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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Kann Klein Mörder sein?

Eine Erzäh­lung wie von Kaf­ka für kom­men­de Rich­ter auf einer Web­site für Jura-Stu­den­ten: »K. wur­de 1988 erst­mals Zeu­ge eines gro­ßen Nato-Manö­vers und zeig­te sich dar­über tief bestürzt.« So hebt eine Fall­schil­de­rung an auf https://www.iurastudent.de/leadingcase/soldaten-sind-m%C3%B6rder. K. nahm ein Betttuch, schrieb dar­auf: »A sol­dier is a mur­der« (wört­lich über­setzt: Ein Sol­dat ist ein Mord, nicht: a mur­de­rer = Mör­der) und befe­stig­te es an einer Stra­ßen­kreu­zung am Orts­rand. Da kam der Bun­des­wehr­of­fi­zier O. des Weges und stell­te Strafantrag.

  1. wur­de wegen Belei­di­gung (§ 185 StGB) des O. bestraft. Das Amts­ge­richt Ans­bach führ­te in der Begrün­dung aus, K habe die Begrif­fe »mur­der« und »mur­de­rer« ver­wech­selt und sinn­ge­mäß geäu­ßert; Sol­da­ten sei­en Mör­der. Das sei eine »straf­ba­re Belei­di­gung«. Denn die Kol­lek­tiv­be­zeich­nung »Sol­da­ten« umfas­se auch den enge­ren, klar abgrenz­ba­ren und über­schau­ba­ren Kreis der akti­ven Sol­da­ten der Bun­des­wehr und stel­le somit einen rechts­wid­ri­gen Angriff auf die Ehre des O. dar. Und tat­sa­chen­ad­äquat sei die Bezeich­nung auch nicht, da »noch nie­mand durch BW-Sol­da­ten ums Leben gekom­men« sei.

Das Urteil stammt aus der Zeit kurz vor dem Anschluss der DDR an die Bun­des­re­pu­blik, als eben­die­sel­be noch kei­ne Krie­ge führ­te. »Sol­da­ten sind Mör­der« oder »Ein Sol­dat ist ein Mord«, konn­te so vom Amts­ge­richt als »Belei­di­gung« gewer­tet werden.

Das änder­te sich schnell. 1995, im fünf­ten Jahr der deut­schen Ein­heit, durf­ten deut­sche Sol­da­ten wie­der Mör­der sein. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hob das Urteil des Amts­ge­richts Ans­bach auf. Und bald konn­te man auch mit dem besten oder böse­sten Wil­len nicht mehr sagen, dass noch nie­mand durch die Bun­des­wehr ums Leben gekom­men sei – und Ger­hard Schrö­der noch nicht ein­mal den Über­fall zur Aus­lö­schung Jugo­sla­wi­ens sieg­reich fort­ge­setzt hat­te, den Adolf Hit­ler 1941 begann.

»Sol­da­ten sind Mör­der«, stand schon 1931 in der Weltbühne Der in Paris leben­de Kurt Tuchol­sky hat­te es erkannt, und Carl von Ossietzky, der das druck­te, muss­te vor Gericht und wur­de über­ra­schend frei­ge­spro­chen. Gegen den Frei­spruch erließ der ober­ste Men­schen­ver­nich­ter des gera­de ver­gan­ge­nen Kai­ser­reichs, Gene­ral­feld­mar­schall Paul von Hin­den­burg, als frei­ge­wähl­ter Prä­si­dent der Wei­ma­rer Repu­blik eine Notverordnung.

Und als er ihm dann die Macht über­ge­ben hat­te, mach­te Adolf Hit­ler etwas spä­ter den Ober­sten Georg Heu­sin­ger zum »Chef der Par­ti­sa­nen­be­kämp­fung«. Der war schon drei Mona­te vor dem Über­fall auf die Sowjet­uni­on von sei­nen Vor­ge­setz­ten infor­miert wor­den, dass der bald kom­men­de Krieg als »Ver­nich­tungs­krieg« zu füh­ren sei, zur »syste­ma­ti­schen Redu­zie­rung des Sla­wen- und Juden­tums«. Heu­sin­ger durf­te Richt­li­ni­en zur »Ban­den­be­kämp­fung« ver­fas­sen, Anlei­tun­gen zum Mord, die ihren Ver­fas­ser vom Ober­sten zum Gene­ral auf­stei­gen lie­ßen – ein Kar­rie­re­mu­ster, wie sich heu­te zeigt.

