»… denn unser ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit – Amen.« Dieser innige Schlusssatz eines deutschen Spitzenpolitikers mit katholisch österreichischen Wurzeln in den 1930er Jahren zeigt uns, wie nachhaltig das religiöse Bewusstsein, auch unterbewusst, die politische Praxis befruchten kann.
Im säkularen Österreich der 2. Republik ist die Trennung von Kirche und Staat ein wesentliches Element der Verfassung. Dennoch ist die Alpenrepublik mehrheitlich katholisch, vom Heiligen Land Tirol bis an die Grenzen zu den sehr geschätzten katholischen Nachbarn Slowakei und Ungarn. Nur das Rote Wien bereitet manchen Politikern ein wenig Sorgen, in der Hauptstadt wird mehrheitlich anders gebetet, wenn überhaupt. Viele der Parlamentsabgeordneten haben ihre Karriere ja als Ministranten beim sonntäglichen Hochamt begonnen, um dann als Minister angelobt zu werden. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn darf dann manch ehemaliger Ministrant – ministrabel geworden – der Republik in ihrer Gebrechlichkeit und Würde dienen.
»Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst«, so ließe sich das Nahverhältnis der Kirche zu diesen Politikern poetisch unverfänglich umschreiben. Tatsächlich nahmen manche Religionsvertreter in Österreich die Einladung des Nationalratspräsidenten zu einem Gebetsfrühstück im Parlament an. Brötchenessen, beten und singen für wohlfeile 10.000 Euro Veranstaltungskosten, »vergelts Gott«. Die Alternative, diese Veranstaltung in der »Dollfuß-Kapelle« im Bundeskanzleramt stattfinden zu lassen, wurde bisher nicht ventiliert. Nach den Corona-Bestimmungen hätten in diesem schnuckeligen Sakralraum genau 1,7 Frühstücksbeter mit Brötchen Platz gefunden, was die Kosten für die ohnehin schon hoch verschuldete Republik auf ein erträgliches Maß reduziert hätte. Kommunion hat ja auch immer etwas mit Kommunikation zu tun, das unterscheidet die Heilige Messe von den Pressekonferenzen der Regierung.
Überhaupt begibt sich der Parlamentspräsident, obzwar mit säkularem Auftrag ausgestattet, nur selten vom Himmel auf die Erde, höchstens zum Frühstück mit seinen (christlich-sozialen) Parteibrüdern und -schwestern. Er pflegt in seiner Funktion als katholischer Cellist beste Kontakte bin hinein in die höchsten Kreise der Heiligen und Seligen, zu denen auch Corona, die blutjunge, frühchristliche Märtyrerin gehört – sie hätte sich in der Regierungsriege der Seligen vielleicht ganz gut gemacht, ja, könnte als Patronin des Geldes, der Metzger und Schatzgräber wahre Wunder wirken. In ihrem Leben, vor allem aber in ihrem Tod, der nicht grippebedingt war, führte sie uns im wahrsten Sinn des Wortes die Zerrissenheit der menschlichen Existenz vor Augen. Es wird ja berichtet, dass sie von ihren Peinigern zwischen zwei Palmen am Strand buchstäblich zerrissen wurde. Wer politisch denkt, was am Mittagstisch österreichischer Parlamentarier sogar an katholischen Feiertagen der Fall sein kann, der denkt natürlich an die Zerrissenheit der Frau in unserer Gesellschaft. Eine existentielle Zerrissenheit zwischen Beruf und Familie, zwischen der Küche und dem Kinderzimmer, zwischen dem rechten und dem linken Ministranten. Hier wird die Durchdringung des Frauseins von der Entscheidungsgewalt des politisch denkenden Mannes oder gar Ministers, nicht nur in Österreich, offenkundig.
Neben der Kirche spielt bekanntlich auch die Kunst in Österreich eine herausragende Rolle – gerade in Zeiten, in denen gilt: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« Fieber und Kunst sind im kritischen Zustand unserer Gegenwart gleichermaßen ansteckend. Das kam auch in der Monarchie schon vor, in jener vordemokratischen Epoche, die bis in die Zweite Republik hinein zu wirken scheint, etwa während der Spanischen Grippe, die mehr Tote forderte als der erste Weltkrieg. Die bildenden Künstler zum Beispiel, vor allem die Maler, wurden empfindlich dezimiert, was dem katholischen Bürgertum, in dem viele Sammler zu finden sind, durchaus zu pass kam. Man stelle sich nur vor, ein Workaholic wie Schiele wäre nicht von dieser Seuche, der altvorderen Verwandten von Covid & Co dahingerafft worden. Wien wäre mit Schielebildern überschwemmt, in jedem Wiener Haushalt, in den Kinderzimmern und Sakristeien, in den Operationssälen und Parlamentstoiletten würde je mindestens eine unanständige Schiele-Zeichnung hängen. Du lieber Himmel! Das wäre fatal für den Kunstmarkt und ein Desaster für die Moral des Bildungsbürgertums, das zwischen Küche und Kinderzimmer eine eigene kleine, aber herrliche katholische Republik erschaffen hat, wo wirklich gerne gebetet wird – denn unser ist das (Öster-)Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit – Amen.
An dieser Stelle muss ich, um Missverständnisse zu vermeiden, als Wiener Korrespondent Abbitte leisten: Die katholische Kirche hat auf der »Insel der Seligen« (so nannte Papst Paul VI Österreich) viel Gutes getan und vermittelt eine Kultur der Solidarität weit über die Landesgrenzen hinaus. Genauso wie die anderen Kirchengemeinschaften, aber mit größerem Gewicht, bildet sie durch viel Engagement ein Korrektiv zur sozial-ökonomischen Kälte, die von politischen Eliten propagiert wird, zu jenen also, die eine Republik mit einem Unternehmen verwechseln, in dem diverse soziale Errungenschaften nur Störfaktoren sind. Viele Kirchenvertreter sind redlich darum bemüht, dieses menschenverachtende Gesellschaftsbild zurechtzurücken und die in ihrem fehlgeleiteten Glauben übereifrigen Politiker in die Schranken zu weisen. Mit überschaubarem Erfolg, wie wir wissen. Gottes Wege sind und bleiben eben unergründlich.