Eine Erzählung wie von Kafka für kommende Richter auf einer Website für Jura-Studenten: »K. wurde 1988 erstmals Zeuge eines großen Nato-Manövers und zeigte sich darüber tief bestürzt.« So hebt eine Fallschilderung an auf https://www.iurastudent.de/leadingcase/soldaten-sind-m%C3%B6rder. K. nahm ein Betttuch, schrieb darauf: »A soldier is a murder« (wörtlich übersetzt: Ein Soldat ist ein Mord, nicht: a murderer = Mörder) und befestigte es an einer Straßenkreuzung am Ortsrand. Da kam der Bundeswehroffizier O. des Weges und stellte Strafantrag.
- wurde wegen Beleidigung (§ 185 StGB) des O. bestraft. Das Amtsgericht Ansbach führte in der Begründung aus, K habe die Begriffe »murder« und »murderer« verwechselt und sinngemäß geäußert; Soldaten seien Mörder. Das sei eine »strafbare Beleidigung«. Denn die Kollektivbezeichnung »Soldaten« umfasse auch den engeren, klar abgrenzbaren und überschaubaren Kreis der aktiven Soldaten der Bundeswehr und stelle somit einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre des O. dar. Und tatsachenadäquat sei die Bezeichnung auch nicht, da »noch niemand durch BW-Soldaten ums Leben gekommen« sei.
Das Urteil stammt aus der Zeit kurz vor dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, als ebendieselbe noch keine Kriege führte. »Soldaten sind Mörder« oder »Ein Soldat ist ein Mord«, konnte so vom Amtsgericht als »Beleidigung« gewertet werden.
Das änderte sich schnell. 1995, im fünften Jahr der deutschen Einheit, durften deutsche Soldaten wieder Mörder sein. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil des Amtsgerichts Ansbach auf. Und bald konnte man auch mit dem besten oder bösesten Willen nicht mehr sagen, dass noch niemand durch die Bundeswehr ums Leben gekommen sei – und Gerhard Schröder noch nicht einmal den Überfall zur Auslöschung Jugoslawiens siegreich fortgesetzt hatte, den Adolf Hitler 1941 begann.
»Soldaten sind Mörder«, stand schon 1931 in der Weltbühne Der in Paris lebende Kurt Tucholsky hatte es erkannt, und Carl von Ossietzky, der das druckte, musste vor Gericht und wurde überraschend freigesprochen. Gegen den Freispruch erließ der oberste Menschenvernichter des gerade vergangenen Kaiserreichs, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, als freigewählter Präsident der Weimarer Republik eine Notverordnung.
Und als er ihm dann die Macht übergeben hatte, machte Adolf Hitler etwas später den Obersten Georg Heusinger zum »Chef der Partisanenbekämpfung«. Der war schon drei Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion von seinen Vorgesetzten informiert worden, dass der bald kommende Krieg als »Vernichtungskrieg« zu führen sei, zur »systematischen Reduzierung des Slawen- und Judentums«. Heusinger durfte Richtlinien zur »Bandenbekämpfung« verfassen, Anleitungen zum Mord, die ihren Verfasser vom Obersten zum General aufsteigen ließen – ein Karrieremuster, wie sich heute zeigt.
Nach der bekannten Katastrophe arbeitete Heusinger sofort in der »Historical Division« der USA gegen die Sowjetunion. Die Wiederaufrichtung der Wehrmacht als »Bundeswehr« betrieb er seit 1948 unter falschem Namen im Untergrund der Organisation Gehlen in Pullach. Rechtsnachfolger Konrad Adenauer machte Heusinger dann zum ersten Oberkommandierenden der neuaufgestellten Bundeswehr. Und wer als Oberst tüchtig war, konnte als General nicht nur in diesem Land etwas werden: Heusinger rückte schließlich in die Kommandostrukturen der NATO ein.
In der Nachfolge seiner Bandenbekämpfung stehen heute die Männer des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Diese bereiten schon lange im Inland mit Waffenverstecken im Untergrund den Putsch vor. Nachdem das Bundeskriminalamt auf dem KSK-Kasernengelände in Calw nach illegalen Munitionsdepots gesucht hatte, und immer mehr Waffen und Munitionsverstecke in den Häusern und Gärten der KSK-Leute gefunden werden, versprach die KSK-Kommandoführung allen Kameraden »Straffreiheit«, wenn sie beiseitegeschaffte Waffen, abliefern. 1920, beim Kapp-Putsch konnten die Anführer nicht selber eine Amnestie verkünden. Das musste damals noch die sozialdemokratische Regierung besorgen, gegen die die Generale geputscht hatten.
