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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kluge Monumente

Nee, schön sind sie nicht, aber beein­druckend. Wuch­tig, impo­sant und maje­stä­tisch. Und zudem ein Wun­der, weil sie – neben dem toten Gehölz – vie­le grü­ne Zwei­ge in den Him­mel recken. Selbst die Baum­bio­lo­gen bezeich­nen es als »unfass­bar«, dass sie trotz Dür­re und Hit­ze­pe­ri­oden noch immer Was­ser bis in eine Höhe von mehr als drei­ßig Metern pum­pen und dort das Eichen­laub wach­sen las­sen. Und das seit tau­send Jahren.

Kurz vor der Reu­ter­stadt Sta­ven­ha­gen, am Ran­de der Meck­len­bur­gi­schen Seen­plat­te, ste­hen sie in einem Park. Der ist beacht­li­che 150 Hekt­ar groß und war­tet mit wei­te­ren Sehens­wür­dig­kei­ten auf. Wie auch Ivenack selbst, das vor der Refor­ma­ti­on ein Klo­ster für Zister­zi­en­se­rin­nen war und spä­ter meck­len­bur­gi­scher Für­sten­sitz mit Schloss, Kir­che, Tee­haus, Oran­ge­rie und diver­sen Bau­ten, an deren Restau­rie­rung aktu­ell gear­bei­tet wird. An eini­gen barocken Gebäu­den sind die Gerü­ste schon gefal­len. Ein hüb­sches Dörf­lein, das einen Besuch lohnt. Natio­na­les Kul­tur­gut, wie es heißt, obgleich das Gebäu­de­en­sem­ble 2012 für einen sechs­stel­li­gen Betrag an einen däni­schen Geschäfts­mann ging, der nun das Klein­od herausputzt.

Magnet sind natür­lich die Eichen, die deut­sche­sten aller deut­schen Bäu­me und hier sogar Deutsch­lands älte­ste. Alle mög­li­chen Dich­ter haben die Iven­acker Eichen besun­gen, Fritz Reu­ter natür­lich auch, die Post der DDR mach­te sie 1977 mit einer Brief­mar­ke publik, und knapp vier Jahr­zehn­te spä­ter erklär­te man sie zum Natio­na­len Natur­mo­nu­ment, Deutsch­lands erstem.

Dabei sind sich die Exper­ten noch nicht ein­mal sicher, ob die­se schrun­di­gen Stäm­me acht­hun­dert oder tau­send Jah­re alt sind oder viel­leicht sogar noch um eini­ges älter, denn selbst wenn man die Bäu­me fäll­te, um die Jah­res­rin­ge zu zäh­len, käme man nicht wei­ter: Die Bäu­me sind näm­lich hohl. Und haben damit den Beweis erbracht, dass sie Phy­sik und Mathe­ma­tik beherr­schen. Der Schwei­zer Mathe­ma­ti­ker Leon­hard Euler hat sich im 18. Jahr­hun­dert näm­lich damit beschäf­tigt, wann und unter wel­chen Umstän­den Stä­be insta­bil wer­den, also knicken. Ist der Stab jedoch ein Hohl­zy­lin­der, kann er sich ver­for­men, bie­gen, aber nicht bre­chen. Das »weiß« der Baum offen­bar, und des­halb sorgt er im Lau­fe sei­nes sehr lan­gen Lebens dafür, dass Pil­ze und Mikro­or­ga­nis­men ihn aus­höh­len, damit er dem Wind trotz gro­ßer Kro­ne bes­ser trot­zen kann. Damit erweist er sich als klü­ger als man­che Behör­de, die oft hoh­le Bäu­me wegen der Ver­kehrs­si­cher­heit fäl­len oder, was nicht min­der ver­kehrt ist, mit Beton fül­len lässt. Auch damit bringt man sie um.

Obgleich es reizt, die gewal­ti­gen Stäm­me zu umfas­sen, die Fin­ger in die tie­fen Fur­chen der Bor­ke zu legen, ist dies unmög­lich. Bal­ken hal­ten die stau­nen­den Besu­cher auf Distanz, was nicht nur ver­hin­dern soll, dass die Böden überm Wur­zel­werk durch tau­sen­de Füße ver­dich­tet und die Regen­wür­mer ver­trie­ben wer­den. Die Wür­mer wur­den hier tat­säch­lich von den Wis­sen­schaft­lern gezählt, wie eben auch die Aus­schei­dun­gen des hier gehal­te­nen Dam­wil­des gemes­sen wur­de, was zu dem Schluss führ­te, den Wild­be­stand zu redu­zie­ren – bis­lang kämen die Eichen zwar mit dem über­schüs­si­gen Stick­stoff gut zurecht, aber weni­ger wäre viel­leicht besser.

Die Absper­run­gen, und das ist nun total undeutsch und mir sym­pa­thisch, wer­den nicht etwa mit einem Ver­bot begrün­det, son­dern mit grü­nen Tafeln, auf denen zu lesen steht: »Eichen­holz ist schwer! Beson­ders dann, wenn es aus drei­ßig Metern Höhe her­ab­stürzt.« Die War­nung ver­fehlt ihre Wir­kung nicht, wenn­gleich die Wahr­schein­lich­keit, von einem Ast in Ivenack erschla­gen zu wer­den, eher gering ist. Aber bekannt­lich kann man auch auf den Champs-Ély­sées von einem her­ab­stür­zen­den Holz erschla­gen wer­den, wie wir seit Ödön von Hor­várths Ende wis­sen. Des­sen Tod 1938 ist auf der rie­si­gen Zeit­lei­ste nicht ver­merkt, wel­che am Fuße der mäch­tig­sten Eiche deren Leben in Jah­res­zah­len dar­stellt. Dar­auf ist ihr Geburts­jahr mit 995 ange­ben, es geht über die Ent­deckung Ame­ri­kas 1492 – da war der Baum schon fünf­hun­dert Jah­re alt – und 1713, als der säch­si­sche Berg­rat Hans Carl von Car­lo­witz sein Buch »Hauß­wirth­li­che Nach­richt und Natur­mä­ßi­ge Anwei­sung zur wil­den Baum-Zucht« ver­öf­fent­lich­te. Dar­in kre­ierte er übri­gens den Begriff Nach­hal­tig­keit. Von Car­lo­witz for­der­te, respekt­voll und pfleg­lich mit der Natur und ihren Roh­stof­fen umzu­ge­hen, und kri­ti­sier­te den auf kurz­fri­sti­gen Gewinn aus­ge­leg­ten Raub­bau der Wäl­der. Alles also schon mal dagewesen.

Die letz­te Zahl auf der Lei­ste lau­tet 1939. In den fol­gen­den Jah­ren soll­te an Hun­der­te Kriegs­ver­bre­cher das Eichen­laub zum Rit­ter­kreuz des Eiser­nen Kreu­zes ver­lie­hen wer­den. Das letz­te Eichen­laub, das 869., bekam ein Oberst­leut­nant Fried­rich Lier am 8. Mai 1945. Über­flüs­sig zu erwäh­nen, dass in der Bun­des­wehr 674 Rit­ter­kreuz­trä­ger dien­ten, 117 schaff­ten es bis zum General.

Was man so alles ler­nen kann, wenn man unter uralten deut­schen Eichen wandelt.