Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Lukrative Arbeitsmigranten

Wel­cher Fuß­ball-Fan kennt nicht den Sene­ga­le­sen Sadio Mané und den Ägyp­ter Moha­med Salah vom FC Liver­pool, die wert­voll­sten Spie­ler Afri­kas nach einem Bericht der Unter­neh­mens­be­ra­tung KPMG. Mit dem Alge­ri­er Riyad Mah­rez zäh­len sie zu den TOP 10-Fina­li­sten des »Bal­lon d’Or«, dem von der Zeit­schrift France Foot­ball ver­lie­he­nen Kon­kur­renz-Preis des »Welt­fuß­bal­lers des Jah­res«. Die zu den inter­na­tio­nal füh­ren­den Wirt­schafts­prü­fungs- und Bera­tungs­un­ter­neh­men zäh­len­de KPMG befasst sich nicht umsonst mit Afri­kas Fuß­bal­lern. In ihrem Bericht »The Afri­can Power in Euro­pe« vom Novem­ber 2021 heißt es: »Auf­grund der Beschaf­fen­heit des Sport-Öko­sy­stems in Afri­ka – das erst noch eine fai­re und reprä­sen­ta­ti­ve Wert­schöp­fungs­ket­te ent­wickeln mussist Afri­ka jedoch zu einem Jagd­ge­biet für Talen­te von Agen­ten aus ande­ren Regio­nen der Welt geworden.«

An die fünf­hun­dert die­ser hoch­be­zahl­ten Ball­künst­ler kicken in den euro­päi­schen Pro­fi­li­gen, knapp zehn Pro­zent der Mann­schafts­stär­ke. Die mei­sten von ihnen kom­men aus West­afri­ka. Sene­gal, Marok­ko und Nige­ria stel­len die mei­sten Spie­ler in den euro­päi­schen Ligen mit 62, 55 bzw. 54 Spie­lern. Wei­te­re Län­der sind die Elfen­bein­kü­ste (50), Gha­na (46), Alge­ri­en (32), Mali (32), Kame­run (28), die DR Kon­go (23) und Gui­nea (13).

In den elf unter­such­ten Spit­zen­li­gen Euro­pas hat die fran­zö­si­sche Ligue 1 die mei­sten Afri­ka­ner unter Ver­trag, 125 an der Zahl (Stand 22. März). Danach fol­gen die bel­gi­sche Pro­fi­li­ga mit 82, die tür­ki­sche Süper-Lig mit 82, die por­tu­gie­si­sche Pri­mei­ra Liga (48), die eng­li­sche Pre­mier League (47), die ita­lie­ni­sche Serie A (42), die deut­sche Bun­des­li­ga (29), die nie­der­län­di­sche Ere­di­vi­sie (28), die spa­ni­sche LaLi­ga (25), die rus­si­sche Pre­mier Liga (18) und die öster­rei­chi­sche Bun­des­li­ga (9).

1884 spiel­te der erste afri­ka­ni­sche Fuß­bal­ler auf euro­päi­schem Rasen. Aber seit dem Auf­tre­ten der »Löwen von Kame­run« bei der Fuß­ball­welt­mei­ster­schaft 1990 in Eng­land zieht ein Migra­ti­ons­strom afri­ka­ni­scher Fuß­ball­stars von den Fuß­ball­sta­di­en West­afri­kas über Frank­reich, wo die mei­sten spie­len, nach Eng­land, wo die größ­ten Ablö­se­sum­men und höch­sten Gehäl­ter locken. Von den ein­und­zwan­zig Spie­lern mit einem Markt­wert über 30 Mio. Euro spie­len drei­zehn in der eng­li­schen Liga, aber nur zwei in der fran­zö­si­schen Ligue 1. Der FC Liver­pool mit dem Quar­tett Sadio Mané, Moha­med Salah, Naby Kei­ta (Gui­nea) und Joel Matin aus Kame­run wird wei­ter­hin der wert­voll­ste Club Euro­pas bleiben.

Zusätz­li­che Kon­kur­renz in den euro­päi­schen Spit­zen­ver­ei­nen wird zu erwar­ten sein, der Migra­ti­ons­zug nach Euro­pa scheint unge­bro­chen, die »head­hun­ter« bei den Spie­len des kürz­lich zu Ende gegan­ge­nen Afri­ca-Cups füll­ten ihre Wunsch­zet­tel. Ins­be­son­de­re nach der Fuß­ball-Welt­mei­ster­schaft 2022 in Katar mit fünf afri­ka­ni­schen Mann­schaf­ten – eine gro­ße Talent­show – sind wei­te­re Neu­ver­pflich­tun­gen zu erwarten.

Dass die fran­zö­si­sche Ligue 1 einen wah­ren Sog auf die afri­ka­ni­sche Fuß­ball­welt aus­übt, kommt nicht von unge­fähr. In Yaoun­de, der Haupt­stadt Kame­runs, hat Samu­el Ndo mir vor einem Jahr das System erläu­tert. Mit sei­nen 24 Jah­ren arbei­tet er seit zwei Jah­ren als »Mana­ger de foot« bei einer Fuß­ball-Agen­tur. Eltern lie­fern ihr talen­tier­tes Kind gegen eine klei­ne Abschlags­zah­lung und eine beträcht­li­che Betei­li­gung am zukünf­ti­gen Salär der Agen­tur aus. Sie könn­ten nie die erfor­der­li­chen Aus­ga­ben für Sport­klei­dung und Mobi­li­tät auf­brin­gen. Und die »Mana­ger de foot« küm­mern sich um die Kar­rie­re. So betreut Samu­el Ndo sechs jun­ge Talen­te, küm­mert sich um alles, die Unter­kunft, Trai­ning, um ärzt­li­che Ver­sor­gung. Einer sei­ner Schütz­lin­ge spie­le schon in der 2. Natio­nal­li­ga und mache sich bereits bezahlt – Wege aus der Armut oder eine moder­ne Form der feu­da­len Zinsknechtschaft?

