In der Fahrradstadt Leipzig gibt es einen neuen Anbieter auf dem Markt. Wer günstige Gebrauchträder kaufen möchte (wie neu!), kann das bei verschiedenen gemeinnützigen Vereinen tun. Noch preiswerter ist es, diese Zwischenhändler zu umgehen und direkt beim größten Einzelhändler der Stadt vorstellig zu werden: bei der Leipziger Polizei.
Nun ist diese Adresse längst kein Geheimtipp mehr. Seit 2019 weiß auch der Generalstaatsanwalt in Dresden von den Geschäftspraktiken der Polizisten. In etwa 200 Fällen wird ermittelt, weil die Polizisten ihre Ware angeblich aus der Asservatenkammer beziehen. Aber nach inzwischen rund 50 Freisprüchen darf man davon ausgehen, dass auch die härtesten Richter an günstigen Fahrrädern ihren Gefallen gefunden haben. Die Verkehrswende, sie läuft.
Ganz offiziell ist die Geschichte natürlich nicht. Die Polizei ist immerhin nicht als Gewerbetreibender registriert. Deshalb kann sie ja so unschlagbar günstig sein. Allerdings gibt es ein paar Kniffe zu beachten, wenn man bei den Beamten ein Fahrrad kaufen möchte. Zunächst bittet man telefonisch um einen Termin. Dafür sollte man nicht die Notrufnummer nutzen – am Ende kommt man in Zwickau raus! –, sondern die Direktdurchwahl einer städtischen Wache. So weit, so behördlich.
Mit dem Beamten, der den Fall bearbeitet, wird nun ein Vor-Ort-Termin vereinbart. Treffpunkt ist in der Regel die Asservatenkammer am Saale-Leipzig-Kanal im Westen der Stadt. Hier können sich Interessenten einen Überblick über das Verkaufsangebot verschaffen. Die Leipziger Polizei lagert hier, am Lindenauer Hafen, rund 4000 Räder. Sie alle wurden ganz legal beschlagnahmt, ihre Vorbesitzer ließen sich trotz intensivster Ermittlungsarbeit nicht ermitteln.
Aus diesem breit gefächerten Sortiment kann der Kunde sein neues Fahrrad auswählen und steuerfrei direkt bezahlen. Wichtig zu wissen: Die Beamten akzeptieren nur Bargeld. Auch ist es ihnen nicht möglich, eine Rechnung auszustellen.
Diese kleinen Einschränkungen können aber nicht über die Vorteile des Händlers hinwegtäuschen. Die Fahrräder sind nicht nur nach amtlichen Vorgaben gepflegt und verkehrstüchtig in Schuss gebracht worden. Einmal polizeilich registriert, können sie nach jedem Diebstahl problemlos wieder aufgespürt werden. Ein bei der Polizei erworbenes Fahrrad ist somit eine auch langfristig lohnende Investition.
Für besonders wählerische Kunden bietet die Leipziger Polizei einen zusätzlichen Service an. Wer in der Asservatenkammer nicht das Richtige findet, kann mit einem Kollegen vom Streifendienst eine kleine Stadtrundfahrt unternehmen. Dabei können Fahrräder im Real Life besichtigt und ausgewählt werden. Bei Interesse kann das betreffende Objekt meist schon wenige Wochen später in der Asservatenkammer abgeholt werden. Dieser Service schlägt sich allerdings – wenn auch geringfügig – auf den Verkaufspreis nieder
Wer nun glaubt, dass diese Form der Gebrauchtwarenbeschaffung riskant sein könnte, irrt sich. Immerhin ist Leipzig mit mehr als 9000 abhandenkommenden Fahrrädern pro Jahr die Hochburg der Fahrraddiebe. Hier verschwinden mehr Räder als in Halle und Münster – die nachplatzierten Städte im Ranking – zusammen. Die ein oder andere zusätzliche Entwendung fällt somit kaum ins Gewicht.
Und noch ein Tipp: Bei einer Führung durch die Asservatenkammer kann auch Interesse an anderen Objekten geäußert werden. Hier findet sich ein breites Angebot von ausgestopften Tieren über Kinderwagen und geheimnisvolle Koffer bis hin zu original tschechischem Crystal Meth. Gern können bei dem zuständigen Beamten erste Gebote platziert werden. Der Bezahlvorgang kann denkbar diskret abgewickelt werden. Denn nicht einmal die findigen Juristen in Dresden sind bisher auf die Idee gekommen, dass in Leipzig mehr als nur Fahrräder aus der polizeilichen Obhut verschwinden könnten.