Die Erkenntnis ist nicht neu: Der Mensch sollte genügend Bewegung haben. Um dem einigermaßen gerecht zu werden, unternehme ich ab und an mit meiner Frau in der Umgebung unseres Wohngebiets am Westrand unserer langjährigen Wahlheimatstadt Spaziergänge in Wald und Flur. Wir erfreuen uns – je nach Jahreszeit – an Bewuchs und Vogelgesang und begegnen ab und an auch Bekannten. Leider werden unsere Ausflüge seit längerem durch den Anblick von Müll und Unrat getrübt, den Zeitgenossen achtlos am Feldrand oder gar im Wald ablagern. Die Palette dessen, was entsorgt wird, ist groß und reicht von gewöhnlichem Hausmüll über alte Autoreifen bis hin zu defekten Elektrogeräten. Immer wieder fragen wir uns aufs Neue, warum jemand so etwas tut und damit nicht nur für einen unschönen Anblick sorgt, sondern oft auch die Umwelt gefährdet. Vieles von dem, was dort liegt, kann kostenfrei auf einem Wertstoffhof abgegeben werden. Wer sich mit seinem Müll auf den Weg in den Wald macht, könnte diesen getrost auch dorthin transportieren. Natürlich haben wir auf unseren Spaziergängen nie jemanden »auf frischer Tat« ertappt. Dennoch hat uns die Frage beschäftigt, wie wir uns verhalten würden, wenn wir auf einen solchen Sünder stoßen. Genügten ein Ansprechen und der Hinweis auf sein letztlich auch rechtswidriges Verhalten? Und wie geht der Betreffende mit dieser Situation um? Zeigt er sich einsichtig oder reagiert er aggressiv? In diesen Zeiten scheint alles möglich.
Leider muss ich seit vielen Jahren von Berufs wegen immer wieder erleben, wie auch kleine Anlässe dazu führen, dass sich Beteiligte später vor einem Richter verantworten müssen, weil sie falsch mit der Situation umgegangen sind.
Mich erinnerte die theoretische Erörterung mit meiner Frau an ein Ereignis aus meiner vorpubertären Zeit in meiner kleinen Geburtsstadt in der Nähe der Lutherstadt Wittenberg. Zusammen mit einem gleichaltrigen Schulfreund war ich mit dem Fahrrad unterwegs, und wir hatten uns vorgenommen, diesen Ferientag irgendwie zu einem interessanten werden zu lassen. Da beobachteten wir einen Mann, wie er einen größeren Sack auf dem Gepäckträger seines Fahrrades verschnürte. Instinktiv hatten wir das Gefühl, dass sich in dem Sack Müll befinden könnte, den der korpulente Mann loswerden wollte. Dieser fuhr nunmehr mit seinem Fahrrad zum Ortsausgang, um dann dort nach links abzubiegen. In angemessenem Abstand nahmen wir die »Verfolgung« auf. Nach etwa 3 km erreichte er den Waldrand und bog wiederum nach links zu einem dort gelegenen kleinen Teich ein. Hier stellte er das Rad an einen Baum, löste den Sack aus der Verschnürung, um diesen dann mit Schwung in den Teich zu werfen. Wir hatten das aus angemessener Entfernung und ohne, dass er uns bemerkte, genauestens beobachtet und waren entsetzt. Nun hatte zu Beginn der 1970er Jahre der Begriff Umweltschutz noch nicht so sehr Einzug in den Sprachgebrauch gefunden. Auf Ordnung und Sauberkeit wurde aber dennoch geachtet, und das illegale Entsorgen von Müll war auch zu dieser Zeit schon nicht gestattet. Mein Freund und ich beratschlagten auf der Rückfahrt, wie wir mit dem Erlebten umgehen. Dabei folgten wir dem Umweltsünder, der sich ebenfalls auf den Rückweg gemacht hatte. Nach einiger Zeit erreichte er den Ausgangsort seiner Fahrt, öffnete die Haustür und schob sein Fahrrad in den Flur. Als er die Tür geschlossen hatte, wagten wir uns langsam an das Haus heran. Wir stellten fest, dass nur ein Klingelschild dort angebracht war, und konnten den Namen deutlich darauf lesen. So hatten wir nicht nur die Tat beobachtet, sondern wussten auch, wer der Verursacher war und wo er wohnte. Nun hätte man alles auf sich beruhen lassen können, aber die Sache beschäftigte uns weiterhin. Die unverfrorene Vorgehensweise des Mannes berührte nicht nur unser Gerechtigkeitsgefühl, sondern ärgerte uns auch deshalb, weil der Teich seit vielen Jahren zum Baden genutzt wurde, auch von uns beiden. So entschlossen wir uns, die Sache einem Mitarbeiter des damaligen Rates der Stadt mitzuteilen. Dort sollte dann entschieden werden, wie weiter vorzugehen ist.
Für uns war damit die Sache eigentlich erledigt. Einige Wochen später wurden wir aber überraschend ins Rathaus gebeten: Der Bürgermeister wolle sich bei uns bedanken. So erhielten wir aus seinen Händen ein Dankschreiben zusammen mit einem 5-Mark-Stück.
Manchmal wünschte ich mir heute, dass der eine oder andere illegale Müllentsorger bei seinem Tun das Gefühl hat, er würde auch durch aufmerksame Kinder oder Jugendliche beobachtet.