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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Meditative Bildwelten

Für den sor­bi­schen Maler Jan Buck, der mehr als vier Jahr­zehn­te als frei­schaf­fen­der Künst­ler in Baut­zen arbei­te­te, waren die freie Natur und das Ate­lier sei­ne Welt: Hier gab es das Gleich­ge­wicht, in dem er sei­ne Bil­der pro­du­zie­ren konn­te, die Trost, Zuflucht, Aus­ge­wo­gen­heit, aber auch viel Nach­denk­lich­keit aus­lö­sen. Trotz der Zurück­ge­zo­gen­heit und Kon­zen­tra­ti­on, in der er leb­te, war ihm alles Pro­vin­zi­el­le, Hei­mat­tü­meln­de fremd. Gegen jede Kunst­dok­trin in der Ver­gan­gen­heit, aber auch gegen jede Ver­mark­tung seit den 1990er Jah­ren hat sich der Nestor der sor­bi­schen Male­rei, der 2019 im 96. Lebens­jahr starb, zu behaup­ten gewusst. Er war ein welt­läu­fi­ger Maler, der fest im Grund der klas­si­schen Moder­ne wurzelt.

Zu sei­nem 100. Jubi­lä­um hat ihm das Sor­bi­sche Muse­um in Baut­zen eine von der Muse­ums­di­rek­to­rin Chri­sti­na Bogusz ein­fühl­sam kura­tier­te Werk­schau aus sechs Jahr­zehn­ten aus­ge­rich­tet, die aus­ge­wähl­te Kapi­tel aus des­sen Schaf­fen dar­bie­tet. Gezeigt wer­den Land­schaf­ten der Lau­sitz, der nähe­ren und wei­te­ren Fer­ne, Figu­ren­bil­der, Still­le­ben und freie Kom­po­si­tio­nen. Sei­ne bau­ge­bun­de­ne Kunst aus den End­sech­zi­ger Jah­ren bis zum Jahr­hun­dert­ende und dar­über hin­aus (Wand­ge­stal­tun­gen, Mosai­ken, Glas­fen­ster, Kera­mik­bil­der, Sgraf­fi­ti, Denk­mä­ler) wer­den im Video gezeigt. Die Gemäl­de und Arbei­ten auf Papier (Aqua­rell, Tem­pe­ra, Tusche) kul­ti­vie­ren das Sehen, machen das Bild zum rei­nen Objekt des Anschau­ens, ver­wan­deln das Sicht­ba­re der Welt in die Sicht­bar­keit des Bil­des. Sie öff­nen das Auge für das Spiel von Raum und Flä­che, Licht und Far­be, Ding und Form, Cha­os und Ord­nung, Mate­rie und Atmo­sphä­re. Jedes Cha­os kann in eine Ord­nung, und umge­kehrt kön­nen kom­ple­xe Ord­nun­gen in Cha­os umschla­gen. Das Gegen­ständ­li­che fin­det Brücken in die Erin­ne­rung und eige­ne Erfah­rung, iden­ti­fi­zier­ba­re For­men zu eige­nen Emp­fin­dun­gen. Und zugleich fügt der Künst­ler dem Bekann­ten Unbe­kann­tes hin­zu und führt so den Betrach­ter unver­se­hens in sei­ne gei­sti­ge Pro­vinz, wo Spiel und Traum die Wirk­lich­keit ver­drängt haben und uns von Zer­ris­sen­heit und Unru­he befreien.

