Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht. Mir gehts jedenfalls so. Es fasziniert mich immer wieder, im Wald oder am Gießrand unserer Datsche im »Berliner Speck-gürtel« vor einem Ameisenhaufen zu stehen. Ich schaue gebannt auf das anscheinend völlig planlose Gewimmel, das die Emsen in der freien Natur vollziehen. Was mich dabei nicht weniger erstaunt: Das eifrige Insektenvölkchen hält sich bei jeder Ortsveränderung offensichtlich an die gültigen Verkehrsregeln. Da schleppen die rastlosen Krabbler ihre noch ungeschlüpften Nachkommen auf ihrem schmalhüftigen Insektenrücken rechtsseitig zum neuen Zielpunkt. Dabei halten sie sich diszipliniert an die gängigen Vorschriften, zumindest die deutschen Exemplare der Gattung. Ob ihre britannischen Pendants linksseitig wie Kingdoms Automobile das neue Ziel ansteuern, kann ich nicht repräsentativ belegen. Denkbar wäre es schon.
Warum mir dieses Bild ausgerechnet dieser Tage vor meine schrägen Pupillen kam? Richtig. Weil ich unlängst aus coronären Gründen als Hochbetagter der ersten Einspritzkategorie in der »Arena«, dem ehemals mächtig-gewaltigen Busdepot in Berlin-Treptow, mein Impfprivileg wahrnehmen durfte. Und der Ablauf am Stichpunkt der Verimpfung war hervorragend organisiert und einem Ameisengewusel nicht unähnlich. Massen von graugetönten Hauptstadtbürgern, von einfühlsamen Angehörigen gestützt oder als Piloten orthopädischer Gerätschaften unterwegs, bewegten sich zielbewusst durch die sanitär umgewidmeten Hallen, und zwar voll grimmiger und altersweiser Entschlossenheit.
Nein, werte Leser, ich habe nicht die Absicht, spöttisch über die Eindrücke herzuziehen, die mir die Abimpfung an diesem winterlichen 23. Jänner 2021 vermittelte. Wieso auch, denn es lief wie am Schnürchen. Es vollzog sich alles nach der Formel 1-2-3-Corona, die in meinen Jugendjahren mal den Titel eines spannenden Zirkus-Filmes hergegeben hatte. Das begann bereits mit einer persönlichen schriftlichen Einladung der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung (dieser verbalen Triade war ich vorher noch nicht begegnet) sowie mit der Übersendung eines amtlichen Paketes von Informationen rund um den angekörnten Einstich. Es fehlte auch nicht der Hinweis auf den kostenfreien Transport meines Risikokörpers per Taxi. Und siehe! Ein solches stand trotz meiner erfahrungsschwangeren Skepsis bestellkorrekt vor unserer verschneiten Haustür.
Die Begriffsstutzigkeit von uns angejahrten Covid-Interessenten wurde durch medizinische Fachleute und ehrenamtliche Helfer vor Ort mit Sachverstand und Freundlichkeit abgefangen. Zivilisiertes Personal der Bundeswehr war bei der Betreuung der einheimischen Altersgefährten in der Treptower Arena offensichtlich sinnvoller eingesetzt als bei der Verteidigung deutscher Freiheit am fernen Hindukusch. Die behördlichen Präliminarien wurden unaufdringlich erledigt. Die gleich mir brav maskierten Altersgefährten wurden unkompliziert zum Stichpunkt geleitet, sodass sich ihre seit der Pandemie vertieften Sorgenfalten quasi von selbst glätteten.
Jetzt freue ich mich auf den zweiten, bereits amtlich verbrieften Spritztermin und zähle ungeduldig die Tage, die bis dahin noch in meinem Kalender abgekreuzt werden müssen. Mensch gönnt sich ja sonst nichts. Meine telefonisch ausgetauschten positiven Erfahrungen mit dem Impfzentrum »Arena« teile ich übrigens mit meinen gleichaltrigen Bekannten und Freunden.
Es kommt halt bei allen aktuellen Erfordernissen auf die richtigen Maßnahmen an, und dies nicht nur unter der Nadel. Dass sich die zuständigen Behörden und Personen bei der Entscheidungsfindung zur Corona-Pandemie nicht auf hundertjährige Erfahrungen beziehen können, wird man dabei gern hinnehmen. Mit Viren und lebensbedrohlichen Krankheiten hatte ich es in meinem Leben allerdings schon mehrmals zu tun. 1947 befielen mich beim Schwimmunterricht Polio-Erreger. Ich habe es meinen Eltern und dem selbstlosen Personal einer nicht darauf vorbereiteten Isolierstation in einem Kreiskrankenhaus zu danken, überlebt zu haben. Es brauchte noch Jahre, bis die Krankheit durch obligatorische Schluckimpfungen und notfalls durch den Einsatz einer »Eisernen Lunge« beherrscht werden konnte.
Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre war es dann die Tuberkulose, die als Kriegs- und Nachkriegsfolge unzählige Opfer dahinraffte und die Bürger zu einer dreimaligen schmerzhaften Injektion in die Brust verpflichtete. Als damaliger Schüler kann ich mich gut daran erinnern, dass wir tagelang darunter litten und uns nachts im Bett kaum bewegen konnten – kein Vergleich mit den Nachwirkungen der gegenwärtigen Covid-Impfungen.
Um nochmals auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Ich hätte nie geahnt, in welch engem Zusammenhang Ameisen, hochbetagte Altersgefährten und die Treptower Arena stehen könnten. Daraus zu lernen, heißt in Pandemie-Zeiten, siegen zu lernen!
Den Betreuern aller Kategorien gelten meine Bewunderung und mein ehrlicher Applaus, und der sollte nicht nur vom Balkon erfolgen. Mögen sie coronafrei und rundherum gesund bleiben. Ich wünsche allen Mitbürgern einen möglichst baldigen Impftermin und vor Ort trotz emsigen Gewimmels einen guten Ablauf.