Selten ist es möglich, den Wandel eines Elements im kulturellen Bereich innerhalb eines Jahrfünfts mit einiger Sicherheit zu beurteilen, genauer gesagt: den Wandel im Bereich des Theaters. Vor viereinhalb Jahren hatte ich für Ossietzky (14/2018) einen Bericht über eine Tagung geschrieben, in der es um »Roman-Theater«, also um das Phänomen ging, dass seit den 1990er Jahren immer häufiger Roman-Bearbeitungen auf die Bühne gebracht werden.
Nun hielt am 14.11. dieses Jahres ein Dramaturg des »Thalia Theaters«, Matthias Günther, im Rahmen des »Allgemeinen Vorlesungswesens« der Universität Hamburg einen Vortrag zum selben Thema. Seinerzeit war auch das »Thalia« (z. B. durch seinen Intendanten Joachim Lux) beteiligt gewesen.
In den meisten Beiträgen war versucht worden, die auffällige Zunahme von Romanbearbeitungen für die Bühne zu rechtfertigen, woran sich maßgeblich eine Professorin der Universität (Literaturwissenschaft) beteiligte: Zunächst wurde ein »Großkritiker« der FAZ frontal angegriffen, der Anstoß an dieser Entwicklung genommen hatte; dann wurde argumentiert, die Trennung der literarischen Gattungen (Epik, Lyrik, Dramatik) sei künstlich; sie alle hätten ihren gemeinsamen Ursprung im »Erzählen«. Schließlich aber räumte Lux ein, dass die Zunahme der Zahl von Romanbearbeitungen für die Bühne auch auf »Rohstoffmangel« (sprich: Mangel an spielbaren Stücken) zurückzuführen sei. Von der Gegenseite wurden als Motive für die veränderte Aufführungspraxis auch Anbiederung an das Publikum und die Möglichkeit, (als Roman) Bekanntes als Uraufführung auszugeben, genannt.
Nachdem der Referent den Spielplan seines Theaters im Überblick dargestellt hatte, zeigte er sich »entsetzt« über seine eigene Rolle in diesem Prozess: Ihn erschrecke die hohe Zahl der Romanbearbeitungen im Vergleich zu Theaterstücken im klassischen Sinne, die in der laufenden Spielzeit an seinem Theater aufgeführt wurden, und die er zu verantworten hatte.
Nach Art eines großzügigen Siegers bedauerte er anschließend, dass nur wenige genuine Theaterstücke neu angeboten würden und dass das klassische Publikum (das er offenbar mit den AbonnentInnen gleichsetzte) zahlenmäßig eine immer geringere Rolle spiele. Er hob hervor, dass es darum gehe, die Jugend für das Theater zu gewinnen, brachte aber ein problematisches Beispiel: Drei Jahre sei ein Roman-»Stück« mit großem Erfolg gespielt worden, weil Oberstufenschüler den zu Grunde liegenden Roman als Pflichtlektüre für das Abitur zu lesen hatten. Da kann wohl nur von einer Sekundärmotivation, ins Theater zu gehen, gesprochen werden.
Fazit nach 4 ½ Jahren: Das Romantheater scheint auf seinem Durchmarsch so weit gelangt zu sein, dass es sich Großmut gegenüber seinen Gegnern bzw. Verächtern leisten kann. Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg!