Die inzwischen 83-jährige promovierte Juristin Inga Markovits studierte einst Jura an der Freien Universität Berlin. Nach Aufenthalten im europäischen Ausland war sie unter anderem im Auswärtigen Amt in Bonn und an der westdeutschen Botschaft in Tel Aviv tätig. Seit 1976 lehrte sie an der University of Texas at Austin – School of Law, seit 1979 als Professorin bis zur Emeritierung 2018.
Bereits 1993 erschien von ihr ein »Tagebuch zum Ende der DDR-Justiz« unter dem Titel »Die Abwicklung« und 2006 »Gerechtigkeit in Lüritz – eine ostdeutsche Rechtsgeschichte«.
Ihr neuestes Buch heißt »Diener zweier Herren – DDR-Juristen zwischen Recht und Macht«. Schon zu Beginn entschuldigt sich die Autorin für ihr politisches Vokabular mit den Worten: »Dies ist ein Buch einer Auslandsdeutschen über innerdeutsche Rechtsgeschichte.« Trotzdem verfällt auch sie bereits im Vorwort der sattsam bekannten These von den »beiden Diktaturen«, auch wenn sie das nicht ausdrücklich so formuliert. Neben anderen Berufsgruppen hält sie Juristen für »ideologieanfällig«. Sie macht das unter anderem daran fest, dass sie eine besondere Nähe zum Staat gehabt und durch ihre Arbeit dessen Politik unterstützt hätten. Die DDR war in ihren Augen kein Rechtsstaat, und das Misstrauen gegenüber den Juristen sei nach der Wende groß gewesen. Der Begriff »Unrechtsstaat« sei noch immer eine politische Vokabel, die gern benutzt werde. Aber auch sie muss erkennen, dass eine Gegenüberstellung zwischen der DDR und dem faschistischen Staat nicht tragfähig ist. Dabei sind ihre Gründe erkennbar ganz andere als unsere zu Recht wütenden Argumente gegen einen völlig absurden Vergleich. Ganz offensichtlich reizte es Markovits aber, die Dinge näher zu untersuchen, und sie hat sich dabei auf die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) fokussiert, um herauszufinden, »wie sehr sich HUB-Juristen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) anpassten«. In der Summe der von ihr dazu gesichteten Unterlagen will sie eine Art »Tagebuch des Partei- und des Regierungsalltags in der DDR« erkennen. Dabei bleibt auch ihr nicht verborgen, dass die Wissenschaftler der HUB »an der Gesetzgebungsarbeit des Ministeriums der Justiz beteiligt« gewesen sind. In dieser Tatsache einen Makel zu sehen, erscheint weder hilfreich noch zutreffend. Die rechtswissenschaftliche Forschung ist immer auch an den praktischen Auswirkungen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung orientiert. Wer sich damit auseinandersetzt, wird nicht außerhalb der Realität tätig und darf sich auch nicht aus einer Art Elfenbeinturm den Problemen nähern. So ist es naheliegend und wohl auch in jeder Weise zielführend, wenn Ergebnisse rechtswissenschaftlicher Untersuchungen auch Einfluss auf die Rechtssetzung haben. Wie stark ein solches Prinzip unter den heutigen Bedingungen Beachtung findet, ist nur schwer durchschaubar. Dass die DDR-Führung eine Art »Feedback« von der Wissenschaft erwartete, entsprach ihrer grundsätzlichen Haltung und der Überzeugung, dass auch das Recht den Menschen dienlich sein muss. Dabei wurde vor allem auf eine verständliche Sprache gesetzt, die es auch dem nicht juristisch vorgebildeten Bürger ermöglichte, den Sinn gesetzlicher Regelungen zu erfassen und in die Tat umzusetzen. Es ist also nichts Verwerfliches darin zu sehen, dass auch die obersten Staatsorgane an einer intensiven Zusammenarbeit mit den Universitäten und Hochschulen interessiert waren. Dabei spielte auch die grundsätzliche Erkenntnis eine Rolle, dass das Recht der gesellschaftlichen Entwicklung nicht hinterherlaufen darf. Markovits vertritt den Standpunkt, die SED habe den Juristen grundsätzlich misstraut. Woher sie diese Überzeugung nimmt, beschreibt sie auch. Sie stellt es darauf ab, die SED habe von ihren Untertanen (sie schreibt wirklich Untertanen als habe es sich um ein Königreich gehandelt!) »Gehorsam, Linientreue, Anpassung an das Kollektiv und Glauben an die Versprechungen des Sozialismus« verlangt, während »das Handwerk der Juristen […] Skepsis, Beweise, eine eindeutige Sprache, die Wandelbarkeit von Positionen und Kompromissbereitschaft« erfordere. Bei ihrer Einschätzung mag sich die Autorin nicht auf Aufsätze und Bücher oder Interviews mit noch lebenden Zeitzeugen der Humboldt-Universität verlassen. Sie hält das alles nicht für glaubwürdig beziehungsweise im Rückspiegel für schöngefärbt. So teilt sie ihre Untersuchungen in drei verschiedene Geschichten ein, die sie auch so nennt. Die erste Geschichte trägt den Untertitel »Anpassung und willige Unterwerfung unter die Parteibeschlüsse«. Nach der Hochschulreform von 1951 wurde der Marxismus-Leninismus zu Beginn eines jeden Studiums wesentliche Grundlage der Ausbildung. Dennoch gab es vor allem in den 1950er Jahren sehr wohl kritische Auseinandersetzungen, auch im Bereich des Lehrkörpers. Das blieb für den einen oder anderen nicht ohne Konsequenzen.
