Die Chinesen gaben sich alle Mühe, auch die Sportler der Winterolympiade gaben alles, aber Sieger in der Disziplin Verunglimpfen und Verleugnen sind die westlichen Reporter, die aus Beijing berichteten. Offensichtlich gedopt, sonderten sie so viel Propaganda ab, dass es weh tat. Nun ja, seit Sotschi waren sie ja auch geübt darin. Damals konnte man den Eindruck gewinnen, dass Präsident Putin jeden russischen Sportler einzeln mit der Peitsche antrieb. Diesmal waren es die Uiguren in den fantasierten Umerziehungslagern, die durch alle Reden waberten.
Noch viel schlechter kann man einen Menschen kaum machen, als es die Medien und die Politiker des »freien Westens« seit Jahren mit dem russischen Präsidenten tun. Ob Giftanschläge oder Einmarschpläne, immer wurde mit dem Brustton der Überzeugung die Schuld und Boshaftigkeit »des Russen« – durchaus stellvertretend für das ganze Land – verkündet. Seit Tagen wurden immer neue Termine für den Beginn eines Krieges von Geheimdiensten lanciert. Jetzt macht Putin ernst. Er hat keinen Ruf mehr zu verlieren, keine möglichen oder tatsächlichen Bündnispartner. Und entlarvt dadurch seine Gegner, die offenbar tatsächlich überrascht waren, dass ihre Prophezeiungen eintreffen. »Will Putin wirklich Krieg?« titelte die BZ am Mittwoch, den 23.02. Ja, hatten genau das die Medien nicht die ganze Zeit behauptet? Aber eben – nicht geglaubt. Auch die westlichen Staatsführer, die sich in letzter Zeit in Moskau die Klinke in die Hand gaben und hinterher gewichtig von möglichen Sanktionen sprachen, waren offenbar überzeugt davon, ihre Drohkulisse könnte Putin davon abhalten, die Interessen Russlands in die eigenen Hände zu nehmen. Aber ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert, diese alte Volksweisheit ist eben auch aktuell wahr.
Und es ist ja nicht so, als hätte das westliche »Verteidigungsbündnis« keine Erfahrung darin, wie Völkerrecht gebrochen wird. In Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien und – nicht zu vergessen, aber wohl doch vielen entfallen – in Ex-Jugoslawien. Dass nun die Separatisten von damals, Kroaten und Slowenen, von Völkerrechtsbruch Russlands reden, ist wohl ein Treppenwitz. Aber der Internationale Gerichtshof in Den Haag erklärte ja am 22. Juni 2010: »Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17.02.2008 hat das allgemeine Völkerrecht nicht verletzt.« Das Selbstbestimmungsrecht der Völker stehe über der Unverletzbarkeit der Grenzen, sagt Den Haag. Aber wohl nur, wenn es nicht um Russen geht. Die bilden nämlich nur »Schurkenkantone«, wie Michael Gahler, Europaabgeordneter der CDU, am 22.02. im Deutschlandfunk die Volksrepubliken im Donbass charakterisierte. Und so kann Bundeskanzler Scholz am 24.02.22 in seiner Rede an die Bevölkerung geschichtsvergessen behaupten: »Gerade erleben wir den Beginn eines Krieges, wie wir ihn in Europa seit fast 80 Jahren nicht erlebt haben.«
Aha, ab 5.30 Uhr wird zurückgeschossen, soll das wohl heißen. Russisches Militär überschreitet die Grenzen und zieht in Donezk und Lugansk ein, die russische Luftwaffe legt die ukrainische lahm, und nicht nur die russische Bevölkerung des Donbass flieht nach Osten, sondern auch die ukrainischen Ukrainer fliehen nach Westen. Der macht sich bereit, 5 Millionen (oder auch nur 2 Millionen, ganz einig ist man sich da nicht) Ukrainer aufzunehmen, die bis dahin noch nicht zum Arbeiten in den Westen gezogen sind.
Da der Westen nicht bereit war, Russland Garantien für seine Sicherheit zu geben, wird die Ukraine nun entwaffnet, kündigt Putin an. Wer die Live-Ticker der Medien verfolgt, wird überschüttet mit Videos und nicht nachprüfbaren Augenzeugenaussagen – wo sind eigentlich die Geheimdienste, wenn man sie mal braucht? Ach ja, deren Ruf ist ja auch bereits ruiniert – sollte es jedenfalls sein, nach der Lüge von den »Massenvernichtungswaffen« des Irak. Apropos Massenvernichtungswaffen, Russland hat nach ukrainischen Angaben das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl erobert. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sagte am Donnerstagabend, Russland kontrolliere die sogenannte Sperrzone und alle Anlagen der Atomruine. Vorübergehend hatten sich dort Angehörige der ukrainischen Nationalgarde verschanzt und gedroht, das Lager für abgebrannte Brennelemente zu sprengen (jW online 25.02.22) Die Gefahren moderner Technik sind eigentlich groß genug, aber wir Menschen setzen trotzdem auf kriegerische Zerstörung, wenn es friedlich zu mühsam wird.
»Die Waffen nieder!« tönt es nun landauf, landab auf Friedensdemos und in Statements der Friedensbewegung. »Zurück an den Verhandlungstisch!« Ja, wenn dort aber niemand mehr saß? Wenn die bisherigen Friedensbeschlüsse von Minsk seit 8 Jahren von ukrainischer Seite nicht erfüllt wurden? Nicht »zurück« zu etwas, das es nicht gab, aber wohl vorwärts zu neuen Verhandlungen! Sicher kann Russland mit einer offenbar gut und lang vorbereiteten und geheim gehaltenen Aktion in die Ukraine eindringen und militärische Einrichtungen zerstören, aber was dann? Dann muss verhandelt werden – und nicht erst nach 10 bzw. 20 Jahren wie in Afghanistan.
Am Freitag, dem zweiten Tag des Krieges, gab es auch schon erste Signale für Verhandlungsbereitschaft auf beiden Seiten. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj hat die Bereitschaft signalisiert, die Ukraine als neutrales Land zu etablieren. Die russische Regierung kann sich eine Delegation mit Regierungsmitgliedern aus Verteidigungs- und Außenministerium vorstellen. Es müsse aber unbedingt über die Entmilitarisierung der Ukraine verhandelt werden (jW online 25.02.22).
Und jetzt muss erstmal ein Ort gesucht werden, der für beide akzeptabel ist. Minsk ist es nicht. Wie wäre es mit der ISS, der Internationalen Weltraumstation? Und sie dürfen erst wieder auf die Erde, wenn sie sich geeinigt haben?