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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Leichen im Keller?

Es gibt Sät­ze, die an den Nerv gehen, die man ein­fach nicht über­le­sen kann, Sät­ze wie die­sen zum Bei­spiel: »Bun­des­prä­si­dent Frank-Wal­ter Stein­mei­er will den Umgang sei­ner Amts­vor­gän­ger mit der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus auf­ar­bei­ten las­sen.« Ist etwas pas­siert, das der Bun­des­prä­si­dent nicht auf sich beru­hen las­sen kann, das auf­ge­klärt und – falls mög­lich – berei­nigt wer­den muss? Eine alar­mie­ren­de Nach­richt, aber nie­mand frag­te bis­her danach, was Frank-Wal­ter Stein­mei­er bewo­gen haben könn­te, den Umgang sei­ner Amts­vor­gän­ger mit der NS-Zeit auf­ar­bei­ten zu lassen.

Bei dem Vor­ha­ben geht es nicht um sub­al­ter­ne Wür­den­trä­ger, son­dern um die höch­sten Reprä­sen­tan­ten der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Es geht um nichts Gerin­ge­res als deren Umgang mit der Ermor­dung Aber­tau­sen­der poli­ti­scher Geg­ner durch die Nazis, den Umgang mit der fabrik­mä­ßi­gen Tötung von sechs Mil­lio­nen Juden, mit dem Ver­nich­tungs­feld­zug gegen die Völ­ker Ost­eu­ro­pas und der Nie­der­met­ze­lung des euro­päi­schen Wider­stan­des gegen den Ter­ror der Nazi-Besatzer.

Ist das Not­wen­di­ge dazu nicht längst gesagt? Offen­sicht­lich sind die Abge­ord­ne­ten des Bun­des­ta­ges und die hoch­mö­gen­den Damen und Her­ren in den Medi­en so dick­fel­lig, dass ihnen der­glei­chen nicht unter die Haut geht. Dabei könn­te das Vor­ha­ben dar­auf hin­aus­lau­fen, dass die gesam­te Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land auf den Prüf­stand kommt, auch der Umgang mit dem deut­schen Wider­stand gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus. Er bedürf­te – wenig­stens das soll­te mög­lich sein – drin­gend eines Bun­des­be­auf­trag­ten, der gele­gent­lich dar­auf hin­weist, dass der anti­fa­schi­sti­sche Wider­stand das Gewis­sen der Nati­on ist, das mora­li­sche Fun­da­ment, auf dem die frei­heit­li­che demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung beruht.

Der ein­gangs zitier­te Satz steht übri­gens am Beginn einer Mel­dung des Evan­ge­li­schen Pres­se­dien­stes, abge­druckt in der Süd­deut­schen Zei­tung vom 13. Dezem­ber 2019 auf Sei­te 6. Auch ande­re Zei­tun­gen haben sie ver­öf­fent­licht. Was hat den Bun­des­prä­si­den­ten zu sei­nem Vor­ge­hen ver­an­lasst? Lie­gen etwa Lei­chen im Kel­ler des Prä­si­di­al­am­tes, deren Aas­ge­ruch den Bun­des­prä­si­den­ten jetzt nach dem Rech­ten sehen lässt? Wie das Prä­si­di­al­amt am 12. Dezem­ber in Ber­lin mit­teil­te, wur­de an jenem Tag ein Inter­es­sen­be­kun­dungs­ver­fah­ren für ein auf zwei Jah­re ange­leg­tes For­schungs­vor­ha­ben ein­ge­lei­tet. Dabei soll unter­sucht wer­den, wie das Amt und die Bun­des­prä­si­den­ten seit 1949 mit der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Ver­gan­gen­heit umge­gan­gen sind.

Nach Dar­stel­lung des Evan­ge­li­schen Pres­se­dien­stes geht es dem Prä­si­di­al­amt dar­um zu erfor­schen, ob es dort per­so­nel­le oder ideel­le Kon­ti­nui­tä­ten zur NS-Zeit gab. Zudem sol­le unter­sucht wer­den, wie die Bun­des­prä­si­den­ten im öffent­li­chen und inter­nen Han­deln mit dem The­ma Natio­nal­so­zia­lis­mus umge­gan­gen sind, etwa in Reden, bei Staats­be­su­chen, Ter­mi­nen im Inland, Per­so­nal­ent­schei­dun­gen, Geset­zes­aus­fer­ti­gun­gen, Ordens­ver­lei­hun­gen oder Begna­di­gun­gen. Das Pro­jekt soll der Aus­schrei­bung zufol­ge Ende März 2022 abge­schlos­sen sein. Stein­mei­er knüp­fe mit der For­schung an die von ihm ange­sto­ße­ne Auf­ar­bei­tung der Geschich­te der Ber­li­ner Dienst­vil­la des Bun­des­prä­si­den­ten an. Die Vil­la in Ber­lin-Dah­lem hat­te bis 1933 dem jüdi­schen Ehe­paar Hugo und Maria Heymann gehört. Nach Erkennt­nis­sen der For­scher wur­de sie unter dem Druck befürch­te­ter Ver­fol­gung veräußert.

Anschei­nend hat der rechts­ter­ro­ri­sti­sche Anschlag auf die Syn­ago­ge in Hal­le den Bun­des­prä­si­den­ten bewo­gen, mit sei­nem Vor­ha­ben an die Öffent­lich­keit zu gehen. In einer Rede auf dem Gemein­de­tag des Zen­tral­ra­tes der Juden in Deutsch­land sag­te er: »Wenn wir schwei­gen, wenn wir nicht ver­hin­dern, dass die Atmo­sphä­re in unse­rem Land wei­ter ver­gif­tet wird, kann jeder und jede das näch­ste Ziel sein. Wenn Jüdin­nen und Juden in die­ser Wei­se ange­grif­fen wer­den, dann ist die­se Repu­blik in ihrem Her­zen ange­grif­fen.« Da ist es nur fol­ge­rich­tig, dass die Ber­li­ner Lan­des­re­gie­rung beschlos­sen hat, den 8. Mai als Tag der Befrei­ung vom Natio­nal­so­zia­lis­mus in die­sem Jahr als gesetz­li­chen Fei­er­tag zu bege­hen. Uner­füllt bleibt frei­lich immer noch, was Bun­des­prä­si­dent Gustav Hei­ne­mann 1970 gefor­dert hat: »Es ist Zeit, dass ein frei­heit­lich-demo­kra­ti­sches Deutsch­land unse­re Geschich­te bis in die Schul­bü­cher hin­ein anders schreibt.«