Dem Kollegien-Assessor Major Platon Kowaljow, der sich an einem fünfundzwanzigsten März, Anfang der 1830er Jahre, in Petersburg auf merkwürdige Weise um seine Nase gebracht sah, kam dieser Umstand äußerst ungelegen. Schmerzlos im Schlaf muss es geschehen sein. Kowaljow erwachte und bemerkte das Fehlen seiner Nase aber erst beim Blick in den Spiegel, nur weil er nach einem am Abend unangenehm entsprossenen Pickel an der Nase schauen wollte, dessen Existenz ihn beunruhigte, da sah er, dass lediglich eine glatte Stelle, befühlbar, wo vor Stunden noch eine prächtige Nase aus seinem Gesichtsgelände hervorragte, wenn auch mit einem unansehnlichen Pickel bestückt. Ein teuflischer Akt. Den aufstrebenden Kollegien-Assessor aus dem Kaukasus ergriff Panik. Ohne Nase konnte er sich in der Petersburger Gesellschaft nicht sehen lassen, einem Haifischbecken der Postenjäger für den großrussischen Beamtenapparat. Die Nase, die fehlende, stand nun seiner erhofften Karriere, der Ernennung zum Vizegouverneur eines der zahllosen Departements oder zumindest zu einem dortigen Exekutor im Wege.
Ach, die Geschichte steckt voller Ungereimtheiten, das wusste der Autor und fragt selber: »Wo gäbe es keine Ungereimtheiten?«
Diese Novelle kam mir im Februar 2021 wieder in den Sinn, als Menschen auf den Straßen mit Atemschutzmasken, den verordneten weißen oder farbigen Mund-Nase-Bedeckungen herumliefen. »Die Nase«, russisch »Hoc-Nos«, aus Gogols »Petersburger Novellen«, ist eine meiner Lieblingserzählungen, die ich von Zeit zu Zeit aus dem Regal ziehe und erneut auf einen Rutsch lese. Der eitle Major Kowaljow könnte sich heute, ganz einfach mit einer FFP2 Halbmaske auf den Newskij-Prospekt unter Leute wagen, müsste nicht peinsam-verschämt sein Taschentuch vors Gesicht halten.
Aber gut, nur so viel: Platon erhält genau zwei Wochen später, am siebten April, seine Nase auf ebenso merkwürdige Weise zurück, wie er sie verloren hat. Das ist trotz aller Absurditäten geradezu zu erwarten, aber da sind schon die bösesten Passagen, der eigentlich schöne Nutzgewinn des Lesens, längst durch. Wir folgen vergnügt der rasanten Kutschfahrt ins Hochnotpeinliche.
Nicht auszudenken, der Autor hätte am Schluss der Petersburger Grand Tour dem Assessor die Nase nicht zurückerzählt, diese sogar vom Makel des Pickels befreit, der die ganze Naserei als Geschichte überhaupt ausgelöst haben mag. Der Autor kommt so aus dem schönen Irrsinn wieder heraus.
Ich habe, Kenner werden es anmahnen, Iwan noch nicht erwähnt, den Barbier und seine Frau Praskowja Ossipowna, mit denen die ganze Geschichte erst ihren Verlauf nimmt, aber doch nicht ganz auserzählt wird. Es ist zu ahnen, dass der arme Kerl maßgeblich in die Geschichte verstrickt und verwickelt ist. Davon hier nichts weiter, doch auf den vielleicht unvollständigen Namen des Mannes, Iwan Jakowlewitsch, muss ich zu sprechen kommen.
Der Name sprang mich beim ersten Lesen – im schmalen Bändchen der Piper-Bücherei mit Zeichnungen von Hans Fronius – im Oktober 1969 förmlich an. Jakolewitsch, der Name ähnelt dem meines leiblichen Vaters, den ich nur namentlich, nur vom gelegentlichen Erzählen kenne und der Jatolewitsch geheißen haben soll, Kazimierz Jatolewitsch. Der Name könne, so vermutete der Lyriker Ales Rasanau, wir sprachen darüber im Winter 2002 in Minsk, aus dem Polnischen stammen, der Gegend in Richtung Weißrussland.
Ales Rasanau gewidmet, der seine Gedichte auf schmalen Papierstreifen notiert.
Nikolai Gogol: Die Nase. Deutsch von Hans Ruoff. Piper Verlag, München 1954.
Ales Rasanau: Hannoversche Punktierungen (zweisprachig). Nachdichtung aus dem Weißrussischen ins Deutsche von Oskar Ansull und Nande Röhlmann, erschienen im Revonnah Verlag, Hannover 2002