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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Letzte Kahnfahrt

Vor 80 Jah­ren geschah in Ber­lin ein sel­ten beleuch­te­ter Drei­fach-Selbst­mord. Aber bekannt­lich sind Got­tes Wege sowie­so uner­forsch­lich. Ursprüng­lich evan­ge­li­scher Theo­lo­ge, hat­te sich Jochen Klep­per (1903-42) nicht, wie sein Erzeu­ger, aufs Pfarr­amt, viel­mehr auf Freie Schrift­stel­le­rei ver­legt. Das faschi­sti­sche Schreib­ver­bot ereil­te ihn erst 1937, wur­de zudem erst 1942 in Kraft gesetzt. Man hat­te Klep­per inzwi­schen, nach rund ein­jäh­ri­gem Kriegs­dienst, als »wehr­un­wür­dig« ein­ge­stuft und zuletzt die gan­ze Fami­lie mit Depor­ta­ti­on bedroht, weil sei­ne (13 Jah­re älte­re) Ehe­frau Johan­na und deren jün­ge­re Toch­ter Rena­te Stein, wohl 18 Jah­re alt, »jüdisch« waren. Im Dezem­ber des Jah­res ent­schlos­sen sie sich des­halb (angeb­lich) gemein­sam, in den Tod zu gehen: Schlaf­ta­blet­ten und Gas. An die Woh­nungs­tür hat­ten sie vor­sorg­lich ein Warn­schild geklebt. Die älte­re Toch­ter Bri­git­te ent­ging die­sem Fami­li­en­tod, weil man ihr noch die Aus­rei­se gestat­tet hat­te. Klep­per war 39.

Ent­ge­gen man­chen schön­ge­färb­ten Quel­len war der glü­hen­de Christ Klep­per kei­nes­falls »Wider­stands­kämp­fer«, ja, noch nicht ein­mal Demo­krat. Ohne sei­ne »fal­sche« Ehe hät­te er im »Drit­ten Reich« kaum Ärger gehabt. Klep­per war mon­ar­chi­stisch, also auto­ri­tär gestimmt. Neben einem angeb­lich bedeu­ten­den Tage­buch wird oft sein zwei­bän­di­ges Werk Der Vater. Roman des Sol­da­ten­kö­nigs (Fried­rich Wil­helm I. von Preu­ßen, um 1700) gelobt. Klep­per hat­te sel­ber einen über­mäch­ti­gen Vater, ent­schul­dig­te ihn aber, wie er alles ent­schul­dig­te, mit »Got­tes Wil­le«. Die Arns­ber­ger Freie Publi­zi­stin Ursu­la Homann, gebo­ren 1930, drei Kin­der, ver­hehlt dies alles (auf ihrer Web­sei­te) nicht, scheint es frei­lich auch nicht für son­der­lich betrüb­lich zu hal­ten. Selbst bei ihr fin­de ich kein Auf­mer­ken ange­sichts der Tat­sa­che, dass wir in Klep­pers Fall vor einem Drei­fach-Selbst­mord ste­hen. Sei­ne unge­fähr 18jährige Stief­toch­ter Rena­te, über die man lei­der im gesam­ten Inter­net buch­stäb­lich nichts erfährt, starb ja eben­falls – frei­wil­lig? Von den lebens­be­droh­li­chen Aus­sich­ten erzwun­gen? Oder viel­leicht doch in erster Linie von ihren Eltern getö­tet? Mög­li­cher­wei­se wird die­se heik­le Fra­ge in der ver­gleichs­wei­se umfang­rei­chen Lite­ra­tur über Klep­per erör­tert; ich fürch­te frei­lich, eher nicht.

Wird Klep­pers inni­ge Lie­be zu sei­nen Kin­dern beschwo­ren, gera­te ich jeden­falls ins Grü­beln. 1933 erziel­te er als Jour­na­list und Schrift­stel­ler die erste grö­ße­re Auf­merk­sam­keit mit sei­nem gern als »frech« aus­ge­ge­be­nen Roman Der Kahn der fröh­li­chen Leu­te, 1950 sogar ver­filmt (Regie Hans Hein­rich). Der Roman ist im zeit­ty­pi­schen »coo­len« Ton der »Neu­en Sach­lich­keit« geschrie­ben, der wahr­schein­lich, in sei­ner Kurz­an­ge­bun­den­heit, mit­ver­ant­wort­lich für den Man­gel an Anschau­lich­keit und Buch­kli­ma ist. Nun, das fand man damals geil. Man nahm es dem Autor ver­mut­lich auch nicht übel, dass er sich für die­sen Roman aus dem Dunst­kreis der zeit­ge­nös­si­schen Oder­schiff­fahrt als Theo­lo­ge oder sen­dungs­be­wuss­ter Lai­en­christ voll­stän­dig in Nebel gehüllt hat­te. Die Reli­gi­on hat nicht den gering­sten Anteil an der angeb­li­chen Fröh­lich­keit des gesam­ten Roman­per­so­nals. Die unge­fähr 12jährige, blon­de Wil­hel­mi­ne Buten­hof, Voll­wai­se und »Schiffs­eig­ne­rin« eines alters­schwa­chen Fracht­kahns, darf sogar unge­rügt den Kon­fir­man­den­un­ter­richt, ja, sogar die Kon­fir­ma­ti­on sel­ber schwän­zen. Dafür macht sich Klep­per ein­mal unver­hoh­len über die »from­men Leu­te in Köben« lustig, »die in den Nach­mit­tags­got­tes­dienst gin­gen statt in den Schif­fer­zir­kus« (S. 111 in der Ull­stein-Aus­ga­be, Ffm 1984).

