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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Klinikschließungen trotz Corona

Die täg­li­chen Infek­ti­ons­zah­len in Deutsch­land sind alar­mie­rend hoch. Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel und die Mini­ster­prä­si­den­tIn­nen der Bun­des­län­der ver­ab­schie­den einen Teil-Lock­down – zunächst bis Ende Novem­ber, Ver­län­ge­rung wahr­schein­lich. Exper­tIn­nen war­nen vor einer Über­la­stung des Gesund­heits­sy­stems. Trotz der Beschrän­kun­gen bleibt die Sor­ge, dass die Kapa­zi­tä­ten in den Kran­ken­häu­sern nicht aus­rei­chen, um alle Pati­en­tIn­nen adäquat ver­sor­gen zu kön­nen. Das wäre fatal. Leben wären gefähr­det. Des­halb auch die Not­brem­se: die Schlie­ßung der Restau­rants, Kul­tur­ein­rich­tun­gen, das Run­ter­fah­ren aller Frei­zeit­an­ge­bo­te. Mit Recht kri­ti­sie­ren die Regie­ren­den die­je­ni­gen, die sich den Regu­la­ri­en wider­set­zen. Der Tenor: Jeder habe die Ver­ant­wor­tung für sich und für das Leben anderer.

Jedes Kran­ken­haus in Deutsch­land wird jetzt gebraucht

Die Argu­men­ta­ti­ons­ket­te ist schlüs­sig: Jeder schränkt sein Leben mas­siv ein, trägt zur Sen­kung der Coro­na-Infek­ti­ons­ra­te bei und schont so die Behand­lungs­ka­pa­zi­tä­ten in Kran­ken­häu­sern. Alle Kli­nik­mit­ar­bei­te­rIn­nen, die bereits beim Lock­down im März und April bis an ihre phy­si­schen Gren­zen und unter hohen Ansteckungs­ge­fah­ren Pati­en­tIn­nen behan­delt haben, wer­den auch jetzt wie­der gebraucht: die »Hel­dIn­nen der Nati­on«. Aber eben­so brau­chen wir auch jedes Kran­ken­haus in Deutschland.

Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein der Bevölkerung

Die mei­sten Bun­des­bür­ge­rIn­nen haben laut ARD-Deutsch­land­Trend Extra, Stand 7. Novem­ber, die Bot­schaft ver­stan­den. Danach geben 79 Pro­zent der Befrag­ten an, dass ohne stren­ge­re Regeln die Pan­de­mie nicht in den Griff zu bekom­men sei. 72 Pro­zent hal­ten die aktu­el­len Regeln grund­sätz­lich für ange­mes­sen oder sogar für nicht weit­rei­chend genug. Ange­sichts der ein­schnei­den­den Ein­grif­fe in die Per­sön­lich­keits­rech­te ist das ein Zei­chen hohen Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­seins. Schließ­lich geht es um Schutz und Leben von Menschen.

Genau des­halb hat die Bevöl­ke­rung umge­kehrt auch ein Anrecht auf ver­ant­wor­tungs­be­wuss­tes Han­deln der Regie­ren­den. Und ihre Vor­stel­lun­gen sind laut einer reprä­sen­ta­ti­ven For­sa-Umfra­ge der Orga­ni­sa­ti­on Gemein­gut in Bür­ge­rIn­nen­hand klar for­mu­liert: 96 Pro­zent der Befrag­ten stel­len die Pati­en­ten­ver­sor­gung über die Wirt­schaft­lich­keit von Kran­ken­häu­sern. 88 Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind gegen wei­te­re Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen in Deutschland.

Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen trotz Corona

Das mehr­heit­li­che Bekennt­nis der Bun­des­bür­ge­rIn­nen zu ihren Kran­ken­häu­sern und zu ihren »Hel­dIn­nen der Nati­on« ist bit­ter nötig! Seit Jahr­zehn­ten sind Per­so­nal und Kran­ken­haus­in­fra­struk­tur von mas­si­ven Fehl­ent­wick­lun­gen betrof­fen. Gab es 1991 noch 2411 Kran­ken­häu­ser, so waren es 2018 nur noch 1925, ein Rück­gang von immer­hin 20 Pro­zent. Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel, Gesund­heits­mi­ni­ster Jens Spahn und vie­le Mini­ster­prä­si­den­tIn­nen set­zen auf eine Zen­tra­li­sie­rung der Kli­nik­stand­or­te und unter­stüt­zen den Pro­zess durch ein syste­ma­ti­sches gesund­heits­po­li­ti­sches Pro­gramm: Ein bun­des­wei­ter Struk­tur­fonds för­dert seit 2016 Bet­ten- und Kli­nik­schlie­ßun­gen im Umfang von aktu­ell bis zu 750 Mil­lio­nen Euro jähr­lich. Län­der wie Nord­rhein-West­fa­len sehen in ihrer Kran­ken­haus­pla­nung expli­zit Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen vor. Nie­der­sach­sen plant sogar, Bür­ger­ent­schei­de zu Stand­or­ten von Kran­ken­häu­sern zu ver­hin­dern (https://www.rundblick-niedersachsen.de/groko-will-keine-buergerentscheide-mehr-zu-krankenhaus-plaenen/).

