist, so ist sie doch nicht ganz so »frei« wie in Travestie oder whatever. Die Oper will Dialektik, um sich entwickeln zu können, mit Kreuz und Queer sehen wir deren Verfall ins Beliebige, Willkürliche, Modische. Wo früher Kultur und(!) Psychoanalyse zuständig gewesen wären, ist es heute das Staatstheater mit seinem opernfernen Publikum. Den allermeisten hat es gefallen; ein Sieg der schwarzgrünen Propaganda.
Ich erinnere, dass die besten Philosophen dem Satz beipflichteten: Keine Emanzipation der Frau ohne die der Gesellschaft; man könnte das auf unterdrückte Minderheiten ausweiten. Das ist vergessen. Heute heißt es: keine Freiheit ohne unsere Panzer und Bomben.
Interessant war der erste und langweiligste Akt; 2 Ebenen, oben die Sängerinnen unten das performative Pendant. Wohin geht der Blick? Natürlich schweift er zuerst umher, um alles zu erfassen, die bunten Eindrücke aufzunehmen und (vergeblich) zu interpretieren (verstehen). Aber mit der Zeit hat man die Qual: Die Performer bewegen auch den Mund, aus der Ferne hinterer Plätze hört man nicht, wer singt – die Sängerin oder ihr »Schatten«? Mein Blick blieb bei den Sängerinnen hängen, weil ihr gestischer Ausdruck »ausreichend« war, um das Thema darzustellen, zur Einfühlung einzuladen, dazu brauchte es keine bunten Gewänder, Schminke und seltsame Bewegungen usw. Doch das bürgerliche Publikum, das nach der Härte der (masochistisch hingenommenen) Corona-Maßnahmen nun ins (sadistische) Gegenteil muss, kurz: lernt die Bombe zu lieben und dafür zu frieren, kann sich nun im Staatstheater diese falsche Märchen-Wärme holen.
Wie geschrieben, wir raten ab.
Rusalka, Staatsoper Stuttgart, nächste Aufführung 2. Juli, 19 Uhr.