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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Öko-Influencer Louis

Kapi­tän Lou­is sitzt fast regungs­los am Bug des Kajaks und lässt sei­ne Blicke auf­merk­sam in die idyl­li­sche Umge­bung schwei­fen. Okay, er steu­ert den fahr­ba­ren Unter­satz natür­lich nicht selbst, aber sei­ne natür­li­che Auto­ri­tät las­sen gar kei­ne Zwei­fel dar­an auf­kom­men, dass er der Chef der Expe­di­ti­on ist. Der cir­ca fünf­jäh­ri­ge Maine Coo­ne-Kater Lou­is, einst ein hei­mat­lo­ser Streu­ner, dem zwei tier­lie­ben­de Frau­en Asyl gewähr­ten, lebt in einem sehr was­ser­rei­chen Teil von Ber­lin, wo er ein gro­ßes Holz­haus mit Gar­ten direkt am Was­ser bewohnt. Die genaue Adres­se des Katers im Bezirk Span­dau muss geheim blei­ben, denn auch unter sei­nen zahl­rei­chen Fans könn­te es Stal­ker geben. Das Ufer ist zum Grei­fen nahe, das Kajak hat dort ange­legt und ist immer für den mit zehn Kilo sehr statt­li­chen Kater fahr­be­reit, auch bei win­ter­li­chen Temperaturen.

Die gan­ze Akti­on ist nicht ganz sinn­frei, denn Lou­is ist Inter­net­star, hip­per gesagt: Er ist influen­cer. Sei­ne Face­book-Sei­te haben mitt­ler­wei­le über 163.100 Fol­lower abon­niert, zudem ist er Model, Mar­ken­bot­schaf­ter und Pro­dukt­te­ster. Die Men­schen, die dem Kater zuar­bei­ten dür­fen, blei­ben dabei anonym und agie­ren im Hin­ter­grund. Daher weiß man auch nicht so genau, wie es dazu kam, dass vor allem ame­ri­ka­ni­sche Fans, die wahr­schein­lich noch nicht ein­mal wis­sen, wo Bran­den­burg liegt oder wie man das buch­sta­biert, zu fana­ti­schen Lou­is-Ver­eh­rern wur­den. Sie sind jeden­falls zahl­reich ver­tre­ten und mit Begei­ste­rung vir­tu­ell mit an Bord, wenn Lou­is mal wie­der unter­wegs ist. Haben mit ihm gelit­ten, als er ein­mal aus Ver­se­hen ins Was­ser fiel und mit jugend­li­cher Fri­sche in Win­des­ei­le wie­der ans ret­ten­de Ufer sprang, sich ganz kurz schüt­tel­te und geschäf­tig davon­eil­te, als wäre nichts gewe­sen. Sie erschra­ken auch kurz, als Lou­is neu­lich abrupt ins Haus stürm­te, weil der im Gar­ten zu Besuch wei­len­den Füch­sin spon­tan der Sinn nach einer kur­zen, freund­schaft­li­chen Ver­fol­gungs­jagd stand. Auch die­se Situa­ti­on mei­ster­te Lou­is bewun­derns­wert gelas­sen. Die Füch­sin kennt er sowie­so schon län­ger und ihren jüng­sten Nach­wuchs mitt­ler­wei­le auch, der sich längst auch in Lou­is’ Gar­ten­reich hei­misch fühlt. Fakt ist, auch die­se Füch­sin und der Rest ihrer Gang kom­men dem Groß­stadt-Men­schen immer näher. Schät­zun­gen gehen davon aus, dass bis zu 10.000 Füch­se im Ber­li­ner Stadt­raum unter­wegs sind. Und sie wer­den immer drei­ster, weil sie wis­sen, dass ihnen nie­mand nach dem Leben trach­tet. Dann beset­zen sie schon mal ziem­lich frech den Lie­ge­stuhl im Gar­ten und den­ken gar nicht dar­an, ihren Platz zu räu­men, schon gar nicht für einen Kater.

Manch­mal liegt Lou­is aber auch ein­fach nur so da und ruht medi­ta­tiv in sich, wäh­rend die immer flucht­be­rei­te Füch­sin in nicht all­zu gro­ßer Ent­fer­nung her­um­lun­gert. Lou­is hin­ge­gen, der Bud­dha aller Kat­zen, sieht dann immer so aus, als kön­ne ihn nichts erschüt­tern. Oft sit­zen Kater und Fuchs fast wie bud­dies – mit einem per­fekt ein­stu­dier­ten Coro­na-Sicher­heits­ab­stand – ein­träch­tig bei­ein­an­der, als wür­den sie auf irgend­et­was war­ten. Das mag mit Lecker­lis zu tun haben, wobei Lou­is hof­fen darf, die Füch­sin jedoch nicht, denn sie zu füt­tern, ist laut Lan­des­jagd­recht verboten.

