Ein Rückpfiff aus dem Weißen Haus in Washington und selbst die sonst so wortgewaltige Chefin vom Berliner AA sah keine schnelle Chance für eine beschleunigte Aufnahme der Ukraine in die Nato.
Der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Jake Sullivan, gab laut Washington Examiner vom 1. Oktober zu verstehen, dass das Verfahren in Brüssel zu einer anderen Zeit aufgegriffen werden sollte. Alle Entscheidungen zu einer Nato-Mitgliedschaft seien Sache der Beitrittskandidaten und der Mitglieder der Allianz.
Die deutsche Außenministerin legte nach. Man werde die Ukraine zwar in ihrem Recht auf Selbstverteidigung weiter unterstützen, aber habe vom ersten Tag des Kriegs an auch deutlich gemacht, dass »wir eine Verantwortung dafür haben, dass sich der Krieg nicht auf andere Länder ausweitet und die Nato nicht zum Kriegspartner wird«.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg hielt sich gleich auffällig diplomatisch zurück und verwies auf die notwendige Einstimmigkeit im Bündnis. Als Voraussetzung für einen Nato-Beitritt gilt nämlich noch (auf Dauer?), dass der Beitrittskandidat nicht in internationale Konflikte und Streitigkeiten um Grenzverläufe verwickelt sein darf.
Ex-Kanzlerin Angela Merkel gar erinnerte an Helmut Kohls diplomatische Strategie im Umgang mit Russland und mahnte an, dass eine europäische Sicherheitsarchitektur ohne Einbeziehung der Russischen Föderation undenkbar sei.
Präsident Selenskyj überprüfte als einer der vielen Kiewer Erfüllungsgehilfen der US-Nato-Connection nur einmal mehr, ob und wie eine Nato plus Kiew direkt zustande zu bringen wäre. Die Anfänge liegen 25 Jahre zurück und waren mit der Nato-Ukraine-Charta vom Juli 1997 zu Papier gebracht worden. 2014 gab die Ukraine ihre Neutralität endgültig auf. Präsident Poroschenko steuerte die Ukraine in Richtung Nato. Einer der Gründe, weshalb es 2014 wegen der Krim zum Konflikt mit Russland kam. Der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier riet zur Vernunft: »Man sollte aufpassen, dass man mit bestimmten Entscheidungen nicht noch Öl ins Feuer gießt.«
Kiew bevorzugte das Gegenteil. Mit der Änderung der Verfassung im Februar 2019 erhob die Ukraine die Mitgliedschaft in der EU und in der Nato zum Staatsziel mit Verfassungsrang. So steht jeder »Diener des Volkes« in der Pflicht, auch militärisch. Da ist es gleichgültig, ob einem Putin als Verhandlungspartner gefällt oder nicht.
In das Bild passt, was der Leiter des Kiewer Präsidialamtes, Andrij Jermak, am 22. August kundgab. Die Ukraine und ihre EU-Nachbarländer hätten zur Stärkung ihrer regionalen Zusammenarbeit die sogenannte Kiewer Initiative gegründet, wobei die Zusammenarbeit anderen Ländern offenstehe. Vor allem wolle man in Sicherheitsfragen kooperieren. Was unter dem Etikett »Nachbarländer EU« firmiert, kann ruhig als Nato II.0 made by Kiew gehandelt werden. Polen, Rumänien, die Slowakei und Ungarn sowie die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind Nato-Verbündete. Als direkte Nachbarn blieben Belarus und die Russische Föderation außen vor. Womit sich die Offerte, die Zusammenarbeit stehe anderen Ländern offen, von selbst erledigt hat.
Nach der theaterreifen Unterschrift des Kiewer Antrags unterstützten diese sieben plus Montenegro und Nordmazedonien die Aufnahme stante pede, ließen aber den Zeitpunkt offen.
Wovon träumt eigentlich Jaroslaw Kaczynski an Warschauer Kaminen? Frau Baerbock bekam vor ihrem Besuch am 3. Oktober in Polen vom Vorsitzenden der Regierungspartei PiS eine knallrote Karte. »Was jetzt geschieht, ist der Versuch, einen europäischen Staat mit Deutschland an der Spitze zu schaffen«, erklärte er tags zuvor im Ostseebad Kolobrzeg. Polen sei damit nicht einverstanden. Dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz habe er das gleichfalls gesagt.
So betrachtet wäre ein Platz Polens in der zweiten Reihe der Kiewer Initiative wirklich unangemessen. Bliebe die Dominanz und Führung im Dreierverbund mit Litauen und der Ukraine, um in Brüssel endlich an Gewicht zu gewinnen. Für die Ukraine wäre es eine ungewollte Perspektive unter alter großpolnischer Herrschaft in einem neuen Gewand.