Samu­el Ndo selbst erzähl­te mir von sei­nem Traum, »agent spor­tif«, also Sport­di­rek­tor zu wer­den. FECAFOOT, die natio­na­le Sport­or­ga­ni­sa­ti­on schreibt jähr­lich einen inter­na­tio­na­len Wett­be­werb zur Fort­bil­dung für das begehr­te FIFA-Diplom aus, an dem er gern teil­neh­men wür­de. Aber um die­sen »con­cours« zu mei­stern, müs­se er ein­ein­halb Jah­ren an der Sport Busi­ness Aca­de­my in Paris stu­die­ren. Danach könn­te er sich selb­stän­dig machen und an die äußerst lukra­ti­ven Jobs in der kame­ru­ni­schen 1ere Divi­si­on kom­men. Die Kurs­ge­bühr der Aka­de­mie in Paris von zur­zeit 3.100 Euro habe er bald zusam­men, aber das Leben dort ist teu­er und der »con­cours« noch nicht in Sicht. Er könn­te auch den Kurs als »edu­ca­teur spor­tif« (Sport­er­zie­her), als Video-Ana­lyst oder als »Recru­teur Foot­ball« (Talent-Scout) bele­gen, aber er will »lie­ber Sport­di­rek­tor wer­den, am lieb­sten bei einem gro­ßen Fuß­ball-Club in Europa«.

Nur ein Traum? Hät­ten es afri­ka­ni­sche Sport­di­rek­to­ren leich­ter, in Euro­pa einen Job zu bekom­men als ihre Trai­ner­kol­le­gen? Wohl kaum, denn die las­sen sich nicht fin­den in den ersten euro­päi­schen Pro­fi­li­gen. Dabei fehlt es nicht an qua­li­fi­zier­ten Leu­ten. Die Nige­ria News vom 22. März führ­te eini­ge afri­ka­ni­sche Grö­ßen an: Djham­nel Bel­ma­di und Ali­ou Cis­sé als Natio­nal­trai­ner in Alge­ri­en und Sene­gal, Pitso Mosi­ma­ne und Flo­rent Iben­ge als erfolg­rei­che Club­trai­ner in Süd­afri­ka oder Kon­go. Ehe­ma­li­ge Fuß­ball­stars wie Kolo Tou­ré von der Elfen­bein­kü­ste, Micha­el Essi­en aus Gha­na und Samu­el Etoo aus Kame­run haben bereits Erfah­run­gen als Trai­ner. Oder Sun­day Oli­seh, der in der hol­län­di­schen Liga bril­lier­te oder Radhi Jai­di, der seit Jah­ren die U23-Mann­schaft von Sout­hamp­ton trainiert.

Viel­leicht sind alle die­se Namen den Fuß­ball-Exper­ten nicht geläu­fig, aber eini­ge Ver­ei­ne der höch­sten euro­päi­schen Spiel­klas­sen haben in der Ver­gan­gen­heit auch weit weni­ger qua­li­fi­zier­te Bewer­ber ver­pflich­tet, meint die Nige­ria News und fragt: »War­um kei­ne Afri­ka­ner?« Die Zei­tung beschreibt von den zahl­rei­chen Hür­den die drei Schwie­rig­sten: Das erste Hin­der­nis sei das Pro­blem, eine Zer­ti­fi­zie­rung, das UEFA-Diplom zu erhal­ten. Die afri­ka­ni­sche Aus­bil­dung wird nicht aner­kannt (ein Ärger­nis, das auch ande­ren inter­na­tio­na­len Exami­na von Leh­rern oder Ärz­ten blü­hen kann). Als zwei­ten Haupt­grund wird Ed Aarons zitiert, der in sei­nem Buch »Made in Afri­ca: The Histo­ry of Afri­can Play­ers in Eng­lish Foot­ball« eine »man­geln­de Viel­falt in den Füh­rungs­eta­gen der Ver­ei­ne« fest­stell­te, so den Filz der Seil­schaf­ten und bestehen­de ras­si­sti­sche Vor­be­hal­te umschrei­bend. Die eng­li­sche Fuß­ball-Liga führ­te 2016 die »Roo­ney-Regel« ein, die besagt, dass Teams min­de­stens einen Kan­di­da­ten aus einer eth­ni­schen Min­der­heit in Betracht zie­hen müs­sen, wenn eine Stel­le als Mana­ger oder Trai­ner der ersten Mann­schaft frei wird. Aber offen­sicht­lich ist Papier gedul­dig. Außer­dem feh­len afri­ka­ni­schen Trai­nern die Netz­wer­ke, über die ihre euro­päi­schen Kol­le­gen verfügen.

All die­se Hin­der­nis­se haben dazu bei­getra­gen, dass afri­ka­ni­sche Trai­ner in den ersten Mann­schaf­ten der ersten euro­päi­schen Spiel­klas­sen bis­her äußerst sel­ten anzu­tref­fen sind. Der nige­ria­ni­sche TV-Sen­der Gist­vi­bez tv kommt zu dem Schluss, dass es an der Zeit wäre, »uns zu erlau­ben, unse­re Fähig­kei­ten unter Beweis zu stel­len«. Dem ist nichts hinzuzufügen.