Für den sorbischen Maler Jan Buck, der mehr als vier Jahrzehnte als freischaffender Künstler in Bautzen arbeitete, waren die freie Natur und das Atelier seine Welt: Hier gab es das Gleichgewicht, in dem er seine Bilder produzieren konnte, die Trost, Zuflucht, Ausgewogenheit, aber auch viel Nachdenklichkeit auslösen. Trotz der Zurückgezogenheit und Konzentration, in der er lebte, war ihm alles Provinzielle, Heimattümelnde fremd. Gegen jede Kunstdoktrin in der Vergangenheit, aber auch gegen jede Vermarktung seit den 1990er Jahren hat sich der Nestor der sorbischen Malerei, der 2019 im 96. Lebensjahr starb, zu behaupten gewusst. Er war ein weltläufiger Maler, der fest im Grund der klassischen Moderne wurzelt.
Zu seinem 100. Jubiläum hat ihm das Sorbische Museum in Bautzen eine von der Museumsdirektorin Christina Bogusz einfühlsam kuratierte Werkschau aus sechs Jahrzehnten ausgerichtet, die ausgewählte Kapitel aus dessen Schaffen darbietet. Gezeigt werden Landschaften der Lausitz, der näheren und weiteren Ferne, Figurenbilder, Stillleben und freie Kompositionen. Seine baugebundene Kunst aus den Endsechziger Jahren bis zum Jahrhundertende und darüber hinaus (Wandgestaltungen, Mosaiken, Glasfenster, Keramikbilder, Sgraffiti, Denkmäler) werden im Video gezeigt. Die Gemälde und Arbeiten auf Papier (Aquarell, Tempera, Tusche) kultivieren das Sehen, machen das Bild zum reinen Objekt des Anschauens, verwandeln das Sichtbare der Welt in die Sichtbarkeit des Bildes. Sie öffnen das Auge für das Spiel von Raum und Fläche, Licht und Farbe, Ding und Form, Chaos und Ordnung, Materie und Atmosphäre. Jedes Chaos kann in eine Ordnung, und umgekehrt können komplexe Ordnungen in Chaos umschlagen. Das Gegenständliche findet Brücken in die Erinnerung und eigene Erfahrung, identifizierbare Formen zu eigenen Empfindungen. Und zugleich fügt der Künstler dem Bekannten Unbekanntes hinzu und führt so den Betrachter unversehens in seine geistige Provinz, wo Spiel und Traum die Wirklichkeit verdrängt haben und uns von Zerrissenheit und Unruhe befreien.
Osternacht in der Lausitz (1973): Schwarz gekleidete Frauengestalten mit ihren weißen Kopf- und Schultertüchern begegnen sich in einer dichten und doch fragilen Ordnung, die durch die innere Dynamik des von Häusern umgebenden Raumes ergänzt wird. Der durch das Weiß-Blau akzentuierten Kühle der Nacht wird durch das angedeutete warme Rot der Dächer ein Kontrapunkt gesetzt. Die Kraft und Sicherheit der Komposition verleihen dem Werk Zusammenhalt und Stabilität. Ja, eine Ergriffenheit stellt sich ein angesichts der magischen Prozession in dieser Osternacht, in der sich die Fantasie des Betrachters verlieren kann. Dann wieder hat Buck die Gestalt seiner Mutter in würdevoll festlicher sorbischer Tracht und passiver Sitzposition – ihren Blick hat sie in die Ferne gerichtet – ins Bild gesetzt (Meine Mutter, 1973), aber die pulsierenden pastosen Farbflächen in Gelb-Grün lassen nicht den Eindruck von Alter und körperlicher Gebrechlichkeit aufkommen. Der Besuch (1978) zeigt zwei Frauen in altmeisterlichem Ambiente. Das eindringende Licht versetzt den Raum und die in Gedanken versunkenen Figuren in eine geheimnisvolle Aura. Badende (1983): Die hellen Körper der ungezwungen sich bewegenden jungen Frauen sind im Sinne von Cézanne in einer durch dunkle Schatten akzentuierten Landschaftsformation – vom ins Violett gehenden Blau des Himmels über das Ockergelb des Bodens bis zum dunklen Grün der Blätter – zu einer spannungsvollen Einheit verschmolzen.
Es waren seine Tuschzeichnungen, die ihn in den 1970er Jahren aus der bisher stilllebenhaften Strenge und Unverrückbarkeit der Bildelemente gelöst haben (Im Hafen, 1970; Die Woge, 1978). Im dichten Farb- und Form-Gewoge seiner Tempera-Arbeiten und Aquarelle entdecken wir Licht, Raum, Weite, unter den gedämpften Tönen, hinter den verhaltenen Valeurs andere Schichten von Farbe. Hellere, hauchdünn, leuchtend, ungebrochen, sie strahlen verborgen herauf aus der Tiefe (Steilküste bei Ahrenshoop. 1989, Aquarell; Spreewald, 1999, Tempera).
