Abba ist zurück. Nach über vierzig Jahren sind Benny, Björn, Agneta und Meryl Streep (oder Anni-Frid?) endlich wieder vereint – und kein bisschen gealtert. Die neuen Singles klingen genauso wie jeder andere Hit der vier Schweden: eingängig, klar, leicht unterkühlt. Und Abba sieht auch noch exakt so aus, wie die Band uns damals verlassen hat. Als Hologramme stehen sie in den neuen Clips vor der Kamera und ab dem kommenden Frühjahr auch auf der Bühne.
Damit die große Show auch wirklich perfekt läuft, wird in London eigens eine neue Konzerthalle gebaut. Dort ist dann von freitags bis montags Abba nonstop live zu sehen, jeweils um 13 und 18 Uhr. Für schlappe 320 Euro – wer mag, darf gern ein Vielfaches mehr zahlen – kann der Charme der Siebziger vom Stehplatz aus noch einmal erlebt werden. Wie »Super Trouper« ist das denn!
Einige Nostalgiker könnten nun einwenden, dass Abba durch sein Comeback das Geheimnisvolle verliert. Es war ja auch zu schön: Agneta, die zurückgezogen auf einer Insel vor Stockholm an die falschen Männer gerät. Benny (oder war es Björn?), der sich wegen Demenz nicht mehr an den Sieg beim Eurovision Song Contest erinnern kann. Meryl Streep, die schon wieder mit Pierce Brosnan »Mamma Mia« singt. Solche kleinen Tragödien waren das Einzige, was man über lange, lange Jahre von Abba gehört hatte. Jetzt stehen die vier Popstars lächelnd im grellen Blitzlichtgewitter und zeigen bei gemeinsamen Fototerminen durch demonstratives Händeschütteln, dass sie, die privat zeitweilig so eine Art gemischtes Doppel bildeten, inzwischen über ihre Scheidungen hinweggekommen sind. Und plötzlich sind aus vier Phantomen der Musikgeschichte einfach nur vier Mitt-Siebziger geworden, die etwas kreuzlahm über das Podium gehen. Abba ist deutlich kleiner geworden.
Nein, Abba ist deutlich größer geworden! Zuletzt erregte die Band noch durch Meldungen wie diese Aufmerksamkeit, dass Björn (oder war es Benny?) nicht mehr als viermal pro Woche Sex haben kann, rein körperlich. Nun ist ABBA raus aus der Cosmopolitan-Schmuddelecke und zurück im Album-Guide vom Rolling Stone. Es gibt eine neue Platte mit dem vieldeutigen Titel »Voyage«. Sie bezieht sich sprachlich auf den Vorgänger »Voulez-vous« (1979) und inhaltlich auf »Arrival« (1976). Wer daraus etwas ableiten möchte, ist selber schuld, denn die einzelnen Lieder sind einfach nur zusammengestellte Abfallprodukte von irgendwelchen Projekten aus den vergangenen Jahren. Für gute Kritiken reicht es allemal, denn niemand hat erwartet, dass Abba mit der Zeit geht. Und es ist ja schon fast eine Kunst, über so viele Jahrzehnte immer denselben Pop abzuliefern, der in beliebiger Reihenfolge ein klanglich absolut übergangsloses Medley ergeben könnte.
Was oft übersehen wird: Im Hintergrund schlägt das Imperium zurück. Düster sah es noch zu Beginn der Achtziger aus, als Abba mit Öl und Ostblock-Devisen dealte. Irgendwo zwischen Steuerrückzahlungen und Aktiengeschäften gingen Millionen verloren. Es wurde still um den Mischkonzern Abba.
Die Wiedergeburt geschah 1992 mit dem »ABBA Gold«-Album, das sich 30 Millionen Mal verkaufte. Abba war mit einem Mal der Disko-Epoche entwachsen und überzeitlich geworden. Es folgten Cover-Versionen, die nicht einmal Cher versieben konnte, Musical und Verfilmungen. Letztere machten ABBA in den USA bekannter, als es die Band in ihrer aktiven Zeit gewesen war. Das roch regelrecht nach dem ganz großen Geld. Vor allem Benny und Björn arbeiteten am Comeback mit immer neuen Andeutungen in Interviews und kolportierten Beinah-Zusammentreffen aller Bandmitglieder.
Und jetzt ist es endlich so weit: Im Gegensatz zu anderen Superstars wie Michael Jackson und Whitney Houston hat es Abba nicht nötig, für ein Comeback tatsächlich auf Ochsentour durch die Konzertsäle der Welt zu ziehen. Vom Merchandise um Elvis hat man sich die Idee mit den Hologrammen abgeguckt. Auf der Bühne spielt eine Band live, die vier eigentlichen Stars werden als Avatare dazugebeamt.
Heißt für die gealterte Band: Ein altersgerechtes Leben ohne große körperliche Anstrengungen ist nach wie vor möglich. Heißt für die Fans: Alles ist genauso bunt wie früher. Sogar Agnetas »schönster Po Europas« sieht ganz unverändert aus. Heißt für die Musikbranche: Lohndrückerei. Denn normale Megastars zuckeln noch mit ihrem Tross durch die Länder, sie spielen für gewöhnlich an zwei Abenden, dann brauchen sie eine Pause. Und weiter geht’s. Cher und aktuell auch Elton John kennen das von ihren Abschiedstourneen. Abba hingegen hat einmalige Kosten für die eigene Arena, dann läuft die Show per Knopfdruck und nach Stechuhr vom Band. Zwei Konzerte täglich, vier Tage in Folge. Eine riesige Gelddruckmaschine. Benni (oder war es Björn?) hat gerade sein drittes Mal Sex in der Woche, während er gleichzeitig in London am Klavier sitzt. Agneta verliebt sich in Stockholm wieder mal in ihren Chauffeur oder Bodyguard – und trällert zur gleichen Zeit »Gimme! Gimme! Gimme!« auf der Bühne. Dass die Konzerte mit Playback laufen, scheint noch nicht jeder kapiert zu haben. Und so verdient sich Abba einen weiteren Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde: für die teuerste Kinovorstellung aller Zeiten.