Nun mag man die Abwe­sen­heit der Reli­gi­on in der Tat ver­schmer­zen kön­nen, aber lei­der spielt auch die sozia­le Fra­ge nicht die gering­ste Rol­le in dem Werk. Ob Fischer, Bau­er oder Bäcker, Guts­herr, Tuch­fa­bri­kant oder Reichs­mi­ni­ster, man hat die jeweils zuge­mes­se­ne Bür­de halb­wegs red­lich – und eben fröh­lich zu tra­gen. Prah­le­rei ist erlaubt, sogar för­der­lich. Dem Schiffs­jun­gen ist der Traum von der Kapi­täns­müt­ze unbe­nom­men. Es ist ein völ­lig unkri­ti­sches, dazu wenig ein­fühl­sa­mes Buch. Mit Wil­hel­mi­ne mutet uns Klep­per ein Wai­sen­kind zu, das in einem geschla­ge­nen Jahr für kei­ne Minu­te sei­ne Eltern oder sonst eine Gebor­gen­heit ver­misst. Aber ver­lo­ben muss sich Wil­hel­mi­ne, am Schluss. Zwei Hoch­zei­ten krö­nen das Werk. Bis dahin hat das Wai­sen­kind auch das Spie­len sel­ten ver­misst, denn Klep­per hat ihm schließ­lich die erwähn­te Rol­le der »Schiffs­eig­ne­rin« ver­ord­net, der ein­ge­bil­de­ten Che­fin, die bald ein Dut­zend Leu­te zu ernäh­ren glaubt. Die­ser an der Oder zwi­schen Bres­lau und Stet­tin auf­ge­fä­del­te, eigent­lich bemer­kens­wer­te Grund­einfall erweist sich dum­mer­wei­se als Krampf­ader. Viel­leicht hät­te Klep­per aus sei­ner Wil­hel­mi­ne doch lie­ber die Fluss­pi­ra­tin und Rachefu­rie machen sol­len, von der sie anfangs, nach dem Tod ihrer Eltern und der Über­nah­me des mür­ben Kahns unter Auf­sicht eines Vor­munds, wenig­stens ein­mal träu­men darf (S. 38). Aber das wäre, mit Gün­ter Eich aus Lebus an der Oder gespro­chen, Sand im Getrie­be gewe­sen. Klep­per stamm­te aus dem nahen Oder­städt­chen Beu­then, die­sel­be Gegend. Kurz, das Buch ist schlecht. Das hin­dert jedoch zahl­rei­che Ver­la­ge nicht dar­an, es bis zur Stun­de immer wie­der neu aufzulegen.

Erstaun­lich dif­fe­ren­ziert und gründ­lich äußer­te sich 2013 der dama­li­ge Regens­bur­ger Prä­lat Bern­hard Felm­berg in einem Vor­trag über Klep­per. Der Pasto­ren­sohn habe lei­der von Jugend an – als er häu­fig an Asth­ma, Migrä­ne, Schlaf­stö­run­gen litt und auch schon Selbst­mord­ge­dan­ken heg­te – eine befremd­li­che Nei­gung zu Gehor­sam, Maso­chis­mus, Mär­ty­rer­tum gezeigt. Durch die Hei­rat kam es zum Bruch mit dem auto­ri­tä­ren und anti­se­mi­tisch gestimm­ten Vater. Die Frau war ver­mö­gend. 1938 wird die Fami­lie wegen den städ­te­bau­li­chen Plä­nen der Nazis aus ihrem Haus gesetzt. Gleich­wohl dach­te Klep­per offen­bar nie an Flucht. Er habe im Gegen­teil wie­der­holt Erge­ben­heit und Abwar­ten dem schließ­lich von Gott gewoll­ten NS-Staat gegen­über ange­mahnt. Auch zuletzt habe er ver­schie­de­ne unge­setz­li­che Mög­lich­kei­ten, sei­ne Stief­toch­ter Rena­te zu ret­ten, gehor­sam aus­ge­schla­gen. Für Klep­per sei alles Prü­fung durch Gott gewesen.

Bedau­er­li­cher­wei­se traf es dann auch Vor­trags­red­ner Felm­berg hart (Vor­trag Felm­berg: https://www.ekd.de/27209.htm, 17. Janu­ar 2013). Er stieg 2020 zum Mili­tär­bi­schof auf und mutier­te bald zum Ukrai­ne-Fan. Hof­fent­lich hat er damit nicht den Keim zum eige­nen Selbst­mord gelegt.

Jochen Klep­per: Der Kahn der fröh­li­chen Leu­te, Evan­ge­li­sche Ver­lags­an­stalt 2003, 200 S., 14,95 €.