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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Krieg dem Kriege

Wann wer­den die Men­schen end­lich wach? Wann wird end­lich bei jedem ein­zel­nen ange­kom­men sein, dass er etwas gegen Krie­ge unter­neh­men muss? War­um wer­den Men­schen erst aktiv oder haben das Gefühl, jetzt muss etwas gesche­hen, wenn der Krieg vor ihrer Haus­tür steht? Die Krie­ge, die fern­ab, tag­täg­lich Men­schen­le­ben for­dern, wer­den ach­sel­zuckend hin­ge­nom­men. Allen­falls wird dar­über in dem Sin­ne dis­pu­tiert, wie der »ande­ren Bür­ger« in Goe­thes Faust: »Nichts Bes­se­res weiß ich mir an Sonn- und Fei­er­ta­gen als ein Gespräch von Krieg und Kriegs­ge­schrei, wenn hin­ten, weit, in der Tür­kei, die Völ­ker auf­ein­an­der­schla­gen.« Ange­sichts des am 24. Febru­ar 2022 begon­nen Krie­ges Russ­lands gegen die Ukrai­ne könn­te man fast geneigt sein, Erich Käst­ners apo­ka­lyp­ti­scher Aus­blick in »Das letz­ten Kapi­tel« sei alter­na­tiv­los. »Die Welt­re­gie­rung, so wur­de erklärt, stel­le fest, dass der Plan, end­gül­tig Frie­den zu stif­ten, sich gar nicht anders ver­wirk­li­chen lässt, als alle Betei­lig­ten zu vergiften.«

Die Liste der Künst­ler ist lang, die immer wie­der ver­sucht haben, die Men­schen und den Men­schen auf­zu­rüt­teln, gegen Krie­ge und Kriegs­trei­be­rei auf­zu­tre­ten und »Ewi­gen Frie­den« zu schaf­fen. Erich Müh­sam, Kurt Tuchol­sky, Erich Käst­ner, Ber­tolt Brecht und vie­le, vie­le ande­re haben sich die Hän­de wund­ge­schrie­ben und ihre Stim­me macht­voll erho­ben, um die Ursa­chen der Krie­ge und ihre Schrecken als per­ma­nen­te War­nung jeder­mann ins Bewusst­sein zu brin­gen. Was aber ist davon wirk­lich im kol­lek­ti­ven Bewusst­sein ein­ge­mei­ßelt? Was ist vor allem im staat­li­chen Han­deln, in der Staats­po­li­tik fest ver­wur­zelt? Was ist Grund­kon­sens wenig­stens in den Län­dern, die immer wie­der von sich sagen, sie wür­den den zivi­li­sa­to­ri­schen Fort­schritt ver­kör­pern, ihre Wer­te­ge­mein­schaft wür­de der Mensch­heit das Heil brin­gen? Statt­des­sen: Das Gedächt­nis der Mensch­heit für erdul­de­te Lei­den ist erstaun­lich kurz, wie es Brecht for­mu­lier­te. Ihre Vor­stel­lungs­ga­be für kom­men­de Lei­den ist fast noch geringer.

Obwohl die Ver­ein­ten Natio­nen nach dem Zwei­ten Welt­krieg fest ent­schlos­sen waren, dass künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen von der Gei­ßel des Krie­ges ver­schont blei­ben und künf­tig­hin der Welt­frie­den erste und ober­ste Prio­ri­tät haben müs­se, dau­er­te es gera­de mal fünf Jah­re, dass sich wie­der Men­schen in einem drei­jäh­ri­gen Krieg abschlach­te­ten. Städ­te wur­den bom­bar­diert und das Leben in ihnen mit Napalm aus­ge­löscht. Nord­ko­rea wur­de in die Stein­zeit zurück­bom­bar­diert. 4 Mil­lio­nen Män­ner, Frau­en, Kin­der fan­den im Korea-Krieg den Tod. Unzäh­li­ge Kriegs- und Mensch­lich­keits­ver­bre­chen wur­den began­gen. Dem Chef­an­klä­ger der USA im Nürn­ber­ger Haupt­kriegs­ver­bre­cher­pro­zess, Jack­son, schwan­te: Die­sen Ange­klag­ten einen ver­gif­te­ten Becher rei­chen, bedeu­tet, »ihn an unse­re eige­nen Lip­pen zu brin­gen«. Nürn­berg und die Leh­ren dar­aus wur­den trotz anders­lau­ten­der Beteue­run­gen mit Füßen getre­ten. Und zur histo­ri­schen Wahr­heit gehört, dass es vor allem die USA und die von ihr domi­nier­ten Mili­tär­or­ga­ni­sa­tio­nen waren, die nach dem Zwei­ten Welt­krieg eine brei­te Blut­spur durch die Welt zogen, ohne dass ihnen je ver­gif­te­te Becher gezeigt, geschwei­ge denn an die Lip­pen geführt wur­den. Weder die Kriegs- und Mensch­lich­keits­ver­bre­chen in Korea noch die in Viet­nam, Jugo­sla­wi­en, im Iran und Irak, in Liby­en, Jemen und Syri­en wur­den je gesühnt; allen­falls griff man sich die »allein Schul­di­gen« des über­fal­le­nen Lan­des her­aus, stell­te sie vor ein eigens dafür geschaf­fe­nes Gericht oder mach­te mit ihnen durch eine »extra­le­ga­le Hin­rich­tung« kur­zen Pro­zess. Dass dem Völ­ker­recht durch der­ar­ti­ge Defor­ma­tio­nen uner­mess­li­cher Scha­den zuge­fügt wur­de, kam und kommt den Initia­to­ren nicht in den Sinn.

