Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde die europäische und transatlantische Sicherheitsarchitektur nachhaltig erschüttert, was vielfältige geopolitische Verwerfungen menschenrechtlicher, ökologischer und ökonomischer Art nach sich gezogen hat. Seitdem werden von den politischen Entscheidungsträgern Antworten gesucht, um jene Sicherheitsarchitektur wieder auf perspektivisch tragfähige Füße zu stellen.
Jene Suche wird von kontroversen und leidenschaftlichen innenpolitischen Debatten begleitet, in denen mögliche Lösungsansätze kategorisch auf militärische Optionen beschränkt zu sein scheinen. Der Ruf nach einer nicht-militärischen Lösung des Konflikts und diesbezüglicher diplomatischer Bemühungen wird dabei nur allzu oft als naiv und illusorisch desavouiert, während der Ruf nach noch mehr Waffen immer lauter, drängender und hemmungsloser wird.
Weit weniger präsent in der öffentlichen Debatte ist hingegen die Frage, inwieweit unsere Unterstützung der Ukraine mit finanziellen und militärischen Mitteln sowie der Ausbildung ukrainischer Soldaten auf Bundeswehrstützpunkten mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta in Einklang zu bringen sind. Der folgende Text versucht darauf eine Antwort zu geben und wird dabei auch die Frage aufwerfen, ob es nicht ganz grundsätzlich ein Menschenrecht auf Frieden gibt. Zugleich wird er den juristischen Stand diesbezüglicher Klagen vor den Verwaltungsgerichten Berlin, Köln und Koblenz skizzieren.
Frieden ist zum einen Negativ-Zustand im Sinne des Nicht-Krieges bzw. der Abwesenheit militärischer Gewalt. Und Frieden ist zugleich eine Existenzform, die dazu verpflichtet, alles zu unterlassen, was zur Entfesselung eines Krieges führen kann. Der positive Frieden fordert deshalb die Friedensgestaltung. Frieden ist somit nicht nur ein passiver Zustand, sondern er muss andauernd geschaffen werden. Der negative und der positive Frieden sind beide im Friedensgebot des Völkerrechts und des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland angelegt. Es bedurfte dafür der traumatischen Erfahrung des Zweiten Weltkrieges, um, anders als noch in der vormaligen Völkerbundsatzung, ein umfassendes Verbot der Androhung und Anwendung militärischer Gewalt zwischen den Staaten aufzunehmen. Die in Art. 1 und 2 der Charta verankerten Grundprinzipien des Völkerrechts sind für die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen nicht nur aufgrund ihrer Ratifizierung der Charta verbindlich, sie sind auch anerkannte Normen des Völkergewohnheitsrechts. Die wesentlichen Grundgesetznormen, die das Friedensgebot zum Gegenstand haben, sind die Präambel sowie Art. 1 und 26 GG. Mit Art. 25 GG finden die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, in denen sich das Friedensgebot vor allem im Gewaltverbot und der Pflicht zur friedlichen Zusammenarbeit manifestieren, in der deutschen Rechtsordnung unmittelbare Anwendung. Als wichtigste allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG und wesentlicher Bestandteil des Friedensgebots gilt das umfassende Verbot der Androhung und Anwendung militärischer Gewalt zwischen Staaten. Die zentrale Aussage zur Friedenswahrung enthält die Präambel des Grundgesetzes mit der Rechtspflicht, »in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen«. Das Grundgesetz erhebt damit das Friedensgebot zum Staatsziel und stellt in diesem Sinne einen verfassungsrechtlich determinierten Auftrag zur Friedenswahrung und Friedensgestaltung sowie eine Orientierung für die Auslegung der Bestimmungen des Grundgesetzes mit Friedensbezug dar. Daraus lässt sich die Verpflichtung einer an Gewaltfreiheit orientierten Handlungsmaxime für die Verfassungsorgane und die Bundesregierung ableiten. Ein Krieg geht seinem Wesen nach mit schwersten Menschenrechtsverletzungen einher und ist dennoch kein rechtsfreier Raum. In außerordentlichen Ausnahmesituationen, wie bewaffnete Konflikte sie darstellen, werden einzelne Menschenrechte als derart fundamental betrachtet, dass sie nicht gegenüber anderen Erfordernissen geopfert werden dürfen. So sind in Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention u.a. das Recht auf Leben und das Verbot der Folter als notstandsfest erklärt worden und haben somit stets Vorrang vor politisch-militärischen Zwecken jeglicher Couleur.
Die Bundesregierung unterstützt den Krieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen, finanziellen Mitteln und der Ausbildung von ukrainischen Soldaten. Damit ist Deutschland im völkerrechtlichen Sinne Kriegspartei geworden, was auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gutachten (Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch Nato-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme) insinuiert hat: »Wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.« Zugleich fällt auf, dass sich die Bundesregierung (Stand September) mit diplomatischen Bemühungen zur Herbeiführung eines Waffenstillstands und zur Suche nach einer nicht-militärischen Lösung des Krieges auffallend zurückhält. Bundesaußenministerin Baerbock betont hierzu immer wieder, dass allein der russische Präsident Putin den Krieg beenden könne, wenn er nur wollte.
Verletzt die Bundesregierung mit dieser stoisch-militaristisch anmutenden Haltung die zuvor skizzierten Bestimmungen des Friedensgebotes des Grundgesetzes und der UN-Charta? Um darauf eine Antwort zu bekommen sind bei den Verwaltungsgerichten Berlin, Köln und Koblenz Klagen anhängig, in denen es um Anfragen an die Bundesregierung und die Bundeswehr zu den Hintergründen ihrer »Tätigkeiten und Entscheidungen im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine« geht. Zudem geht es um einen »Antrag auf Ausrichtung« jener Tätigkeiten und Entscheidungen »nach den Bestimmungen des Grundgesetzes und der UN-Charta«. Mit den Klagen sollen Bundesregierung und Bundeswehr dazu gebracht werden, ihr Vorgehen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg transparent darzulegen, um es somit einem öffentlichen Diskurs zuzuführen und damit die zivilgesellschaftliche Kontrolle staatlichen Handelns bei Fragen von Krieg und Frieden zu ermöglichen. Der Ausgang der Klagen ist noch nicht absehbar, aber es soll der verwaltungs- und verfassungsrechtliche Instanzenweg bestritten werden, um damit Einfluss auf die künftige Rechtsprechung in Fragen von Krieg und Frieden zu nehmen. Um Unterstützung für die bereits jetzt fälligen Gerichtskosten wird dringend gebeten (Hermann Theisen, GLS Gemeinschaftsbank, IBAN: DE88 4306 0967 6008 7785 00).
»Es ist Frieden. Und. Um alles richtiger zu machen, damit es richtig wird. Wir werden unser Leben ernster nehmen müssen darin, in welchen Zusammenhängen und mit welchen Folgen wir in der Welt sind. Das Recht auf Frieden gilt weltweit. Das Recht auf Frieden weltweit durchzusetzen, bedeutet gleichzeitig die Erhaltung der Welt demokratischerweise mitzudenken. Frieden für alle hieße alle Ressourcen für alle. Frieden ist ein anderes Wort für Gerechtigkeit« (Marlene Streeruwitz in ihrem soeben erschienenen »HANDBUCH gegen den Krieg«).