Welcher Fußball-Fan kennt nicht den Senegalesen Sadio Mané und den Ägypter Mohamed Salah vom FC Liverpool, die wertvollsten Spieler Afrikas nach einem Bericht der Unternehmensberatung KPMG. Mit dem Algerier Riyad Mahrez zählen sie zu den TOP 10-Finalisten des »Ballon d’Or«, dem von der Zeitschrift France Football verliehenen Konkurrenz-Preis des »Weltfußballers des Jahres«. Die zu den international führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen zählende KPMG befasst sich nicht umsonst mit Afrikas Fußballern. In ihrem Bericht »The African Power in Europe« vom November 2021 heißt es: »Aufgrund der Beschaffenheit des Sport-Ökosystems in Afrika – das erst noch eine faire und repräsentative Wertschöpfungskette entwickeln muss – ist Afrika jedoch zu einem Jagdgebiet für Talente von Agenten aus anderen Regionen der Welt geworden.«
An die fünfhundert dieser hochbezahlten Ballkünstler kicken in den europäischen Profiligen, knapp zehn Prozent der Mannschaftsstärke. Die meisten von ihnen kommen aus Westafrika. Senegal, Marokko und Nigeria stellen die meisten Spieler in den europäischen Ligen mit 62, 55 bzw. 54 Spielern. Weitere Länder sind die Elfenbeinküste (50), Ghana (46), Algerien (32), Mali (32), Kamerun (28), die DR Kongo (23) und Guinea (13).
In den elf untersuchten Spitzenligen Europas hat die französische Ligue 1 die meisten Afrikaner unter Vertrag, 125 an der Zahl (Stand 22. März). Danach folgen die belgische Profiliga mit 82, die türkische Süper-Lig mit 82, die portugiesische Primeira Liga (48), die englische Premier League (47), die italienische Serie A (42), die deutsche Bundesliga (29), die niederländische Eredivisie (28), die spanische LaLiga (25), die russische Premier Liga (18) und die österreichische Bundesliga (9).
1884 spielte der erste afrikanische Fußballer auf europäischem Rasen. Aber seit dem Auftreten der »Löwen von Kamerun« bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 in England zieht ein Migrationsstrom afrikanischer Fußballstars von den Fußballstadien Westafrikas über Frankreich, wo die meisten spielen, nach England, wo die größten Ablösesummen und höchsten Gehälter locken. Von den einundzwanzig Spielern mit einem Marktwert über 30 Mio. Euro spielen dreizehn in der englischen Liga, aber nur zwei in der französischen Ligue 1. Der FC Liverpool mit dem Quartett Sadio Mané, Mohamed Salah, Naby Keita (Guinea) und Joel Matin aus Kamerun wird weiterhin der wertvollste Club Europas bleiben.
Zusätzliche Konkurrenz in den europäischen Spitzenvereinen wird zu erwarten sein, der Migrationszug nach Europa scheint ungebrochen, die »headhunter« bei den Spielen des kürzlich zu Ende gegangenen Africa-Cups füllten ihre Wunschzettel. Insbesondere nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar mit fünf afrikanischen Mannschaften – eine große Talentshow – sind weitere Neuverpflichtungen zu erwarten.
Dass die französische Ligue 1 einen wahren Sog auf die afrikanische Fußballwelt ausübt, kommt nicht von ungefähr. In Yaounde, der Hauptstadt Kameruns, hat Samuel Ndo mir vor einem Jahr das System erläutert. Mit seinen 24 Jahren arbeitet er seit zwei Jahren als »Manager de foot« bei einer Fußball-Agentur. Eltern liefern ihr talentiertes Kind gegen eine kleine Abschlagszahlung und eine beträchtliche Beteiligung am zukünftigen Salär der Agentur aus. Sie könnten nie die erforderlichen Ausgaben für Sportkleidung und Mobilität aufbringen. Und die »Manager de foot« kümmern sich um die Karriere. So betreut Samuel Ndo sechs junge Talente, kümmert sich um alles, die Unterkunft, Training, um ärztliche Versorgung. Einer seiner Schützlinge spiele schon in der 2. Nationalliga und mache sich bereits bezahlt – Wege aus der Armut oder eine moderne Form der feudalen Zinsknechtschaft?