Seine Stillleben sind ganz gewöhnliche Gegenstände, Becher, Schalen, Flaschen, Vasen, Gläser, Töpfe, auch Äpfel, Birnen und Melonen. Sie haben aber eine Qualität, die aller großen Stilllebenmalerei eigen ist, nämlich die einfachen Gegenstände des täglichen Lebens mit einer Bedeutung aufzuladen, mit einer Art Resonanz, die sie im täglichen Leben normalerweise nicht haben. Ein geradezu klassisch benennbares Form- und Farbgefühl lässt in einer sensiblen Monochromie, aber auch farbiger Ausgewogenheit den Raum- und Maßwert verschieden geformter Gegenstände gruppierend zusammenklingen. Kontrolle war für Buck stets das Wesentliche, denn er wollte eine Art Hierarchie seiner Empfindungen fixieren, die Nuancen des Gefühls beherrschen und ganz präzise ausdrücken. Getreu nach dem Motiv schuf Buck seine Landschaften, wie er exakt nach dem Arrangement der Dinge im Atelier seine Stillleben malte. Darum kehren in den Landschaften wie in den Stillleben immer die gleichen Motive wieder: Unverrückbare Bildelemente, Bildzeichen, die das Gelände markieren und definieren. Doch welcher Reichtum, wie viel an Verwandlung zeigt sich dem Blick auf die Landschaft, die Lausitzer Tagebaulandschaft, den Grubensee, die Industrielandschaft, die Spreewald-Landschaft, das Fensterbild, die Steilküste bei Ahrenshoop, das bulgarische Smoljan, die Landschaft mit gelber Sonne, die Schneereste und Wasserstreifen, die Gewitterlandschaft.
Seine »Flächigen Kompositionen« (1999) muten wie hochgeklappte konstruktive Architekturlandschaften an, das »Rosa Stillleben« (2000) baut Gefäße zwar figurativ auf, mutiert dann auch wieder zur Kulissenlandschaft, während die »Komposition mit rotem Streifen« (1999) ebenso ein Hafenbild, ein Interieur, ein Stillleben oder eine abstrakte Farbstudie sein könnte. Formen, deren der Künstler scheinbar wie unbeabsichtigt habbar geworden ist. In solchen Situationen kann es geschehen, dass Farbe, Licht und Bewegung Bäume und Mauern zum Sprechen bringen, dass die Sonne auf kreisender Fläche eine metallische Klangstruktur erzeugt, dass in dem tiefen Generalbass einer Grubenlandschaft lavaähnliche Furchen eine Melodie eingraben. In verschiedenem Licht, im wechselnden Wetter, in den sich wandelnden Jahreszeiten entdeckte das Auge des Malers Bilder um Bilder, die Dauer verlangen.
»Das Credo meiner Arbeit ist die Lausitz mit all ihren Zwischentönen«, so hat Jan Buck gesagt. Malerei muss künstlich sein, nicht das Leben nachahmen. Andererseits muss sie in dem verwurzelt sein, was der Maler um sich herum sieht. Und daraus erklärt sich dann auch, warum Buck nie ganz »abstrakt« wurde. In manchen späten Bildern scheint er am Rande der Abstraktion zu stehen, sich aber wieder zurückzuziehen, weil er eine verpflichtende Bindung an die Welt seiner Wahrnehmung erkannte.
Zwischen den Strichen einer Zeichnung, den Farbflächen eines Bildes bricht das ganze Licht herein. Die Ausgewogenheit zweier Gefäße enthält alle nur denkbare Harmonie. Die Dinge ruhen ernst in sich. Die Figuren stehen in gesammelter Konzentration. Eine Welt aus wenig Dingen und Figuren und doch reich an Verwandlungen und Variationen. Die Bilder Jan Bucks fordern uns auf, innezuhalten, stille zu werden, hinzuhören, hinzusehen. In dem dichten Farb- und Form-Gewoge seiner Aquarelle entdecken wir dann Licht, Raum, Weite, unter den gedämpften Tönen, hinter den verhaltenen Valeurs seiner Tafeln andere Schichten von Farbe. Hellere, hauchdünn, leuchtend, ungebrochen, sie strahlen verborgen herauf aus der Tiefe.
Diese Bautzener Werkschau wird dann in den nächsten zwei Jahren als Wanderausstellung über Cottbus, Senftenberg und Eisenhüttenstadt nach Zielona Gora und Wroclaw gehen. Von Polen hatte der junge Sorbe Jan Buck 1949 ein Stipendium erhalten und sein Kunststudium in Wroclaw war für ihn prägend geworden.
Alles ist Landschaft. Der sorbische Maler Jan Buck. Sorbisches Museum Bautzen, bis 26.2.2023. Katalog (Sandstein Verlag Dresden, in nieder- und obersorbischer sowie in deutscher und polnischer Sprache), 38 €.