Nach der bekann­ten Kata­stro­phe arbei­te­te Heu­sin­ger sofort in der »Histo­ri­cal Divi­si­on« der USA gegen die Sowjet­uni­on. Die Wie­der­auf­rich­tung der Wehr­macht als »Bun­des­wehr« betrieb er seit 1948 unter fal­schem Namen im Unter­grund der Orga­ni­sa­ti­on Geh­len in Pul­lach. Rechts­nach­fol­ger Kon­rad Ade­nau­er mach­te Heu­sin­ger dann zum ersten Ober­kom­man­die­ren­den der neu­auf­ge­stell­ten Bun­des­wehr. Und wer als Oberst tüch­tig war, konn­te als Gene­ral nicht nur in die­sem Land etwas wer­den: Heu­sin­ger rück­te schließ­lich in die Kom­man­do­struk­tu­ren der NATO ein.

In der Nach­fol­ge sei­ner Ban­den­be­kämp­fung ste­hen heu­te die Män­ner des Kom­man­do Spe­zi­al­kräf­te (KSK) der Bun­des­wehr. Die­se berei­ten schon lan­ge im Inland mit Waf­fen­ver­stecken im Unter­grund den Putsch vor. Nach­dem das Bun­des­kri­mi­nal­amt auf dem KSK-Kaser­nen­ge­län­de in Calw nach ille­ga­len Muni­ti­ons­de­pots gesucht hat­te, und immer mehr Waf­fen und Muni­ti­ons­ver­stecke in den Häu­sern und Gär­ten der KSK-Leu­te gefun­den wer­den, ver­sprach die KSK-Kom­man­do­füh­rung allen Kame­ra­den »Straf­frei­heit«, wenn sie bei­sei­te­ge­schaff­te Waf­fen, ablie­fern. 1920, beim Kapp-Putsch konn­ten die Anfüh­rer nicht sel­ber eine Amne­stie ver­kün­den. Das muss­te damals noch die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Regie­rung besor­gen, gegen die die Gene­ra­le geputscht hatten.

Aber die KSK ist auch seit vie­len Jah­ren als Geheim­trup­pe am Hin­du­kusch für die Frei­heit unse­rer Han­dels­we­ge tätig. In der gan­zen Welt bekannt wur­de der deut­sche Frei­heits­kampf in Afgha­ni­stan aber nicht etwa durch Brun­nen­boh­ren und Mäd­chen­schul­bau, son­dern durch den Ober­sten Georg Klein, der im Sep­tem­ber 2009 mit sei­nem Mas­sa­ker von Kun­dus welt­wei­te Auf­merk­sam­keit für sich und sein Deutsch­land errang.

Es waren Män­ner des neo­na­zi­sti­schen KSK, die dem tötungs­wil­li­gen Ober­sten die Vor­ga­be zur Tat lie­fer­ten: Der Tali­ban habe zwei Tank­zü­ge ent­führt, die unzu­läs­si­ger­wei­se als Spreng­wa­gen auf deut­sche Sol­da­ten los­ge­las­sen wer­den sol­len. Ein trü­ber Infor­mant mel­de­te den Stand­ort der bei­den Tank­la­ster, die im Sand stecken­ge­blie­ben waren. Die Tali­ban woll­ten sie wie­der flott machen.

