Wie groß darf man das kleinere Übel machen, ohne dass es das größere wird? Laut Umfragen wählten die meisten Wähler nicht die Partei, die sie gut finden, sondern eine Partei, mit deren Hilfe sie Schlimmeres verhindern wollten. Anders kann man die Wahl der SPD auch nicht erklären. Und sie ist und bleibt das kleinere Übel. Denn das größere Übel sind die Nicht-Wähler: 24 Prozent der Wahlberechtigten haben nicht gewählt. Bezieht man den Stimmenanteil der Parteien auf alle Wahlberechtigten, so kommt die SPD als stärkste Partei nur auf 19 Prozent. Noch nie konnte jemand mit so wenig Stimmenanteil die Regierung führen in Deutschland. Deshalb werden ja die noch kleineren Parteien gebraucht, um eine Mehrheit für die Regierung zu bekommen. Und wenn Herr Lindner doch lieber mit der CDU regieren will, dann kann es doch noch kommen, dass eine Lusche, Verzeihung: ein Laschet Kanzler wird. RWE wird sich freuen.*
Überhaupt ist Wählen ja nur was für Arme. Reiche brauchen nicht zu wählen, sie kaufen sich die Parteien. 4,3 Millionen € bekam die FDP für ihren Wahlkampf von Großspendern. Nun ja, sie hatte es auch am nötigsten. Wer nur Christian Lindner zum Vorzeigen hat, der braucht exzellente Plakate, um zu wirken, und das geht nun mal ins Geld. Geld hatten auch die Grünen genug: 3,4 Millionen Euro Großspenden haben sie bekommen. Eigentlich sind die Grünen gegen Großspenden, aber das galt ja nur, solange sie keine bekamen. Und trotz des Geldsegens fiel ihnen keine gute Werbung ein. In schattiertem (Oliv-?)Grün erklärten sie sich »Bereit. Weil ihr es seid«. Das reimt sich zwar, aber einen Reim darauf konnte ich mir nicht machen. Wozu sind die Grünen bereit? »Kein schöner Land« in allen Tonlagen möglichst schräg zu singen? Oder doch eher »Atemlos durch die Nacht« nach Regierungsposten zu jagen? Die SPD scheint zwar zu wissen, dass etwas getan werden muss, sie weiß aber nicht, was. Deshalb schrieb sie auf ihre Plakate nur: »Scholz packt das an« – was immer es sein soll. »Aus Respekt für Dich« – Entschuldigung, ich möchte von Herrn Scholz nicht geduzt werden. Aber wahrscheinlich soll das »DU« bedeuten, dass die SPD noch immer oder schon wieder die Partei der kleinen Leute sein will. Ist sie auch – zumindest was die Großspenden betrifft. Schlappe 175.000 Euro an Großspenden hat die SPD bekommen.
Einer der Wahlverlierer ist die LINKE. Ich glaube nicht, dass es an ihrem Programm liegt. Aber die Wahlplakate waren der reine Hohn! Was die LINKE da alles »JETZT!« wollte! Akustisch vorgestellt hörte sich das an wie eine entnervte Erziehungsberechtigte gegenüber ihrem quengelnden Sprössling. »Ich weiß doch, was für Dich gut ist!« Das mag ja sein, aber durchsetzen kann sie es nicht! Und das wissen die Wähler nur zu gut. Immerhin haben wir es Gysi und Lötzsch zu verdanken, dass die LINKE im Bundestag in Fraktionsstärke bleiben kann. Damit kann sie – wenn sie will! – eine Opposition von links besser organisieren als außerhalb des Bundestages.
Die AfD hat eine kleine Quittung dafür bekommen, dass sie außer Pöbeleien nichts anzubieten hat. Leider haben die Pöbler immer noch eine ziemlich hohe Wähler-Quote, aber ein leichtes Schrumpfen ist besser als das bisherige Wachstum, da kann man ein wenig aufatmen. Rechnerisch wäre nun auch eine schwarz-blaue Koalition nicht mehrheitsfähig. Ich bin mir nicht sicher, ob die CDU sonst dabeigeblieben wäre, keine Nähe zur AfD zu suchen.
Eine große Koalition wäre natürlich auch noch möglich, aber sie ist unwahrscheinlich. Schließlich meinte Herr Laschet: »In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite« (Laschet auf dem CSU-Parteitag am 11.09. in Nürnberg). Und mit so einer Partei kann die CDU ja wohl nicht mehr regieren.
*) RWE kann sich überhaupt freuen: Die Kohle (27,1 Prozent) verdrängte die Windkraft (22,1 Prozent) wieder vom ersten Platz unter den eingesetzten Energieträgern, wie das Statistische Bundesamt am 13.09.21 mitteilte. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der gesamten in Deutschland erzeugten Strommenge von 258,9 Milliarden Kilowattstunden stammten nach Berechnungen der Statistiker von Januar bis Juni aus konventionellen Quellen wie Kohle, Erdgas oder Kernenergie (dpa/jW 14.09.21).