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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mein Impftermin

Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht. Mir gehts jeden­falls so. Es fas­zi­niert mich immer wie­der, im Wald oder am Gieß­rand unse­rer Dat­sche im »Ber­li­ner Speck-gür­tel« vor einem Amei­sen­hau­fen zu ste­hen. Ich schaue gebannt auf das anschei­nend völ­lig plan­lo­se Gewim­mel, das die Emsen in der frei­en Natur voll­zie­hen. Was mich dabei nicht weni­ger erstaunt: Das eif­ri­ge Insek­ten­völk­chen hält sich bei jeder Orts­ver­än­de­rung offen­sicht­lich an die gül­ti­gen Ver­kehrs­re­geln. Da schlep­pen die rast­lo­sen Krabb­ler ihre noch unge­schlüpf­ten Nach­kom­men auf ihrem schmal­hüf­ti­gen Insek­ten­rücken rechts­sei­tig zum neu­en Ziel­punkt. Dabei hal­ten sie sich dis­zi­pli­niert an die gän­gi­gen Vor­schrif­ten, zumin­dest die deut­schen Exem­pla­re der Gat­tung. Ob ihre bri­tan­ni­schen Pen­dants links­sei­tig wie King­doms Auto­mo­bi­le das neue Ziel ansteu­ern, kann ich nicht reprä­sen­ta­tiv bele­gen. Denk­bar wäre es schon.

War­um mir die­ses Bild aus­ge­rech­net die­ser Tage vor mei­ne schrä­gen Pupil­len kam? Rich­tig. Weil ich unlängst aus coro­nä­ren Grün­den als Hoch­be­tag­ter der ersten Ein­spritz­ka­te­go­rie in der »Are­na«, dem ehe­mals mäch­tig-gewal­ti­gen Bus­de­pot in Ber­lin-Trep­tow, mein Impf­pri­vi­leg wahr­neh­men durf­te. Und der Ablauf am Stich­punkt der Ver­imp­fung war her­vor­ra­gend orga­ni­siert und einem Amei­sen­ge­wu­sel nicht unähn­lich. Mas­sen von grau­ge­tön­ten Haupt­stadt­bür­gern, von ein­fühl­sa­men Ange­hö­ri­gen gestützt oder als Pilo­ten ortho­pä­di­scher Gerät­schaf­ten unter­wegs, beweg­ten sich ziel­be­wusst durch die sani­tär umge­wid­me­ten Hal­len, und zwar voll grim­mi­ger und alters­wei­ser Entschlossenheit.

Nein, wer­te Leser, ich habe nicht die Absicht, spöt­tisch über die Ein­drücke her­zu­zie­hen, die mir die Abimp­fung an die­sem win­ter­li­chen 23. Jän­ner 2021 ver­mit­tel­te. Wie­so auch, denn es lief wie am Schnür­chen. Es voll­zog sich alles nach der For­mel 1-2-3-Coro­na, die in mei­nen Jugend­jah­ren mal den Titel eines span­nen­den Zir­kus-Fil­mes her­ge­ge­ben hat­te. Das begann bereits mit einer per­sön­li­chen schrift­li­chen Ein­la­dung der Senats­ver­wal­tung für Gesund­heit, Pfle­ge und Gleich­stel­lung (die­ser ver­ba­len Tria­de war ich vor­her noch nicht begeg­net) sowie mit der Über­sen­dung eines amt­li­chen Pake­tes von Infor­ma­tio­nen rund um den ange­körn­ten Ein­stich. Es fehl­te auch nicht der Hin­weis auf den kosten­frei­en Trans­port mei­nes Risi­ko­kör­pers per Taxi. Und sie­he! Ein sol­ches stand trotz mei­ner erfah­rungs­schwan­ge­ren Skep­sis bestell­kor­rekt vor unse­rer ver­schnei­ten Haustür.

