Es ist gerade zwei Jahre her, dass eine fünfzehnjährige schwedische Klimaaktivistin Geschichte schrieb und zum Symbol einer ganzen Welle von Umweltprotesten wurde. Jugendliche und Kinder lehnten sich gegen die Zerstörung ihrer Zukunft auf. Mit der Corona-Pandemie scheint diese Bewegung verebbt – macht es noch Sinn, gegen den umweltzerstörenden Massentourismus zu protestieren, der nun infolge der pandemiebedingten Restriktionen gestoppt ist? Obendrein bremsen die Restriktionen die Straßenproteste von Umweltschützern aus. Aber weitgehend auch die Thematisierung der Umweltzerstörung durch Werke von Kunst und Literatur … So ist es sehr sympathisch und begrüßenswert, dass das Berliner Atze-Musiktheater mit der Produktion »No Planet B – Das Gericht der Kinder zum Klimawandel« an die Klimaproteste vor Einbruch der Pandemie anknüpft.
Autor Thomas Sutter hat in seinem Text das Hereinbrechen der Klimakatastrophe samt deren Folgen beschrieben. Regisseur Yüksel Yolcu ist es mittels Schauspielkunst, Musik und Videos gelungen, diese begreifbar für ein sehr junges Publikum auf die Bühne zu stellen. Dabei wird die Rampe immer wieder überwunden, durchbrochen – nicht zuletzt in einer solchen Öffnung der Szene bestehen ästhetischer Reiz und Spaß der Aufführung: Die Zuschauer werden direkt angesprochen, auch angesungen, werden aufgefordert zum Mittun; und am Ende geht das szenische Geschehen jäh über in eine Publikumsdiskussion: Die drei jungen Leute, darunter zwei Kinder, die zu Beginn die weltbedeutenden Bretter stürmten, haben ein Gericht gebildet und wollen nun zu einem Urteil über Klimasünder kommen.
Wen aber soll man verurteilen? Einer durchschnittlichen Normalbürgerin wird der Prozess gemacht. Zu Recht – denn schließlich gehört diese Frau Salzmann, die Nachbarin der Kinder, zu der übergroßen Mehrheit derer, die aus Egoismus, aus Gedankenlosigkeit und auch aus schlichter Überforderung zur Umweltzerstörung beigetragen haben. Hat sie durch ihre unvernünftige Lebensweise unsinnig viel Energie verschwendet? Gewiss. Hat sie Unmengen an Plastemüll erzeugt? Gewiss. Hätte sie – statt mit dem Auto zu fahren – manchmal besser das Rad nutzen sollen? Gewiss. Hätte sie auf energiefressende Urlaubsflüge und eine exzessive Internetnutzung lieber verzichten sollen? Gewiss. Frau Salzmann ist schuld, und das kindliche Publikum darf sich Strafen ausdenken.
Es ist sicher sinnvoll, an die Vernunft zu appellieren und auf die Mitverantwortung jedes einzelnen Menschen hinzuweisen. Aber wer ist in welchem Umfang an der bevorstehenden Katastrophe schuld? Haben nicht ökonomische und soziale Verhältnisse – sprich: Wachstumszwang, Konsumismus, profitgeile Ausbeutung von Mensch und Natur – etwas mit der fortschreitenden Katastrophe zu tun? Davon ist nichts, rein gar nichts auf der Bühne zu hören. Bei der Uraufführung am 3. Oktober kam allerdings eine Einrede aus dem Zuschauerraum: Man lebe im Kapitalismus, und große Teile der Umweltzerstörung resultierten doch wohl aus dessen Zwängen … Auf solche Erkenntnisse aus der Welt der Erwachsenen gibt das Stück für Kinder ab zehn Jahre keine Antwort und kann sie wohl auch nicht geben.
Thomas Sutter »No Planet B – Das Gericht der Kinder zum Klimawandel«, Atze Musiktheater, www.atzeberlin.de