Oberst Klein prüf­te nicht lang, wer die­se Tali­ban sei­en. Er zöger­te nicht mal, als die Pilo­ten des mit der Bom­bar­die­rung beauf­trag­ten US-Flug­zeugs vor­schlu­gen, den Ort im Tief­flug zu über­flie­gen, um dort befind­li­che Zivi­li­sten zu ver­trei­ben. Oberst Klein kann­te nur den deut­schen Tra­di­ti­ons­be­fehl: »Ver­nich­ten! Ver­nich­ten!« So lösch­te er das Leben von mehr als hun­dert Kin­dern, Frau­en und Män­nern aus.

Oberst Klein bekam den Lohn für das Mas­sa­ker, das er ange­rich­tet hat­te. Er wur­de von der Bun­des­wehr gefei­ert, zum Bri­ga­de­ge­ne­ral beför­dert und zum Abtei­lungs­lei­ter I Per­so­nal­füh­rung der Unter­of­fi­zie­re und Mann­schaf­ten im neu­en Bun­des­amt für das Per­so­nal­ma­nage­ment der Bun­des­wehr ernannt. Das Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­ri­um erklär­te zugleich, dass Klein für die künf­ti­ge Tätig­keit »gut geeig­net« sei und alle fach­li­chen Vor­aus­set­zun­gen erfülle.

Inzwi­schen ist der Sie­ger von Kun­dus zum Lei­ter der gemein­sa­men Aus­bil­dung im Streit­kräf­teamt noch höher beför­dert. Die deut­schen Sol­da­ten betrach­ten ihn noch immer als ihr Vor­bild. Die KSK aber, die ihm in Kun­dus zum Sieg ver­hol­fen hat, wird zur Zeit von ein paar Poli­ti­kern scheel ange­se­hen, nur weil eini­ge – weni­ge sind es nicht – Patrio­ten in ihren Rei­hen für den Tag X in ihren Gär­ten und anders­wo Waf­fen ver­gra­ben haben.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat längst gleich­ge­zo­gen und die beson­de­ren Qua­li­tä­ten von Sol­da­ten aner­kannt. Damals, bis 2009, ging man vie­ler­orts immer noch davon aus, dass bun­des­deut­sches Mili­tär nur der Ver­tei­di­gung die­ne, was jedoch der geschicht­li­chen Erfah­rung wider­sprach. Seit 1871, seit Deutsch­land als Staats­we­sen bestand, wur­de es noch nie ange­grif­fen, stets waren wir es, die über ande­re herfielen.

Jetzt hat der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te dem Mas­sa­ker von Kun­dus und damit auch unse­rem Gene­ral Klein sei­nen höch­sten Segen gege­ben. Das Leben ist für des­sen Opfer kein ein­klag­ba­res Men­schen­recht. Jedes euro­päi­sche Land hat in die­sem Men­schen­rechts­ge­richts­hof eine Stim­me. Deutsch­land bekam sie alle. Die deut­sche Justiz habe mit ihrer Blocka­de gegen die Opfer des Ober­sten Klein alles rich­tig gemacht. Und die afgha­ni­schen Opfer­an­wäl­te muss­ten wie­der abziehen.

Trotz­dem: der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te hat eigent­lich gar nichts gegen eben­die­sel­ben. Wenn die geeig­ne­ten Opfer bei ihm vor­spre­chen. Weni­ge Tage nach der Abfuhr für die Afgha­nen setz­te sich die­se Recht­spre­cher­ge­mein­schaft – es gab kein deut­sches Veto – uner­schrocken für geeig­ne­te Men­schen­rech­te ein. Mel­dung aus Straß­burg: »Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) hat Russ­land auf­ge­for­dert, Oppo­si­ti­ons­füh­rer Ale­xej Nawal­ny unver­züg­lich aus der Haft zu ent­las­sen. Wie das Gericht am Mitt­woch mit­teil­te, gab es damit einem Antrag Nawal­nys auf Erlass einst­wei­li­ger Maß­nah­men statt. Die­se Ent­schei­dung ist laut Gericht ver­bind­lich, sol­che statt­ge­ben­den Ent­schei­dun­gen wür­den nur sel­ten und bei unmit­tel­ba­rer Gefahr eines irrepa­ra­blen Scha­dens getroffen.«