Einkäufe in der Vorweihnachtszeit sollte man tunlichst vermeiden. Ja, sowieso schon wegen des zu erwartenden Menschengewusels in den Geschäften. Außerdem führt der Zeitdruck nicht selten zu Anschaffungen, die man bereut und für deren weitere Verschenkung man sich hinterher fast schämt. Aber das ist nicht die wesentliche Ursache für mein der allgemeinen Konsumjagd zuwiderlaufendes Verhalten. Der wichtigste Grund dafür, Markttempel und Dienstleister aller Couleur in den Adventswochen möglichst zu vermeiden, sind die von den Firmen, den Geschäften, den Versicherungen, den Vereinen und von wem auch immer ausgestreuten Werbezugaben, zumeist Wandkalender.
Ja, Sie haben richtig gelesen, es geht um die Kalenderschwemme. Zum Jahreswechsel hängen an allen meinen Wänden Kalender, neben-, unter- und sogar übereinander. In den letzten Jahren hat sich bei mir eine regelrechte Allergie dagegen entwickelt, und auf meinen Unterarmen bilden sich kleine wassergefüllte Bläschen. Mein Hautarzt nennt sie Kalenderpusteln, er sagt, man solle das Jucken möglichst ignorieren und dürfe sie auf keinen Fall aufkratzen. Leicht gesagt!
Das mit den Kalendern geht oft schon Ende November los. Die Verkäuferin in der Bäckerei, bei der ich wegen meiner Sucht für Zuckerkuchen bekannt bin, blinzelt mir schelmisch zu und schiebt mir einen Abreißkalender unter das Kuchenpaket. »Für unsere besten Kunden«, flüstert sie verheißungsvoll. Sehr hübsch, der Kalender. Für jeden Monat wird ein anderes, den Speichelfluss schon vom Hinsehen auslösendes Backwerk angepriesen und beschrieben.
Die vietnamesische Blumenhändlerin, eine charmante, dunkelhaarige Person, reicht mir einen Blumenkalender über den Tisch. In der Apotheke wird mir ein Jahreskalender aufgenötigt, der mein Wohlbefinden geradezu garantiert, weil er mir für fast jeden Tag des Jahres einen speziellen Kräutertee und ein schnellwirkendes Abführmittel empfiehlt.
Meine Autowerkstatt lässt es sich nicht nehmen, mir einen Kalender mit eingedruckten TÜV- und Durchsichtsterminen zukommen zu lassen, und eine andere Werkstatt aus dem Schwäbischen, die mich registrierte, als ich auf der Durchfahrt leichtsinnigerweise um Motoröl bat, übersandte mir einen Oldtimer-Kalender im Geschenkformat, den ich auf dem Postamt persönlich abholen musste.
Meine sechs Enkelkinder überbieten sich mit selbstgebastelten und selbstbebilderten Datenblättern. Der Tierarzt, der einmal jährlich unsere Katze entwurmt, beförderte mir höchstpersönlich einen Jahreskalender mit der Aufschrift »Haustierkrankheiten von Januar bis Dezember« in die Wohnung. Die Versicherungen überhäufen mich mit Kalenderblättern, aus den abonnierten Tageszeitungen flattern mir die Kalender regelrecht entgegen und bedecken zentimeterhoch den Laminatfußboden, und mein Optiker brachte es fertig, mir einen Kalender nachzuwerfen, bei dem die Buchstaben und Zahlen von vorn nach hinten immer kleiner werden.
Jetzt hab› ich mich daran gewöhnt, in den Geschäften eiligst zu bezahlen und unmittelbar danach grußlos die Flucht zu ergreifen, um weiteren Jahresmerkern zu entgehen.
Wie wichtig das ist, wurde mir erst vorgestern wieder im Zeitungsladen bewusst. Ich sah und hörte noch, wie hinter mir laut gerufen und gestikuliert wurde, aber ich blieb standhaft, stellte mich blind und taub und eilte stichflammengleich davon.
Seitdem suche ich meine Brieftasche mit den Fahrpapieren und der Visa-Karte. Keine Ahnung, wo ich die gelassen haben könnte.