Oster­nacht in der Lau­sitz (1973): Schwarz geklei­de­te Frau­en­ge­stal­ten mit ihren wei­ßen Kopf- und Schul­ter­tü­chern begeg­nen sich in einer dich­ten und doch fra­gi­len Ord­nung, die durch die inne­re Dyna­mik des von Häu­sern umge­ben­den Rau­mes ergänzt wird. Der durch das Weiß-Blau akzen­tu­ier­ten Küh­le der Nacht wird durch das ange­deu­te­te war­me Rot der Dächer ein Kon­tra­punkt gesetzt. Die Kraft und Sicher­heit der Kom­po­si­ti­on ver­lei­hen dem Werk Zusam­men­halt und Sta­bi­li­tät. Ja, eine Ergrif­fen­heit stellt sich ein ange­sichts der magi­schen Pro­zes­si­on in die­ser Oster­nacht, in der sich die Fan­ta­sie des Betrach­ters ver­lie­ren kann. Dann wie­der hat Buck die Gestalt sei­ner Mut­ter in wür­de­voll fest­li­cher sor­bi­scher Tracht und pas­si­ver Sitz­po­si­ti­on – ihren Blick hat sie in die Fer­ne gerich­tet – ins Bild gesetzt (Mei­ne Mut­ter, 1973), aber die pul­sie­ren­den pasto­sen Farb­flä­chen in Gelb-Grün las­sen nicht den Ein­druck von Alter und kör­per­li­cher Gebrech­lich­keit auf­kom­men. Der Besuch (1978) zeigt zwei Frau­en in alt­mei­ster­li­chem Ambi­en­te. Das ein­drin­gen­de Licht ver­setzt den Raum und die in Gedan­ken ver­sun­ke­nen Figu­ren in eine geheim­nis­vol­le Aura. Baden­de (1983): Die hel­len Kör­per der unge­zwun­gen sich bewe­gen­den jun­gen Frau­en sind im Sin­ne von Cézan­ne in einer durch dunk­le Schat­ten akzen­tu­ier­ten Land­schafts­for­ma­ti­on – vom ins Vio­lett gehen­den Blau des Him­mels über das Ocker­gelb des Bodens bis zum dunk­len Grün der Blät­ter – zu einer span­nungs­vol­len Ein­heit verschmolzen.

Es waren sei­ne Tusch­zeich­nun­gen, die ihn in den 1970er Jah­ren aus der bis­her still­le­ben­haf­ten Stren­ge und Unver­rück­bar­keit der Bild­ele­men­te gelöst haben (Im Hafen, 1970; Die Woge, 1978). Im dich­ten Farb- und Form-Gewo­ge sei­ner Tem­pe­ra-Arbei­ten und Aqua­rel­le ent­decken wir Licht, Raum, Wei­te, unter den gedämpf­ten Tönen, hin­ter den ver­hal­te­nen Valeurs ande­re Schich­ten von Far­be. Hel­le­re, hauch­dünn, leuch­tend, unge­bro­chen, sie strah­len ver­bor­gen her­auf aus der Tie­fe (Steil­kü­ste bei Ahren­shoop. 1989, Aqua­rell; Spree­wald, 1999, Tempera).

Sei­ne Still­le­ben sind ganz gewöhn­li­che Gegen­stän­de, Becher, Scha­len, Fla­schen, Vasen, Glä­ser, Töp­fe, auch Äpfel, Bir­nen und Melo­nen. Sie haben aber eine Qua­li­tät, die aller gro­ßen Still­leben­ma­le­rei eigen ist, näm­lich die ein­fa­chen Gegen­stän­de des täg­li­chen Lebens mit einer Bedeu­tung auf­zu­la­den, mit einer Art Reso­nanz, die sie im täg­li­chen Leben nor­ma­ler­wei­se nicht haben. Ein gera­de­zu klas­sisch benenn­ba­res Form- und Farb­ge­fühl lässt in einer sen­si­blen Mono­chro­mie, aber auch far­bi­ger Aus­ge­wo­gen­heit den Raum- und Maß­wert ver­schie­den geform­ter Gegen­stän­de grup­pie­rend zusam­men­klin­gen. Kon­trol­le war für Buck stets das Wesent­li­che, denn er woll­te eine Art Hier­ar­chie sei­ner Emp­fin­dun­gen fixie­ren, die Nuan­cen des Gefühls beherr­schen und ganz prä­zi­se aus­drücken. Getreu nach dem Motiv schuf Buck sei­ne Land­schaf­ten, wie er exakt nach dem Arran­ge­ment der Din­ge im Ate­lier sei­ne Still­le­ben mal­te. Dar­um keh­ren in den Land­schaf­ten wie in den Still­le­ben immer die glei­chen Moti­ve wie­der: Unver­rück­ba­re Bild­ele­men­te, Bild­zei­chen, die das Gelän­de mar­kie­ren und defi­nie­ren. Doch wel­cher Reich­tum, wie viel an Ver­wand­lung zeigt sich dem Blick auf die Land­schaft, die Lau­sit­zer Tage­bau­land­schaft, den Gru­ben­see, die Indu­strie­land­schaft, die Spree­wald-Land­schaft, das Fen­ster­bild, die Steil­kü­ste bei Ahren­shoop, das bul­ga­ri­sche Smol­jan, die Land­schaft mit gel­ber Son­ne, die Schnee­re­ste und Was­ser­strei­fen, die Gewitterlandschaft.