Die Begriffs­stut­zig­keit von uns ange­jahr­ten Covid-Inter­es­sen­ten wur­de durch medi­zi­ni­sche Fach­leu­te und ehren­amt­li­che Hel­fer vor Ort mit Sach­ver­stand und Freund­lich­keit abge­fan­gen. Zivi­li­sier­tes Per­so­nal der Bun­des­wehr war bei der Betreu­ung der ein­hei­mi­schen Alters­ge­fähr­ten in der Trep­tower Are­na offen­sicht­lich sinn­vol­ler ein­ge­setzt als bei der Ver­tei­di­gung deut­scher Frei­heit am fer­nen Hin­du­kusch. Die behörd­li­chen Prä­li­mi­na­ri­en wur­den unauf­dring­lich erle­digt. Die gleich mir brav mas­kier­ten Alters­ge­fähr­ten wur­den unkom­pli­ziert zum Stich­punkt gelei­tet, sodass sich ihre seit der Pan­de­mie ver­tief­ten Sor­gen­fal­ten qua­si von selbst glätteten.

Jetzt freue ich mich auf den zwei­ten, bereits amt­lich ver­brief­ten Spritz­ter­min und zäh­le unge­dul­dig die Tage, die bis dahin noch in mei­nem Kalen­der abge­kreuzt wer­den müs­sen. Mensch gönnt sich ja sonst nichts. Mei­ne tele­fo­nisch aus­ge­tausch­ten posi­ti­ven Erfah­run­gen mit dem Impf­zen­trum »Are­na« tei­le ich übri­gens mit mei­nen gleich­alt­ri­gen Bekann­ten und Freunden.

Es kommt halt bei allen aktu­el­len Erfor­der­nis­sen auf die rich­ti­gen Maß­nah­men an, und dies nicht nur unter der Nadel. Dass sich die zustän­di­gen Behör­den und Per­so­nen bei der Ent­schei­dungs­fin­dung zur Coro­na-Pan­de­mie nicht auf hun­dert­jäh­ri­ge Erfah­run­gen bezie­hen kön­nen, wird man dabei gern hin­neh­men. Mit Viren und lebens­be­droh­li­chen Krank­hei­ten hat­te ich es in mei­nem Leben aller­dings schon mehr­mals zu tun. 1947 befie­len mich beim Schwimm­un­ter­richt Polio-Erre­ger. Ich habe es mei­nen Eltern und dem selbst­lo­sen Per­so­nal einer nicht dar­auf vor­be­rei­te­ten Iso­lier­sta­ti­on in einem Kreis­kran­ken­haus zu dan­ken, über­lebt zu haben. Es brauch­te noch Jah­re, bis die Krank­heit durch obli­ga­to­ri­sche Schluck­imp­fun­gen und not­falls durch den Ein­satz einer »Eiser­nen Lun­ge« beherrscht wer­den konnte.

Ende der 40er/​Anfang der 50er Jah­re war es dann die Tuber­ku­lo­se, die als Kriegs- und Nach­kriegs­fol­ge unzäh­li­ge Opfer dahin­raff­te und die Bür­ger zu einer drei­ma­li­gen schmerz­haf­ten Injek­ti­on in die Brust ver­pflich­te­te. Als dama­li­ger Schü­ler kann ich mich gut dar­an erin­nern, dass wir tage­lang dar­un­ter lit­ten und uns nachts im Bett kaum bewe­gen konn­ten – kein Ver­gleich mit den Nach­wir­kun­gen der gegen­wär­ti­gen Covid-Impfungen.

Um noch­mals auf den Aus­gangs­punkt zurück­zu­kom­men: Ich hät­te nie geahnt, in welch engem Zusam­men­hang Amei­sen, hoch­be­tag­te Alters­ge­fähr­ten und die Trep­tower Are­na ste­hen könn­ten. Dar­aus zu ler­nen, heißt in Pan­de­mie-Zei­ten, sie­gen zu lernen!

Den Betreu­ern aller Kate­go­rien gel­ten mei­ne Bewun­de­rung und mein ehr­li­cher Applaus, und der soll­te nicht nur vom Bal­kon erfol­gen. Mögen sie coro­nafrei und rund­her­um gesund blei­ben. Ich wün­sche allen Mit­bür­gern einen mög­lichst bal­di­gen Impf­ter­min und vor Ort trotz emsi­gen Gewim­mels einen guten Ablauf.