Samuel Ndo selbst erzählte mir von seinem Traum, »agent sportif«, also Sportdirektor zu werden. FECAFOOT, die nationale Sportorganisation schreibt jährlich einen internationalen Wettbewerb zur Fortbildung für das begehrte FIFA-Diplom aus, an dem er gern teilnehmen würde. Aber um diesen »concours« zu meistern, müsse er eineinhalb Jahren an der Sport Business Academy in Paris studieren. Danach könnte er sich selbständig machen und an die äußerst lukrativen Jobs in der kamerunischen 1ere Division kommen. Die Kursgebühr der Akademie in Paris von zurzeit 3.100 Euro habe er bald zusammen, aber das Leben dort ist teuer und der »concours« noch nicht in Sicht. Er könnte auch den Kurs als »educateur sportif« (Sporterzieher), als Video-Analyst oder als »Recruteur Football« (Talent-Scout) belegen, aber er will »lieber Sportdirektor werden, am liebsten bei einem großen Fußball-Club in Europa«.
Nur ein Traum? Hätten es afrikanische Sportdirektoren leichter, in Europa einen Job zu bekommen als ihre Trainerkollegen? Wohl kaum, denn die lassen sich nicht finden in den ersten europäischen Profiligen. Dabei fehlt es nicht an qualifizierten Leuten. Die Nigeria News vom 22. März führte einige afrikanische Größen an: Djhamnel Belmadi und Aliou Cissé als Nationaltrainer in Algerien und Senegal, Pitso Mosimane und Florent Ibenge als erfolgreiche Clubtrainer in Südafrika oder Kongo. Ehemalige Fußballstars wie Kolo Touré von der Elfenbeinküste, Michael Essien aus Ghana und Samuel Etoo aus Kamerun haben bereits Erfahrungen als Trainer. Oder Sunday Oliseh, der in der holländischen Liga brillierte oder Radhi Jaidi, der seit Jahren die U23-Mannschaft von Southampton trainiert.
Vielleicht sind alle diese Namen den Fußball-Experten nicht geläufig, aber einige Vereine der höchsten europäischen Spielklassen haben in der Vergangenheit auch weit weniger qualifizierte Bewerber verpflichtet, meint die Nigeria News und fragt: »Warum keine Afrikaner?« Die Zeitung beschreibt von den zahlreichen Hürden die drei Schwierigsten: Das erste Hindernis sei das Problem, eine Zertifizierung, das UEFA-Diplom zu erhalten. Die afrikanische Ausbildung wird nicht anerkannt (ein Ärgernis, das auch anderen internationalen Examina von Lehrern oder Ärzten blühen kann). Als zweiten Hauptgrund wird Ed Aarons zitiert, der in seinem Buch »Made in Africa: The History of African Players in English Football« eine »mangelnde Vielfalt in den Führungsetagen der Vereine« feststellte, so den Filz der Seilschaften und bestehende rassistische Vorbehalte umschreibend. Die englische Fußball-Liga führte 2016 die »Rooney-Regel« ein, die besagt, dass Teams mindestens einen Kandidaten aus einer ethnischen Minderheit in Betracht ziehen müssen, wenn eine Stelle als Manager oder Trainer der ersten Mannschaft frei wird. Aber offensichtlich ist Papier geduldig. Außerdem fehlen afrikanischen Trainern die Netzwerke, über die ihre europäischen Kollegen verfügen.
All diese Hindernisse haben dazu beigetragen, dass afrikanische Trainer in den ersten Mannschaften der ersten europäischen Spielklassen bisher äußerst selten anzutreffen sind. Der nigerianische TV-Sender Gistvibez tv kommt zu dem Schluss, dass es an der Zeit wäre, »uns zu erlauben, unsere Fähigkeiten unter Beweis zu stellen«. Dem ist nichts hinzuzufügen.