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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Mehr als eine Provinzposse

Die Gedenk­stät­te in der JVA Wol­fen­büt­tel ist ein in der deut­schen Erin­ne­rungs­land­schaft ganz beson­de­rer Ort. Nach dem nie­der­säch­si­schen Gedenk­stät­ten­ge­setz und nach ihrer Ent­ste­hungs­ge­schich­te ist sie eine Gedenk­stät­te zu dem Spe­zi­al­be­reich »natio­nal­so­zia­li­sti­sche Justiz«. Dem­entspre­chend hat sie die Auf­ga­be, sich wis­sen­schaft­lich mit der NS-Justiz zu beschäf­ti­gen und die Öffent­lich­keit über die Unta­ten der NS-Juri­sten auf­zu­klä­ren. Natür­lich auch dar­über, wie in den ersten Jahr­zehn­ten nach 1945 sogar schwerst­be­la­ste­te Juri­sten ihre Kar­rie­ren fort­set­zen konn­ten, gera­de auch in Niedersachsen.

Die Auf­sicht über die Wol­fen­büt­te­ler Gedenk­stät­te liegt pro for­ma bei der »Stif­tung nie­der­säch­si­sche Gedenk­stät­ten«, prak­tisch – jeden­falls bei Grund­satz­ent­schei­dun­gen – beim nie­der­säch­si­schen Kultusministerium.

Nach­dem man sich jah­re­lang über­haupt nicht für die Gedenk­stät­te inter­es­siert hat­te, hat Kul­tus­mi­ni­ster Grant Hen­drik Ton­ne ange­sichts zuneh­men­der Kri­tik sich ent­schlos­sen, den kom­ple­xen Gegen­stand NS-Justiz aus dem Auf­ga­ben­be­reich der Gedenk­stät­te her­aus­zu­neh­men. Die Gedenk­stät­te soll­te sich nicht mehr damit befas­sen. Auf kei­nen Fall dür­fe man Kon­takt mit Exper­ten zur NS-Justiz auf­neh­men. Auch nicht mit dem Grün­der der Gedenk­stät­te Hel­mut Kra­mer, dem Autor die­ser Zei­len. Der wur­de nun gera­de­zu zu einer Unperson.

Natür­lich konn­te es auf Dau­er nicht bei dem Still­stand der Gedenk­stät­te blei­ben, son­dern muss­ten die jah­re­lang in der nie­der­säch­si­schen Pres­se ange­kün­dig­ten »hoch­flie­gen­den« Plä­ne eines Stif­tungs­ge­schäfts­füh­rers (Hab­bo Knoch) end­lich in die Tat umge­setzt wer­den. Das geschah durch die Errich­tung eines vie­le Mil­lio­nen Euro teu­ren Neu­baus und einer in dem Neu­bau unter­ge­brach­ten Ausstellung.

Vor­aus­set­zung für die Inhalts­ent­lee­rung der Gedenk­stät­te war die Besei­ti­gung einer fach­kun­di­gen Kon­trol­le. Über­wacht wur­de die Gedenk­stät­ten­ar­beit durch eine spe­zi­ell ein­ge­rich­te­te Unter­kom­mis­si­on der Stif­tung nie­der­säch­si­sche Gedenk­stät­ten. Das war die »Klei­ne Kom­mis­si­on« (KK), die mit eini­gen renom­mier­ten, zur Rechts­ge­schich­te aus­ge­wie­se­nen Pro­fes­so­ren und dem Grün­der der Gedenk­stät­te, Hel­mut Kra­mer, besetzt war. Eines Tages wur­de die Exi­stenz die­ser Kom­mis­si­on ein­fach bestrit­ten, obgleich sie oft getagt hat­te und ihr Vor­han­den­sein viel­fach doku­men­ta­risch belegt ist.

Um die ver­meint­li­che Lücke aus­zu­fül­len, grün­de­te man eine neue Kom­mis­si­on, nach dem bekann­ten Spruch: »Wenn man nicht mehr wei­ter­weiß, grün­det man einen Arbeitskreis«.

Um der rechts­wid­ri­gen Sache einen seriö­sen Anstrich zu geben, nann­te man die neue Insti­tu­ti­on »Inter­na­tio­na­le Exper­ten­kom­mis­si­on für die Gedenk­stät­te in der JVA Wol­fen­büt­tel«. Natür­lich braucht eine sol­che Kom­mis­si­on Mit­glie­der. Und auf dem Jahr­markt der Eitel­keit fan­den sich auch bald genü­gend an einem Pre­sti­ge­ge­winn inter­es­sier­te Leu­te. Nie­mand davon hat­te sich jemals mit der NS-Dik­ta­tur beschäf­tigt. Ohne­hin war die Mit­glied­schaft mit wenig Arbeit ver­bun­den. Öffent­lich belegt sind wohl nur zwei Sit­zun­gen in den Jah­ren 2010 und 2011. Schon bei der ersten Sit­zung der IEK war die Hälf­te der Mit­glie­der nicht erschie­nen (vgl. Ossietzky Nr. 12/​2012, »Wie Geschich­te gehan­delt wird«). Trotz­dem wur­de auf die­ser Sit­zung unter dem Vor­sitz von Dr. Tho­mas Hen­ne als Vor­ga­be für die neue Wol­fen­büt­te­ler Aus­stel­lung beschlos­sen: »Der (natio­nal­so­zia­li­sti­sche) Straf­voll­zug war ein Ver­nich­tungs­straf­voll­zug«. Dahin­ter stand die irri­ge Vor­stel­lung, als Teil (pars pro toto) sei es im Straf­voll­zug eben­so grau­sam wie im Gesamt­sy­stem der NS-Dik­ta­tur zuge­gan­gen, nicht anders als in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern. Mög­lich war die­ser Irr­tum, weil man die von Ernst Fraen­kel nach­ge­wie­se­ne kom­ple­xe Struk­tur des NS-Staats als Dop­pel­staat nicht kann­te: Zum »Nor­men­staat«, wo alles wie frü­her blei­ben soll­te, gehör­te der Straf­voll­zug. War­um: Wie es hier zuging, war für die Bür­ger ein­seh­bar. Denn nach der Ent­las­sung erzähl­ten die Delin­quen­ten von ihren Erleb­nis­sen. Eine Schwei­ge­ver­pflich­tung brauch­ten sie nicht zu unter­schrei­ben – ganz anders als ent­las­se­ne KZ-Gefan­ge­ne. Mit die­ser Vor­ent­schei­dung hat­te man von vorn­her­ein den Gegen­stand der neu­en Aus­stel­lung in die fal­sche Rich­tung gelenkt.

Nir­gend­wo sind in der Aus­stel­lung die Ver­nich­tung oder die Miss­hand­lung von Gefan­ge­nen belegt. Doch war hier der Wunsch eines Hor­ror­ge­mäl­des der Vater des Gedankens.

Unbe­kannt ist, ob die IEK danach noch ein­mal getagt hat. Ter­mi­ne wer­den nicht genannt. Es gibt auch kei­ne öffent­li­chen Sit­zungs­pro­to­kol­le. Wenn über­haupt, hat man die Zustim­mung zu dem Kon­zept und dem Inhalt der im Novem­ber 2019 eröff­ne­ten neu­en Aus­stel­lung nur for­mal (besten­falls im sog. Umlauf­ver­fah­ren) eingeholt.