Der Skan­dal: Dar­an ändert auch Coro­na nichts. Trotz der Ermah­nun­gen der Bun­des­kanz­le­rin und des Bun­des­ge­sund­heits­mi­ni­sters, alles Erdenk­li­che zur Ein­däm­mung der Coro­na-Pan­de­mie zu unter­neh­men, geschieht das Unfass­ba­re. Sie för­dern wei­ter Kran­ken­haus­schlie­ßun­gen. Noch im Sep­tem­ber ver­ab­schie­de­te der Bun­des­tag ein Kran­ken­h­aus­zu­kunfts­ge­setz, bei dem die Umwand­lung von Zwei­bett­zim­mern in Ein­bett­zim­mern dann geför­dert wird, wenn das betref­fen­de Kran­ken­haus ins­ge­samt mit weni­ger Kli­nik­bet­ten auskommt.

Und die För­de­run­gen zei­gen Wir­kung: Allein in Bay­ern wur­den seit März die­ses Jah­res vier Kran­ken­häu­ser geschlos­sen: in Wald­sas­sen, Vohen­strauß, Roding und Fürth; in ganz Deutsch­land sind es min­de­stens 14. Das ist ein untrag­ba­rer Zustand. Wer so han­delt, gefähr­det die Gesund­heit der Bevöl­ke­rung und han­delt grob fahr­läs­sig. Die Regie­ren­den in Bund und Bun­des­län­dern ver­let­zen ihre Sorg­falts­pflicht gegen­über der Bevöl­ke­rung und neh­men – auf Kosten des Gemein­wohls – einen Kol­laps des Gesund­heits­we­sens bewusst in Kauf.

Tra­gik und Gefahren

Bei all den drin­gen­den Appel­len um mehr Dis­zi­plin wäh­rend der Pan­de­mie scheint die Mehr­heit der Bür­ge­rIn­nen den Pro­zess syste­ma­ti­schen Kli­nik­ster­bens noch gar nicht regi­striert zu haben. Die Fol­gen aber sind fatal: Immer weni­ger Kli­ni­ken wer­den für eine adäqua­te kli­ni­sche Ver­sor­gung zur Ver­fü­gung ste­hen. Bei Kata­stro­phen­fäl­len und Pan­de­mien ist die kli­ni­sche Ver­sor­gung akut gefähr­det, weil Kapa­zi­tä­ten feh­len. Das wohn­ort­na­he Kran­ken­haus hat kei­ne Zukunft mehr. Mit­ar­bei­te­rIn­nen in Kran­ken­häu­sern wer­den syste­ma­tisch bis zur Bela­stungs­gren­ze in Anspruch genom­men. Sie ban­gen um ihren Stand­ort und ihren Arbeits­platz. Die »Hel­dIn­nen der Nati­on« fal­len öko­no­mi­schen Fehl­ent­schei­dun­gen zum Opfer.

Demo­kra­tie­ver­ständ­nis

Laut einer For­sa-Umfra­ge des Katho­li­schen Kran­ken­haus­ver­ban­des vom Juli ist 93 Pro­zent der Befrag­ten eine wohn­ort­na­he Kran­ken­haus­ver­sor­gung wich­tig oder sehr wich­tig. Es ist Auf­ga­be und Ver­pflich­tung der Regie­ren­den, den Wil­len der Bür­ge­rIn­nen umzu­set­zen. Die wohn­ort­na­he kli­ni­sche Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung ist unver­zicht­ba­rer Bestand­teil der Daseins­vor­sor­ge. Wer das Votum miss­ach­tet, ver­letzt auch das Demokratieverständnis.

Klaus Emme­rich befin­det sich im Ruhe­stand. Er war bis zum 31. August 2020 Vor­stand zwei­er kom­mu­na­ler Kli­ni­ken in Bayern.