Nun ist es durch­aus berech­tigt zu fra­gen, wel­ches Ziel Lou­is mit sei­ner uner­müd­li­chen Arbeit eigent­lich ver­folgt, wel­che Visi­on er hat. Sei­ne Kajak­fahr­ten unweit von Ber­lin, viel­leicht auch schon in Bran­den­burg – die Gren­zen sind auch hier flie­ßend – könn­ten glatt als medi­ta­ti­ve Übun­gen für gestress­te Städ­ter durch­ge­hen, die dafür sicher opu­len­te Sum­men bezah­len wür­den. Aber Kater und Kom­merz pas­sen eigent­lich nicht so wirk­lich zum Öko-The­ma, und es könn­te die Gefahr bestehen, dass er zum Ame­ri­can Kitsch-Kater mutiert. Mitt­ler­wei­le kann man sein kater­li­ches Kon­ter­fei in allen mög­li­chen Posen samt necki­scher Hüte in diver­sen Designs und Rah­mun­gen käuf­lich erwer­ben, und irgend­wo auf der Welt lau­fen nun Men­schen in T-Shirts mit Ber­li­ner Fuchs­mo­tiv her­um. Um Lou­is’ Home­page zu lesen, muss man der eng­li­schen Spra­che mäch­tig sein, die Prei­se sind in Dol­lar aus­ge­wie­sen, die Ziel­grup­pe ist somit klar defi­niert. Wenn die Coro­na-Pan­de­mie irgend­wann ein­mal wirk­lich vor­bei sein soll­te, könn­te es durch­aus sein, dass sich vor allem ame­ri­ka­ni­sche Staats­bür­ger auf den lan­gen Weg nach Ber­lin machen, um die Natur zu suchen, die Lou­is täg­lich vor der Haus­tür hat. So kann er durch­aus als eine Art Ber­lin-Bot­schaf­ter durch­ge­hen, auch wenn Micha­el Mül­ler noch nicht bei ihm ange­klopft hat, um ihn auch offi­zi­ell in sei­nem Amt zu ver­ei­di­gen. Vor allem im fer­nen Ame­ri­ka erregt der inof­fi­zi­el­le Beam­te Auf­se­hen, weil die Leu­te wohl kei­ne so wirk­li­che Vor­stel­lung von Ber­lin haben und nicht glau­ben kön­nen, dass es da außer Beton noch etwas ande­res geben könn­te. Mitt­ler­wei­le spen­det der grü­ne Lou­is 1 Euro pro T-Shirt-Ver­kauf aus sei­ner aktu­el­len »Mode-Kol­lek­ti­on« an Green­peace. Der Kater ist näm­lich wild ent­schlos­sen, den Men­schen den grü­nen Weg zu wei­sen, um ihnen ein Bewusst­sein für die posi­ti­ve Wir­kung der Natur auf die Gesund­heit zu ver­mit­teln, damit sie ihren Wert und ihre Schön­heit mehr zu schät­zen ler­nen. Und er will den Men­schen mit sei­nen Expe­di­tio­nen Freu­de berei­ten und dabei Umwelt­schutz und Tier­wohl in den Vor­der­grund stel­len. Er möch­te aber auch zei­gen, dass man nicht bis an das ande­re Ende der Welt rei­sen muss, um Natur inten­siv zu erfah­ren, vor allem wenn man in Ber­lin lebt, das an Was­ser reich geseg­net ist. Und dazu braucht Lou­is kei­ne Wor­te, was sowie­so schlecht funk­tio­nie­ren wür­de, es rei­chen sei­ne Prä­senz, ein Kajak, eine Kame­ra und die Natur. Sanft glei­tet das Boot durch die ehe­ma­li­ge Auen­land­schaft, die Vögel zwit­schern fre­ne­tisch, man sieht ein Schwa­nen­paar mit Nach­wuchs am Ufer, hört das Plät­schern des Was­sers, schaut in den blau­en Him­mel und in das fri­sche Grün am Weg, das die leuch­ten­den Far­ben des gera­de unbe­weg­lich im Baum sit­zen­den Eis­vo­gels kom­plet­tiert. Fünf Minu­ten rei­chen, um als Kur­zer­ho­lung für den Betrach­ter zu die­nen, der oft tat­säch­lich von bru­ta­lem Beton umzin­gelt ist, der klau­stro­pho­bisch immer näher rückt. Und weil Lou­is das sel­ber nicht so gut kann, hat er sei­nen Men­schen dann auch in einem Crash-Kurs bei­gebracht, wie sie am besten den zahl­rei­chen Pla­stik­müll aus den Kanä­len fischen, den ande­re acht­los dort hin­ein­be­för­dert haben. Eigent­lich scha­de, dass Lou­is nicht spre­chen kann, denen wür­de er so rich­tig was erzäh­len. Und wenn das alles nicht hilft, sei­ne aus­ge­fah­re­nen Kral­len spre­chen las­sen. Obwohl er ja eigent­lich ein sanf­tes Wesen ist.