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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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»Kein Drama«

Sel­ten ist es mög­lich, den Wan­del eines Ele­ments im kul­tu­rel­len Bereich inner­halb eines Jahr­fünfts mit eini­ger Sicher­heit zu beur­tei­len, genau­er gesagt: den Wan­del im Bereich des Thea­ters. Vor vier­ein­halb Jah­ren hat­te ich für Ossietzky (14/​2018) einen Bericht über eine Tagung geschrie­ben, in der es um »Roman-Thea­ter«, also um das Phä­no­men ging, dass seit den 1990er Jah­ren immer häu­fi­ger Roman-Bear­bei­tun­gen auf die Büh­ne gebracht werden.

Nun hielt am 14.11. die­ses Jah­res ein Dra­ma­turg des »Tha­lia Thea­ters«, Mat­thi­as Gün­ther, im Rah­men des »All­ge­mei­nen Vor­le­sungs­we­sens« der Uni­ver­si­tät Ham­burg einen Vor­trag zum sel­ben The­ma. Sei­ner­zeit war auch das »Tha­lia« (z. B. durch sei­nen Inten­dan­ten Joa­chim Lux) betei­ligt gewesen.

In den mei­sten Bei­trä­gen war ver­sucht wor­den, die auf­fäl­li­ge Zunah­me von Roman­be­ar­bei­tun­gen für die Büh­ne zu recht­fer­ti­gen, wor­an sich maß­geb­lich eine Pro­fes­so­rin der Uni­ver­si­tät (Lite­ra­tur­wis­sen­schaft) betei­lig­te: Zunächst wur­de ein »Groß­kri­ti­ker« der FAZ fron­tal ange­grif­fen, der Anstoß an die­ser Ent­wick­lung genom­men hat­te; dann wur­de argu­men­tiert, die Tren­nung der lite­ra­ri­schen Gat­tun­gen (Epik, Lyrik, Dra­ma­tik) sei künst­lich; sie alle hät­ten ihren gemein­sa­men Ursprung im »Erzäh­len«. Schließ­lich aber räum­te Lux ein, dass die Zunah­me der Zahl von Roman­be­ar­bei­tun­gen für die Büh­ne auch auf »Roh­stoff­man­gel« (sprich: Man­gel an spiel­ba­ren Stücken) zurück­zu­füh­ren sei. Von der Gegen­sei­te wur­den als Moti­ve für die ver­än­der­te Auf­füh­rungs­pra­xis auch Anbie­de­rung an das Publi­kum und die Mög­lich­keit, (als Roman) Bekann­tes als Urauf­füh­rung aus­zu­ge­ben, genannt.

Nach­dem der Refe­rent den Spiel­plan sei­nes Thea­ters im Über­blick dar­ge­stellt hat­te, zeig­te er sich »ent­setzt« über sei­ne eige­ne Rol­le in die­sem Pro­zess: Ihn erschrecke die hohe Zahl der Roman­be­ar­bei­tun­gen im Ver­gleich zu Thea­ter­stücken im klas­si­schen Sin­ne, die in der lau­fen­den Spiel­zeit an sei­nem Thea­ter auf­ge­führt wur­den, und die er zu ver­ant­wor­ten hatte.

Nach Art eines groß­zü­gi­gen Sie­gers bedau­er­te er anschlie­ßend, dass nur weni­ge genui­ne Thea­ter­stücke neu ange­bo­ten wür­den und dass das klas­si­sche Publi­kum (das er offen­bar mit den Abon­nen­tIn­nen gleich­setz­te) zah­len­mä­ßig eine immer gerin­ge­re Rol­le spie­le. Er hob her­vor, dass es dar­um gehe, die Jugend für das Thea­ter zu gewin­nen, brach­te aber ein pro­ble­ma­ti­sches Bei­spiel: Drei Jah­re sei ein Roman-»Stück« mit gro­ßem Erfolg gespielt wor­den, weil Ober­stu­fen­schü­ler den zu Grun­de lie­gen­den Roman als Pflicht­lek­tü­re für das Abitur zu lesen hat­ten. Da kann wohl nur von einer Sekun­därm­oti­va­ti­on, ins Thea­ter zu gehen, gespro­chen werden.

Fazit nach 4 ½ Jah­ren: Das Roman­thea­ter scheint auf sei­nem Durch­marsch so weit gelangt zu sein, dass es sich Groß­mut gegen­über sei­nen Geg­nern bzw. Ver­äch­tern lei­sten kann. Nichts ist so erfolg­reich wie der Erfolg!