Aber die KSK ist auch seit vielen Jahren als Geheimtruppe am Hindukusch für die Freiheit unserer Handelswege tätig. In der ganzen Welt bekannt wurde der deutsche Freiheitskampf in Afghanistan aber nicht etwa durch Brunnenbohren und Mädchenschulbau, sondern durch den Obersten Georg Klein, der im September 2009 mit seinem Massaker von Kundus weltweite Aufmerksamkeit für sich und sein Deutschland errang.
Es waren Männer des neonazistischen KSK, die dem tötungswilligen Obersten die Vorgabe zur Tat lieferten: Der Taliban habe zwei Tankzüge entführt, die unzulässigerweise als Sprengwagen auf deutsche Soldaten losgelassen werden sollen. Ein trüber Informant meldete den Standort der beiden Tanklaster, die im Sand steckengeblieben waren. Die Taliban wollten sie wieder flott machen.
Oberst Klein prüfte nicht lang, wer diese Taliban seien. Er zögerte nicht mal, als die Piloten des mit der Bombardierung beauftragten US-Flugzeugs vorschlugen, den Ort im Tiefflug zu überfliegen, um dort befindliche Zivilisten zu vertreiben. Oberst Klein kannte nur den deutschen Traditionsbefehl: »Vernichten! Vernichten!« So löschte er das Leben von mehr als hundert Kindern, Frauen und Männern aus.
Oberst Klein bekam den Lohn für das Massaker, das er angerichtet hatte. Er wurde von der Bundeswehr gefeiert, zum Brigadegeneral befördert und zum Abteilungsleiter I Personalführung der Unteroffiziere und Mannschaften im neuen Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr ernannt. Das Verteidigungsministerium erklärte zugleich, dass Klein für die künftige Tätigkeit »gut geeignet« sei und alle fachlichen Voraussetzungen erfülle.
Inzwischen ist der Sieger von Kundus zum Leiter der gemeinsamen Ausbildung im Streitkräfteamt noch höher befördert. Die deutschen Soldaten betrachten ihn noch immer als ihr Vorbild. Die KSK aber, die ihm in Kundus zum Sieg verholfen hat, wird zur Zeit von ein paar Politikern scheel angesehen, nur weil einige – wenige sind es nicht – Patrioten in ihren Reihen für den Tag X in ihren Gärten und anderswo Waffen vergraben haben.
Das Bundesverfassungsgericht hat längst gleichgezogen und die besonderen Qualitäten von Soldaten anerkannt. Damals, bis 2009, ging man vielerorts immer noch davon aus, dass bundesdeutsches Militär nur der Verteidigung diene, was jedoch der geschichtlichen Erfahrung widersprach. Seit 1871, seit Deutschland als Staatswesen bestand, wurde es noch nie angegriffen, stets waren wir es, die über andere herfielen.
Jetzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Massaker von Kundus und damit auch unserem General Klein seinen höchsten Segen gegeben. Das Leben ist für dessen Opfer kein einklagbares Menschenrecht. Jedes europäische Land hat in diesem Menschenrechtsgerichtshof eine Stimme. Deutschland bekam sie alle. Die deutsche Justiz habe mit ihrer Blockade gegen die Opfer des Obersten Klein alles richtig gemacht. Und die afghanischen Opferanwälte mussten wieder abziehen.
Trotzdem: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eigentlich gar nichts gegen ebendieselben. Wenn die geeigneten Opfer bei ihm vorsprechen. Wenige Tage nach der Abfuhr für die Afghanen setzte sich diese Rechtsprechergemeinschaft – es gab kein deutsches Veto – unerschrocken für geeignete Menschenrechte ein. Meldung aus Straßburg: »Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Russland aufgefordert, Oppositionsführer Alexej Nawalny unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Wie das Gericht am Mittwoch mitteilte, gab es damit einem Antrag Nawalnys auf Erlass einstweiliger Maßnahmen statt. Diese Entscheidung ist laut Gericht verbindlich, solche stattgebenden Entscheidungen würden nur selten und bei unmittelbarer Gefahr eines irreparablen Schadens getroffen.«