Die in Moskau erscheinende liberale Wirtschaftszeitung Kommersant gab in der Wochenendausgabe vom 8. April unter dem Titel »Über die Übel des Tages hinaus« einige Leseempfehlungen. Sie beginnen allerdings mit der ziemlich tagesaktuellen Feststellung: »In Zeiten der Katastrophe wird alles einer Durchsicht unterzogen.« Gerade in solchen »Zeiten« wird den Leserinnen und Lesern die erneute Lektüre von vierzehn Werken russischer und europäischer Autoren nahegelegt. Keines der Bücher ist nach 2000 verfasst worden, aber die ausführlich kommentierte Liste hat es in sich:
Eugène Ionesco: Die Nashörner
George Orwell: 1984
Franz Kafka: Die Verwandlung
Fjodor Dostojewskij: Bobok
Bertolt Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder
Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften
Thomas Mann: Doktor Faustus
Albert Camus: Die Pest
Anton Tschechow: Krankenzimmer Nr. 6
Wsewolod Garschin: Vier Tage
Jean-Paul Sartre: Die Fliegen
Friedrich Gorenstein: Der Platz
William Shakespeare: Richard III.
Charles Dickens: Eine Geschichte aus zwei Städten
Wer vielleicht das eine oder andere der 14 aufgelisteten Werke nicht kennt, findet in der deutschsprachigen Wikipedia zu 13 von ihnen eigene Artikel, kann sich also eingehend informieren; lediglich Gorensteins monumentaler Roman Der Platz (Mesto) hat nur in der russischsprachigen Wikipedia einen eigenen Artikel, was verwunderlich ist, da der Autor, 1932 in Kiew geboren, ab1966 in Moskau ansässig, von 1979 bis zu seinem Tod (2002) in Berlin gelebt und 1997 in einem Interview mit Peter Jacobs in der Berliner Zeitung erklärt hatte: »Nach Russland zurück? Ich bin doch kein Masochist.«
In den Leseempfehlungen findet sich kein Wort zum gegenwärtigen Krieg, der sogenannten »militärischen Sonderoperation«. Das ist, wer um die in den Büchern dargestellten Schicksale der Helden beziehungsweise Anti-Helden weiß, auch nicht vonnöten.