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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Komplexbilder

Sechs lan­ge Jah­re war der Mies-van-der-Rohe-Bau der Neu­en Natio­nal­ga­le­rie in Ber­lin wegen grund­le­gen­der Sanie­rung geschlos­sen. Die neue Samm­lungs­prä­sen­ta­ti­on unter dem Titel »Die Kunst der Gesell­schaft 1900-1945« bie­tet nun erfreu­lich vie­le spek­ta­ku­lä­re Glanz­punk­te. Dazu gehö­ren ganz gewiss die Kom­plex­bil­der des Hein­rich Voge­l­er aus den 1920er Jahren.

In der neu­en Aus­stel­lung geht es in drei­zehn Kapi­teln um das Zusam­men­spiel von Kunst und Gesell­schaft in der ersten Hälf­te des zwan­zig­sten Jahr­hun­derts. Die aus­ge­stell­ten Wer­ke spie­geln den Weg vom deut­schen Kai­ser­reich über den ersten Welt­krieg, die »Gol­de­nen« Zwan­zi­ger Jah­re der Wei­ma­rer Repu­blik bis zu Natio­nal­so­zia­lis­mus, zwei­ter Welt­krieg und Holo­caust. Und sie span­nen den Bogen zum Hier und Jetzt. Ein­drucks­voll führt die Neue Natio­nal­ga­le­rie nun­mehr bedeu­ten­de Gemäl­de und Skulp­tu­ren der bis 1990 von­ein­an­der getrenn­ten Samm­lun­gen der Gale­rien West und Ost zusammen.

Die Aus­stel­lungs­ka­pi­tel füh­ren dem Besu­cher unter unter­schied­li­chen Über­schrif­ten die ver­schie­de­nen Kunst­rich­tun­gen der Moder­ne von Expres­sio­nis­mus über Dada bis Neue Sach­lich­keit vor Augen. Es wer­den bedeu­ten­de Kunst­wer­ke sowohl von Kirch­ner, Beck­mann, Klee, Munch, Kol­be und Nol­de, wie auch von Lehm­bruck, Marcks, Felix­mül­ler, Dix, Ehm­sen, Koll­witz und vie­len ande­ren dar­ge­bo­ten. Zum Bei­spiel auch das ein­drucks­vol­le »Bild­nis mei­ner Frau« (1929) von Hans Grundig.

Und so prä­sen­tie­ren die Kura­to­ren im Aus­stel­lungs­saal unter der Über­schrift »Poli­tik und Pro­pa­gan­da« auch drei aus­drucks­star­ke Kom­plex­bil­der von Hein­rich Voge­l­er (1872-1942): »Kul­tur­ar­beit der Stu­den­ten im Som­mer« von 1924, »Kare­li­en und Mur­mansk« von 1926 sowie »Baku« aus dem Jah­re 1927. Die­se sym­bol­träch­ti­gen groß­for­ma­ti­gen Ölge­mäl­de auf Lein­wand waren Bestand­teil der Schen­kung der Regie­rung der UdSSR an die DDR aus dem Mos­kau­er Nach­lass Hein­rich Vogel­ers, der 1942 wäh­rend des Krie­ges nach der Depor­ta­ti­on aus Mos­kau in Kasach­stan ver­stor­ben war. Die­se Bil­der sind 1953 der Natio­nal­ga­le­rie Ber­lin (Ost) über­ge­ben wor­den und sind nun­mehr wert­vol­ler Bestand­teil der Neu­en Nationalgalerie.

Hein­rich Voge­l­er hat­te mit sei­nen Kom­plex­bil­dern neue Wege erschlie­ßen wol­len zu einer rea­li­sti­schen sozia­li­sti­schen Kunst, die den arbei­ten­den Men­schen den Weg in eine neue gerech­te Zukunft wei­sen soll­te. Neben rea­li­sti­schen Sze­nen aus dem All­tag der neu­en Gesell­schaft sind in avant­gar­di­sti­schem Bild­auf­bau Sowjet-Sym­bo­le und agi­ta­to­ri­sche kom­mu­ni­sti­sche Text­zei­len zusam­men­ge­stellt. Es ist über­lie­fert, dass Voge­l­er etwa fünf­zehn die­ser soge­nann­ten Kom­plex­bil­der gemalt hat, von denen sie­ben an der Zahl erhal­ten sind. Sie sind unter ande­rem in Worps­we­de und in der Ere­mi­ta­ge in St. Peters­burg aus­ge­stellt. In den 1920er Jah­ren fan­den die­se Kunst­wer­ke sowohl in der Sowjet­uni­on, in Mos­kau und Lenin­grad, als auch in Ber­lin gro­ße Beach­tung; zum Bei­spiel auf Aus­stel­lun­gen im Karl-Lieb­knecht-Haus (1925) und im Glas­pa­last am Lehr­ter Bahn­hof (1927). Nach »Formalismus«-Vorwürfen (!) hat Voge­l­er die­se agi­ta­to­ri­sche Mal­tech­nik aufgegeben.

Des­sen unge­ach­tet stel­len die Kom­plex­bil­der von Hein­rich Voge­l­er einen wich­ti­gen und blei­ben­den Bestand­teil real­so­zia­li­sti­scher Kunst­be­stre­bun­gen dar. Ihr Erbe wird sowohl von der Neu­en Natio­nal­ga­le­rie in Ber­lin als auch vor allem in Worps­we­de bewahrt und gepflegt. Kom­plex­bil­der von Voge­l­er sind zum Bei­spiel auch ein Aus­gangs- und Höhe­punkt der aktu­el­len Aus­stel­lung »WIR. Bil­der für eine neue Kunst des Zusam­men­le­bens« im Bar­ken­hoff und der Gro­ßen Kunst­schau in Worps­we­de. Die­se Aus­stel­lun­gen sind bis März 2022 – dem Hein­rich-Voge­l­er-Jubi­lä­ums­jahr 2022 – verlängert.

Die Aus­stel­lung »Die Kunst der Gesell­schaft 1900-1945«, Samm­lung der Natio­nal­ga­le­rie, Pots­da­mer Stra­ße 50, ist bis 2.7.2023 geöff­net. Kata­log zur Aus­stel­lung von Die­ter Scholz, Iri­na Hie­bert Grun und Joa­chim Jäger.