Sei­ne »Flä­chi­gen Kom­po­si­tio­nen« (1999) muten wie hoch­ge­klapp­te kon­struk­ti­ve Archi­tek­tur­land­schaf­ten an, das »Rosa Still­le­ben« (2000) baut Gefä­ße zwar figu­ra­tiv auf, mutiert dann auch wie­der zur Kulis­sen­land­schaft, wäh­rend die »Kom­po­si­ti­on mit rotem Strei­fen« (1999) eben­so ein Hafen­bild, ein Inte­ri­eur, ein Still­le­ben oder eine abstrak­te Farb­stu­die sein könn­te. For­men, deren der Künst­ler schein­bar wie unbe­ab­sich­tigt hab­bar gewor­den ist. In sol­chen Situa­tio­nen kann es gesche­hen, dass Far­be, Licht und Bewe­gung Bäu­me und Mau­ern zum Spre­chen brin­gen, dass die Son­ne auf krei­sen­der Flä­che eine metal­li­sche Klang­struk­tur erzeugt, dass in dem tie­fen Gene­ral­bass einer Gru­ben­land­schaft lava­ähn­li­che Fur­chen eine Melo­die ein­gra­ben. In ver­schie­de­nem Licht, im wech­seln­den Wet­ter, in den sich wan­deln­den Jah­res­zei­ten ent­deck­te das Auge des Malers Bil­der um Bil­der, die Dau­er verlangen.

»Das Cre­do mei­ner Arbeit ist die Lau­sitz mit all ihren Zwi­schen­tö­nen«, so hat Jan Buck gesagt. Male­rei muss künst­lich sein, nicht das Leben nach­ah­men. Ande­rer­seits muss sie in dem ver­wur­zelt sein, was der Maler um sich her­um sieht. Und dar­aus erklärt sich dann auch, war­um Buck nie ganz »abstrakt« wur­de. In man­chen spä­ten Bil­dern scheint er am Ran­de der Abstrak­ti­on zu ste­hen, sich aber wie­der zurück­zu­zie­hen, weil er eine ver­pflich­ten­de Bin­dung an die Welt sei­ner Wahr­neh­mung erkannte.

Zwi­schen den Stri­chen einer Zeich­nung, den Farb­flä­chen eines Bil­des bricht das gan­ze Licht her­ein. Die Aus­ge­wo­gen­heit zwei­er Gefä­ße ent­hält alle nur denk­ba­re Har­mo­nie. Die Din­ge ruhen ernst in sich. Die Figu­ren ste­hen in gesam­mel­ter Kon­zen­tra­ti­on. Eine Welt aus wenig Din­gen und Figu­ren und doch reich an Ver­wand­lun­gen und Varia­tio­nen. Die Bil­der Jan Bucks for­dern uns auf, inne­zu­hal­ten, stil­le zu wer­den, hin­zu­hö­ren, hin­zu­se­hen. In dem dich­ten Farb- und Form-Gewo­ge sei­ner Aqua­rel­le ent­decken wir dann Licht, Raum, Wei­te, unter den gedämpf­ten Tönen, hin­ter den ver­hal­te­nen Valeurs sei­ner Tafeln ande­re Schich­ten von Far­be. Hel­le­re, hauch­dünn, leuch­tend, unge­bro­chen, sie strah­len ver­bor­gen her­auf aus der Tiefe.

Die­se Bautz­e­ner Werk­schau wird dann in den näch­sten zwei Jah­ren als Wan­der­aus­stel­lung über Cott­bus, Senf­ten­berg und Eisen­hüt­ten­stadt nach Zie­lo­na Gora und Wro­claw gehen. Von Polen hat­te der jun­ge Sor­be Jan Buck 1949 ein Sti­pen­di­um erhal­ten und sein Kunst­stu­di­um in Wro­claw war für ihn prä­gend geworden.

Alles ist Land­schaft. Der sor­bi­sche Maler Jan Buck. Sor­bi­sches Muse­um Baut­zen, bis 26.2.2023. Kata­log (Sand­stein Ver­lag Dres­den, in  nie­der- und ober­sor­bi­scher sowie in deut­scher und pol­ni­scher Spra­che), 38 €.