Ulrike Herrmann – Wirtschaftsredakteurin der TAZ – hat ein Buch hervorgebracht mit dem verführerischen Titel »Das Ende des Kapitalismus«. Es ist als Bestseller in vieler Munde – als Patentrezept, gar Erlösungsbotschaft begrüßt, besonders von vielen Grün-Alternativen, Linksliberalen oder »Lifestile-Linken« sowie TAZ-Getreuen. Sie hat ihre Ideen auf Buchformat ausgebreitet, die sie schon länger in Artikeln dargelegt hat, zuletzt auszugsweise in le monde diplomatique in deutscher Sprache vom September 2022. Zu ihrer postulierten Schrumpfökonomie, mit der sie meint, »den Kapitalismus verlassen« zu können – durch eine erstmals von ihr entdeckte vermeintliche Hintertür –, kann man nur sagen: Schön wärs. Schön wärs, wenn man so einfach die Rechnung ohne das Kapital und ohne den Imperialismus machen könnte, wie sie das macht. Ein staatlich organisiertes, friedliches Dahinscheiden (Ende?) des Kapitalismus ganz ohne Klassenkampf, ohne Machtfrage, ohne Revolution – es wäre so schön, dass man sich fragen muss: Kann sie das wirklich ernst meinen, ist das ungewollte Satire oder vielleicht eine buchförmige Riesenvergackeierung des Publikums?
Herrmann mag die bedrohlichen Zustände noch so eindrucksvoll und ausführlich beschreiben, ihr Rezept ist paradox. Ausgerechnet WIR sollen gemeinsam mit DENEN, die die Macht haben, also unter Führung der Verursacher gegen die dystopischen Perspektiven des Kapitalismus vorgehen. Woran sich alle – angefangen mit dem Club of Rome, über Klimakonferenzen bis zur UNO und zum Papst – regelmäßig die stumpfen Zähne ausbeißen.
Wachsen oder zurückbleiben ist das A&O jedes einzelnen Kapitalisten, Wettbewerbsfähigkeit ist alles; wer nicht mithält, geht letztlich unter in der Konkurrenz. Sämtliche börsennotierten Firmen werden nach Umsatz, Wachstum und Profit bewertet. Wer nicht »performt«, geht baden. Die Elon Musks, die Zuckerbergs, Öl-Multis, BlackRocks, die Agrar-, Chemie- und Autokonzerne etc. ebenso wie militärisch-industrielle Komplexe können ihre Rachen bekanntlich nie voll genug bekommen. Schmelzende Polkappen, tauender Permafrost und vernichtete Urwälder versprechen Neuland und riesige neue Rohstoffquellen. Steigende Meeresspiegel bieten glänzende Aussichten auf boomenden Küstenschutz und Umsiedlungsprojekte. Wachstum ist auch das höchste kapitalistische Staatsziel. Das oberste Rezept auch, mit dem man die akzelerierenden Schuldenberge noch zu verkaufen sucht, heißt ja Wachstum, Wachstum, »herauswachsen« aus den Schulden – wie das Regierungen und sämtliche bürgerlichen Ökonomen, auch der DGB, glauben machen wollen. Wachstum mit wachsenden Schuldenbergen bleibt ihnen als letzter Trost, dass ihr System auch den nächsten Crash überdauert. Nach jeder Rezession, wie auch jetzt wieder, hoffen und setzen sie auf erneutes Wachstum.
Herrmann meint, »es ist unmöglich, diese gigantischen Schulden jemals zu tilgen oder zurückzuzahlen«. Richtig, denn sie sind das fantastische Mittel, um das Weiterwachsen riesiger Vermögensblasen durch Gelddrucken der Zentralbanken zu generieren und immer mehr Reichtum auf Kosten der Arbeitenden bei allseitig wachsender Ungleichheit. (Auch die »Green-New-Deals« sind in diesem Sinn ein Billionengeschäft für »Investoren«.)
Das Kapital kann nur durch Krisen – deren extremste Form imperialistische Kriege sind – seine systembedingt-unvermeidlich aufgestauten Widersprüche vorübergehend lösen. Solche Kriege sind das ultimative Schrumpfrezept des Kapitals. Insofern ist es überhaupt kein Wunder, wenn imperialistische Staaten alles stehen und liegen lassen (Marktwirtschaft, Freiheit für Kapital und Arbeit, Freihandel etc., und sonstige heilige »Werte«, meist auch Demokratie), wenn es um die Eroberung bzw. Behauptung von Einflusssphären, Rohstoffquellen, Absatzmärkten, Weltmacht etc. – sprich um die imperialistische Wurst geht.
Warum Herrmann für einen »geordneten Rückbau des Kapitalismus« so hoffnungsvoll ausgerechnet und nur auf das angeblich so »faszinierende Modell« der britischen Kriegswirtschaft ab 1940 verweist, mit dem es »zum Glück« »bereits ein historisches Schrumpfungsmodell« gäbe, »an dem man sich orientieren könnte«, ist allein schon nicht nachvollziehbar. Bereits die Kriegswirtschaft im 1. Weltkrieg bot Schrumpfmodelle, »wie eine Regierung effektiv lenken kann, um die Wirtschaft radikal umzustellen«. Immerhin wurde auch das gigantische Rüstungsprogramm Hitler-Deutschlands in den 1930er Jahren sogar bis über den Kriegsbeginn 1939 hinaus von einem eklatanten schuldenbasierten Aufschwung begleitet, der – nach Ausschaltung jeglicher Opposition – von der Mehrheit der Bevölkerung im anfänglichen Siegesrausch geradezu bejubelt wurde. Die Arbeitslosen wurden »von der Straße geholt«, Autobahnen weitergebaut usw. usf. – ja zumindest bis Stalingrad konnte auch in Deutschland »die Kriegswirtschaft so gut funktionieren«, dass sie »ungemein populär« war. Das Schrumpfen des Konsums und Rationierungen wurden erstmal genauso hingenommen wie im »faszinierenden Modell« GB. Danach kam das Schrumpfen sogar derart richtig in Fahrt, dass rauchende Trümmerlandschaften den Rückbau zu großen Teilen fast perfekt machten.
Nach allen Krisen, Kriegen und den entsprechenden Schrumpfepisoden ging und geht es anschließend stets und immer weiter mit dem Wachstum, auch in GB, solange es Kapitalismus gibt.
Schon der Buchtitel »Das Ende des Kapitalismus« steht so in diametralem Widerspruch zum inhaltlichen Anliegen des Buches, das ein illusionäres »Gesundschrumpfen« des Kapitalismus propagiert, also das glatte Gegenteil seines Endes. Denn die Machtverhältnisse ignoriert Herrmann vollkommen, genauso wie die imperialistische Konkurrenz. Ausgerechnet das Kapital und sein Staat sollen selbst dafür sorgen, dass »der Rückbau des Kapitalismus … geordnet von statten« geht. Genauso könnte man von Raubtieren verlangen, sich »geordnet« von ihrem Fleischkonsum zugunsten von Gras und Heu zu verabschieden.
Ulrike Herrmann, Das Ende des Kapitalismus, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 352 S., 24 €.