Die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel ist ein in der deutschen Erinnerungslandschaft ganz besonderer Ort. Nach dem niedersächsischen Gedenkstättengesetz und nach ihrer Entstehungsgeschichte ist sie eine Gedenkstätte zu dem Spezialbereich »nationalsozialistische Justiz«. Dementsprechend hat sie die Aufgabe, sich wissenschaftlich mit der NS-Justiz zu beschäftigen und die Öffentlichkeit über die Untaten der NS-Juristen aufzuklären. Natürlich auch darüber, wie in den ersten Jahrzehnten nach 1945 sogar schwerstbelastete Juristen ihre Karrieren fortsetzen konnten, gerade auch in Niedersachsen.
Die Aufsicht über die Wolfenbütteler Gedenkstätte liegt pro forma bei der »Stiftung niedersächsische Gedenkstätten«, praktisch – jedenfalls bei Grundsatzentscheidungen – beim niedersächsischen Kultusministerium.
Nachdem man sich jahrelang überhaupt nicht für die Gedenkstätte interessiert hatte, hat Kultusminister Grant Hendrik Tonne angesichts zunehmender Kritik sich entschlossen, den komplexen Gegenstand NS-Justiz aus dem Aufgabenbereich der Gedenkstätte herauszunehmen. Die Gedenkstätte sollte sich nicht mehr damit befassen. Auf keinen Fall dürfe man Kontakt mit Experten zur NS-Justiz aufnehmen. Auch nicht mit dem Gründer der Gedenkstätte Helmut Kramer, dem Autor dieser Zeilen. Der wurde nun geradezu zu einer Unperson.
Natürlich konnte es auf Dauer nicht bei dem Stillstand der Gedenkstätte bleiben, sondern mussten die jahrelang in der niedersächsischen Presse angekündigten »hochfliegenden« Pläne eines Stiftungsgeschäftsführers (Habbo Knoch) endlich in die Tat umgesetzt werden. Das geschah durch die Errichtung eines viele Millionen Euro teuren Neubaus und einer in dem Neubau untergebrachten Ausstellung.
Voraussetzung für die Inhaltsentleerung der Gedenkstätte war die Beseitigung einer fachkundigen Kontrolle. Überwacht wurde die Gedenkstättenarbeit durch eine speziell eingerichtete Unterkommission der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Das war die »Kleine Kommission« (KK), die mit einigen renommierten, zur Rechtsgeschichte ausgewiesenen Professoren und dem Gründer der Gedenkstätte, Helmut Kramer, besetzt war. Eines Tages wurde die Existenz dieser Kommission einfach bestritten, obgleich sie oft getagt hatte und ihr Vorhandensein vielfach dokumentarisch belegt ist.
Um die vermeintliche Lücke auszufüllen, gründete man eine neue Kommission, nach dem bekannten Spruch: »Wenn man nicht mehr weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis«.
Um der rechtswidrigen Sache einen seriösen Anstrich zu geben, nannte man die neue Institution »Internationale Expertenkommission für die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel«. Natürlich braucht eine solche Kommission Mitglieder. Und auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit fanden sich auch bald genügend an einem Prestigegewinn interessierte Leute. Niemand davon hatte sich jemals mit der NS-Diktatur beschäftigt. Ohnehin war die Mitgliedschaft mit wenig Arbeit verbunden. Öffentlich belegt sind wohl nur zwei Sitzungen in den Jahren 2010 und 2011. Schon bei der ersten Sitzung der IEK war die Hälfte der Mitglieder nicht erschienen (vgl. Ossietzky Nr. 12/2012, »Wie Geschichte gehandelt wird«). Trotzdem wurde auf dieser Sitzung unter dem Vorsitz von Dr. Thomas Henne als Vorgabe für die neue Wolfenbütteler Ausstellung beschlossen: »Der (nationalsozialistische) Strafvollzug war ein Vernichtungsstrafvollzug«. Dahinter stand die irrige Vorstellung, als Teil (pars pro toto) sei es im Strafvollzug ebenso grausam wie im Gesamtsystem der NS-Diktatur zugegangen, nicht anders als in den Konzentrationslagern. Möglich war dieser Irrtum, weil man die von Ernst Fraenkel nachgewiesene komplexe Struktur des NS-Staats als Doppelstaat nicht kannte: Zum »Normenstaat«, wo alles wie früher bleiben sollte, gehörte der Strafvollzug. Warum: Wie es hier zuging, war für die Bürger einsehbar. Denn nach der Entlassung erzählten die Delinquenten von ihren Erlebnissen. Eine Schweigeverpflichtung brauchten sie nicht zu unterschreiben – ganz anders als entlassene KZ-Gefangene. Mit dieser Vorentscheidung hatte man von vornherein den Gegenstand der neuen Ausstellung in die falsche Richtung gelenkt.
Nirgendwo sind in der Ausstellung die Vernichtung oder die Misshandlung von Gefangenen belegt. Doch war hier der Wunsch eines Horrorgemäldes der Vater des Gedankens.
Unbekannt ist, ob die IEK danach noch einmal getagt hat. Termine werden nicht genannt. Es gibt auch keine öffentlichen Sitzungsprotokolle. Wenn überhaupt, hat man die Zustimmung zu dem Konzept und dem Inhalt der im November 2019 eröffneten neuen Ausstellung nur formal (bestenfalls im sog. Umlaufverfahren) eingeholt.