Seit 1990 ero­diert das Völ­ker­recht mit Rie­sen­schrit­ten. Nur noch Geschichts­ver­ges­se­ne kön­nen in Abre­de stel­len, dass die sozia­li­sti­schen Staa­ten, der War­schau­er Ver­trag, die Bewe­gung der block­frei­en Staa­ten Garan­ten des demo­kra­ti­schen Völ­ker­rechts waren. Die Völ­ker­rechts­ver­bre­chen gegen Bel­grad und gegen den Irak wur­den somit zu Blau­pau­sen für den Krieg in der Ukrai­ne. Der Wahn­sinn geht so weit, dass die Staa­ten­len­ker auf den jeweils ande­ren nach dem bekann­ten Mot­to zei­gen kön­nen: Was der kann, kann ich auch. Dies wider­spricht aber jedem Recht. Aus Unrecht wird nicht Recht! Das Völ­ker­recht ist uni­ver­sal und unter­liegt nicht der Ver­jäh­rung. Es gilt nicht nur gegen­über dem Besieg­ten. Wenn im eige­nen Land der Aggres­si­ons­krieg gerecht­fer­tigt wird, wenn im eige­nen Land der Völ­ker­rechts­ver­stoß sei­ner Streit­kräf­te Bil­li­gung erfährt oder sogar gewollt ist, kön­nen weder UNO noch ihr Sicher­heits­rat noch die Ver­fas­sung der Ver­ein­ten Natio­nen das lei­sten, was sie im Inter­es­se der Erhal­tung der Mensch­heit und des Lebens auf unse­rem Pla­ne­ten zwin­gend erfor­der­lich ist.

Das Völ­ker­recht wur­de in den letz­ten Jahr­zehn­ten durch das impe­ri­al Fak­ti­sche defor­miert. Die­ser impe­ria­len Zer­set­zung muss Ein­halt gebo­ten wer­den. Zu hof­fen wäre, dass die Volks­re­pu­blik Chi­na, die Bewe­gung der block­frei­en Staa­ten und die Demon­stran­ten auf den Stra­ßen welt­weit dem Völ­ker­recht wie­der die Kraft ver­lei­hen, die es haben muss, um die Men­schen heu­te und in Zukunft von der Gei­ßel des Krie­ges bewahren.

Als im drit­ten Jahr des Mord­ge­met­zels im I. Welt­krieg Russ­lands Sowjet­macht mit dem »Dekret über den Frie­den« allen krieg­füh­ren­den Völ­kern und deren Regie­run­gen sofor­ti­ge Ver­hand­lun­gen über einen gerech­ten demo­kra­ti­schen Frie­den vor­schlug, wuss­te jeder­mann, dass das die Stim­me der Arbei­ter und Bau­ern war, also der­je­ni­gen Werk­tä­ti­gen, die stets die Zeche für die Kriegs­ge­winn­ler zu zah­len haben. Mögen sich die Werk­tä­ti­gen, die Arbei­ter, Bau­ern und Sol­da­ten aller Völ­ker und Staa­ten die­ses ein­zig­ar­ti­gen Staats­ak­tes erin­nern, der lan­ge Zeit als Richt­schnur die Poli­tik des Lan­des bestimm­te, wel­ches im II. Welt­krieg die mei­sten Opfer zu bekla­gen hat­te. Und des­halb: »Krieg dem Krie­ge! Und Frie­de auf Erden.«