Den Spaßvogel nimmt man Thomas Böhme nicht leicht ab, obwohl er einer ist. Kein moderner allerdings, der mit selbstbestätigendem Gekicher seine Äußerungen begleitet, sondern in Gestalt des Klavierstimmers auf der »Titanic« auftritt: Als Feuchtigkeit eindringt, wird er gebraucht. So vielleicht auch der Dichter? Der »AM RAND DES ZERFALLS« steht und weiß, dass die Welt so ist: »Es gibt keine Farben mehr / die nicht zugleich Farben des Krieges sind.« Rück- und Vorausblicke auf Untergänge also? Gewiss. Und zugleich nicht. Denn in den »EINFLÜSTERUNGEN«, dem letzten Gedicht des Bandes, liest man: »Ja, du schaffst es auch ohne Gewinsel / […]. / Sieh nur, die Wolkendecke reißt auf. / Irgendwo plärrt immer eine verbeulte Posaune.«
So lässt sich Musik zum Untergang aushalten, selbst der Gedanke an dessen Unvermeidlichkeit. Denn: Es wird daraus oft Zuversicht, Freude an der Welt bezogen und auf den Leser übertragen. Böhme bleibt nicht am Zerfallsrand stehen, sondern nimmt uns mit in seine Welt. Diese ist weit, sie reicht von Gotland bis weit in den Süden, von einem Morgen in Visby in die Semana Santa in Sevilla.
Musik, Philosophie, Kunst bilden oft den geistigen Hintergrund eindringlicher Gedichte: Bach, Bruckner, Reger klingen auf; der Maler Pechstein und Nietzsche werden beschworen, auch J. Bobrowski in einem lakonischen Vierzeiler, und wenn Thomas Böhme statt »unvorstellbar für ihn« unvorstellbar für mich geschrieben hätte, dann wäre es, als stemme sich jener selbst brummig gegen das »sanglose« Verschwinden von »Namen«.
Übrigens wird Philosophie im Kapitel »ZEIT-LUPEN« auch ganz praktisch betrieben, mit Gedanken über Singularität und Entropie. Und weil das Klavier für den Tanz auf der »Titanic« da schon fast gestimmt ist, darf man sich amüsieren über das boshafte Aperçu, dass die »Zeit« drei auch namentlich genannten Popsängern »ihr barmherziges Leichenhemd übergestreift« habe. Doch eröffnet Böhme auch ganz andere Perspektiven: In einem der intensivsten Texte des Bandes, »DAS GEPÄCK MEINES VATERS«, spricht er darüber, wie ihm an einem Sommertag die Nachricht vom Tod seines Vaters überbracht wird: »Am Badestrand hätten sie ihn aus dem Wasser gezogen.« Persönliche Gegenstände sind entgegenzunehmen. Der Wohnungsschlüssel steckt in der »hinteren Tasche der noch kaum verblichenen Bluejeans«. So eindringlich lässt sich ein ganzes Leben mitteilen, ein Lebensende auch. Der überaus exakte, fast penible Wortgebrauch Böhmes ist es, der solche Energie und Bildhaftigkeit erzeugt.
Man muss den Autor bewundern für seine Fähigkeit, lyrisch zu erzählen. Etwa in dem Gedicht »NOVEMBER 1970«, wunderbar platziert in der Mitte des Buches, in dem in terzinenartigen Strophen ein Selbstporträt an einem Umzugstag entworfen wird: »Ich sitze mit kurzgeschnittenen Nägeln am Tisch«, während die Hände ziellos und die Beatles Across the Universe sind.
Die Intensität der Texte korrespondiert trefflich mit drei Holzschnitten von Felix M. Furtwängler.
Thomas Böhme: »Klavierstimmer auf der Titanic«, Gedichte, Edition Ornament im quartus Verlag Bucha, 104 Seiten, 15,90 €