Eine Vermutung: Mit dem Einsilber »Mut« hat sich eines der frühen Zentral-Worte unserer Sprache erhalten. Es führt zurück in die Zeit der Merseburger Zaubersprüche, die in der Bibliothek des Domkapitels von Merseburg entdeckt wurden, eine theologische Handschrift, die zwei Zaubersprüche in althochdeutscher Sprache überliefert, die in vorchristliche, germanische Mythologie verweisen. Eine Spur zu den mündlichen Texten, die im Umlauf waren, den Mären, Liedern, Zaubersprüchen und Sagen, der saga.
Das Mut-Wort findet sich abgewandelt bereits im ältesten uns überlieferten deutschsprachigen Buch, dem »Codex Abrogans«. Ein um 911 lateinisch-althochdeutsch und handschriftlich aufgezeichnetes »Glossar der Synonyme«, das in der St. Gallener Stiftsbibliothek als Abschrift – aus einer etwa ein oder zwei Jahrhunderte älteren Schrift – aufbewahrt wird und mehr als 3.600 althochdeutsche Wörter aufführt. Eine der frühesten Quellen deutscher Sprachgeschichte, die zudem die beginnende Dominanz lateinischer Schrift dokumentiert.
Der erste Eintrag in diesem Codex ist das lateinische Wort abrogans, das für das althochdeutsche dheomodi steht und so viel wie demütig/bescheiden bedeutet. Es signalisiert hier, besser: es fordert Unterordnungsbereitschaft als christliche Tugend ein. So findet sich auch das Gegenwort dazu, das eine gönnerische Haltung der Mächtigen bezeichnet, die großzügig mihilmuot erzeigen können, was etwa Großmut bedeutet.
Ich gehe im verkürzten Spurengang der Bedeutung des Wortes Mut (im Spannungsfeld zwischen modi und muot) nach, ehe auch das merkwürdige Wort »Armut« in Augenschein zu nehmen ist.
Im Indogermanischen – diesem wackeligen und weit gefassten Hilfsbegriff – findet sich ein Bündel von Wörtern, die um das Wort mo kreisen: moda, moba, mobaz, modaz. Es geht dabei um das Benennen von Willen, Streben, Zorn und eben Mut. Von dort führt die Spur zum Althochdeutschen muot, eine Verfeinerung für die schwer zu definierenden Bereiche des Empfindens und Denkens, wo Sinn und Seele ins Spiel kommen, ja, das Wort für Gemüt seinen Ursprung hat, das ein breites Spektrum der Bedeutungen entwickelte, ob es sich um den ritterlich hôhen muot handelt, der zum heutigen Hochmut mutierte, der vor dem Fall kommt, oder all die Ausdifferenzierungen zwischen Groß-, Klein- und Langmut bis zu Schwer-, Gleich-, Weh-, Wankel- und Übermut.
Ganz anders jedoch der Freimut = frîjaz (germanisch), frî (ahd.), vrîmuot (mhd.), der ein Kapitel des Begriffes Freiheit öffnet, wo diesen Mut nur haben kann, wer »freien Halses« ist, wer eben frei und kein Leibeigener ist.
Nah beieinander liegen die Begriffe »Anmut« und »Armut«, ein Buchstabe nur unterscheidet die Schreibung. Beide Worte sind in ihrer Herkunft ein wenig besser zu verstehen, wenn hier der seit dem Mittelhochdeutschen geläufige Sammelbegriff für das subtilere Verständnis des Substantivs »Mut« für muot berücksichtigt wird. In mout klingen weichere und atmosphärische Momente an, die die Gemütsanlagen, das Gemütvolle betreffen – und schließlich in der sehr deutschen Gemütlichkeit münden. In diesem Umfeld kann dann ein so schillernder Begriff wie anemuot (mhd.) für Anmut erst entstehen, der weniger Stärke, Zorn, Willen und Kraft signalisiert, als vielmehr Schönheit, Geschmeidigkeit und Grazie, und der Bedeutungen bis hin zu Mutlosigkeit und Unmut zulässt, wo alles kämpferisch und militärisch Konnotierte fehlt. Allerdings ist der anemuot im Mittelhochdeutschen maskulin, meint ursprünglich das Ankommen eines sinnlichen Verlangens oder Begehrens und wandelt sich erst später ins Femininum, zur heute verstandenen Anmut, die Benennung einer Eigenschaft, Sache oder Person. Es gibt allerdings keine wirklich gesicherte Herleitung in den Etymologien dazu, nur Annahmen.
Pouvreté prend tout en gré (Armut ist die Mutter der Demut). Das französische Sprichwort bringt die Begriffe Demut und Armut inhaltlich zusammen. Nähern wir uns dem über die althochdeutsche Schreibung für das Verb dienen an: thianon (ahd.) oder dionon, das ursprünglich für »tun« oder »helfen« steht. Es zeigt nicht eindeutig auch Abhängigkeiten an, verweist mehr auf diomuoti (ahd.) für eine Demut, die aus eigenem Antrieb tätig wird, aus einem gewissen muot heraus, der Stärke, dem Willen und Streben. Das diomioti oder dheomodi lässt sich als Bescheidenheit verstehen, könnte im Ansatz einen selbstständigen, nicht erzwungenen Akt anzeigen, im Sinne von sich bescheiden, zurückstellen, ein vernünftiges sich Gegebenheiten anpassen, unabhängig von jeglicher Dienstbarkeit.
Freiwillig geübte Demut mag als etwas Gutes angesehen und zur Tugend erhoben worden sein, nicht weit entfernt von Vorstellungen griechischer Philosophie, die unter Demut kluge Selbstbeherrschung und Sanftmut versteht.
Erst im Zuge der Christianisierung könnte Demut die fremdbestimmte Unterordnung benennen und entsprechend einfordern, sich der Gewalt zu fügen, die in Gottes Namen mehr oder weniger blutig vorging. So liegt das Verb demütigen, althochdeutsch thiomouten, jemanden erniedrigen, gleich in der Nähe.
Wenn die Mutter der Armut, wie das französische Sprichwort behauptet, die Demut ist, dann spiegelt dies einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel von gemeinsamen Lebens- und Arbeitsweisen im Übergang zu zunehmend abhängig bestimmter Arbeit. Die Herkunft des im Wort »Armut« steckenden Adjektivs arm ist ungeklärt. Es soll aufs germanische arҍma zurückgehen, was so viel wie vereinsamt, verwaist und verlassen bedeutet. Armut, im Althochdeutschen armouti oder Mittelhochdeutschen armuot(e) meint Elend, Mangel, Not. Eine Herleitung von muoti (ahd.) ist zwar naheliegend, soll aber nicht stimmen. Doch, so ist zu vermuten, dass es Kraft und (Lebens-)Mut brauchte für solche Lebenssituationen, in denen man leicht mutlos werden kann. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Armut geht wahrscheinlich von den verwaisten Kindern aus, die ohne ein Erbe dastehen, mittellos. Das liegt dann nicht fern vom gegenwärtig wenig gebräuchlichen Wort harm (ahd.) für Kummer, Leid und der Kränkung, wohingegen die heute verstandene Harmlosigkeit mit Kummer und Not scheinbar direkt nichts mehr zu schaffen hat, sich vielmehr nur ein schlichtes Gemüt dahinter verbirgt.
Literatur(auswahl) – Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin 1975; Wolfgang Pfeifer (u. a.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Akademie Verlag, Berlin 1986.