Der Heilbronner Gymnasiallehrer i. R., Schriftsteller und Kabarettist Erhard Jöst legt ein Buch mit dem Titel Der Mützenbaum vor. Es enthält 46 Erzählungen und Kurzgeschichten, Artikel und Satiren.
Der gewählte Buchtitel und das Titelbild gehen auf Jösts Jugend in Heddesheim, nahe Mannheim, zurück. Als Elfjähriger spielte er mit anderen Jugendlichen in einer Baugrube Fußball; ein Baumstamm diente den Jungs nicht nur als Torpfosten, sondern sie hängten auch ihre Mützen während des Spiels an seine Äste.
Jöst erträgt nach seiner Jugendzeit als politisch Handelnder manch Unbill. Wir erfahren, dass Lehrer zu »Volksverhetzern« werden, wenn sie Satiren dichten, und dass dafür Disziplinarmaßnahmen angesetzt wurden. Die dargestellten Provinzpossen könnte man für unwahrscheinlich halten; Jöst hat sie aber leibhaftig erleben und erleiden müssen. Es gibt freilich auch fiktive Erzählungen, zumeist mit humoristischem Einschlag. Auch bei den Kurzgeschichten scheint der Kabarettist durch, der im Januar 1988 das Heilbronner Kabarett die »GAUwahnen« gründete.
Der Mützenbaum ist eine lesenswerte Lektüre. Jöst Stil ist elegant, seine literarische Satire ist brillant, wenn er uns mitnimmt auf eine Reise durch die bundesrepublikanische Wirklichkeit und realsatirische Reaktionen der Herrschenden schildert. In die satirische Geschichte »Der Friedenskämpfer« ist ein Lied eingebaut, bei dem einem der Atem stockt, wenn ein verwundeter Soldat nach der Melodie: »Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren« singt: »Ich hab mein Beim am Hindukusch verloren, beim Einsatz in dem Friedenskrieg. (…) Ich trage nun ne weitere Prothese, doch bin ich deshalb keinesfalls entsetzt, denn schließlich regulieren Chips mein Wesen, die wurden mir ins Hirn hineingesetzt!«. Schlagartig wird dadurch vorgeführt, was Kriegspropaganda bewirken kann.
Der Schriftsteller Bernhard Schlink schrieb über Geschichten aus diesem Band: »Ich habe mich gerne darin festgelesen, mal mit mehr, mal mit weniger, mal ohne Zustimmung, aber stets mit Freude darüber, dass in Heilbronn noch ein linker Wind so kräftig weht.« Schlink spricht der Rezensentin aus dem Herzen.
Erhard Jöst: Der Mützenbaum. Verlag freiheitsbaum, edition Spinoza, Reutlingen 2022, 170 S., 15 €.