Die zweite Geschichte trägt die Überschrift »Der mürrische Gehorsam der Revisionisten«. Hier geht es unter anderem um den Rechtspflegeerlass des Staatsrates, aber auch den Entwurf eines neuen sozialistischen Strafgesetzbuches. Der Leser erfährt mehr über praktische Untersuchungen in den 1980er Jahren, Kompromisse, wenn es um die Veröffentlichung von Schriften geht, und manche Ereignisse »hinter den Kulissen«, die zur damaligen Zeit nicht bekannt wurden. Es fallen Namen von zahlreichen prominenten Professorinnen und Professoren, die ganz wesentlich die Rechtswissenschaft der DDR prägten. Welchen mitunter heiklen Gratwanderungen der eine oder andere ausgesetzt war, wurde mir erst durch Markovits’ Schrift bekannt.
Die dritte Geschichte nennt die Autorin »Verschleiß des politischen Glaubens an den Sozialismus«. Auch hier spannt sie einen Bogen der Entwicklung der Universitätsgeschichte von 1946 bis 1990. Sie beleuchtet die sogenannte Tauwetterperiode von 1956 und deren Beendigung zwei Jahre später auf der Babelsberger Konferenz. Spannend sind immer wieder die Entwicklungen im letzten Jahrzehnt des Bestehens der DDR. Der Leser erfährt von Einschätzungen, wonach der Marxismus-Unterricht »fast völlig losgelöst« von der juristischen Ausbildung erfolgte und »in den Parteiorganisationen der Studenten ein falsches Demokratieverständnis herrsch(te)«, Mitgliederversammlungen im dritten Studienjahr würden »nur noch formal unter miserabler Disziplin« durchgeführt.
Markovits’ Fazit lautet: Politische Widerständler sind HUB-Juristen nie gewesen. »Zu allen Zeiten stand ihnen ihr Beruf näher als die Partei.« Den Begriff »Unrechtsstaat« sieht sie als Schimpfwort. »Auch in einem Rechtsstaat gibt es Unrecht. Auch in einem Nicht-Rechtsstaat kann es Gerechtigkeit geben. … Jedenfalls war die DDR, auch als Nicht-Rechtsstaat, kein Staat, der Recht und Gerechtigkeit mit Füßen trat.« In ihren Augen ist der »Normenstaat« der DDR stetig gewachsen. Sie nennt als Beleg dafür die Entstehung neuer wichtiger Gesetze »wie das Gesetzbuch der Arbeit, das Familiengesetzbuch und das Strafgesetzbuch« sowie späterhin das Zivilgesetzbuch. Damit einhergehend wuchs »das Interesse der Bürger an ihren Rechten und die Bereitschaft, sich für ihre Rechte einzusetzen«. Das zeigte sich auch in der wachsenden Zahl zivilgerichtlicher Verfahren. Eine auch durch die Medien unterstützte Rechtspropaganda sollte dafür Sorge tragen, dass auch einfache Bürger mehr über ihr Recht erfuhren und davon Gebrauch machten. »Die DDR war kein Rechtsstaat. Aber sie war ein Staat, der Recht von Anfang an als nützlichen Hebel zur Umformung der Gesellschaft gebrauchen wollte. … HUB-Juristen halfen, dem DDR-Recht wachsendes Gewicht zu geben.« Bei der in den letzten Jahren zunehmend geführten Diskussion über den Begriff »Unrechtsstaat« stimmt Markovits‘ Einschätzung eher versöhnlich: »Die DDR wurde nie zum ›Rechtsstaat‹ im technischen Sinn des Wortes, weil die Partei nie bereit war, sich selbst der Macht des Rechts zu unterstellen. Aber sie bewegte sich auf den Rechtsstaat zu.«
Inga Markovits »Diener zweier Herren – DDR-Juristen zwischen Recht und Macht«, Ch. Links Verlag, 240 Seiten, 20 €