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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Jubiläums-Inselbändchen

Wer kennt sie nicht, die far­bi­gen Bänd­chen mit den schön gestal­te­ten Umschlä­gen und dem unver­wech­sel­ba­ren Titel­schild­chen? Es gibt zahl­lo­se Samm­ler der ästhe­tisch anspre­chen­den Insel-Büche­rei, die 1912 durch den Ver­le­ger Anton Kip­pen­berg (in Zusam­men­ar­beit mit Ste­fan Zweig) gegrün­det wur­de. Am 2. Juli 1912 wur­den die ersten zwölf Bän­de in die Buch­hand­lun­gen gelie­fert. Die Auf­takt­band ent­hielt die Pro­sa­dich­tung »Die Wei­se von Lie­be und Tod des Cor­nets Chri­stoph Ril­ke«, deren Ver­lags­rech­te Kip­pen­berg kurz zuvor erwor­ben hat­te. Ende 1913 waren bereits über 90 Titel im Han­del ver­füg­bar, und ein Jahr spä­ter hat­te die Insel-Büche­rei die Gesamt­auf­la­ge von 1 Mil­li­on Exem­pla­ren überschritten.

Wäh­rend des Ersten Welt­krie­ges mach­te die all­ge­mei­ne Kriegs­be­gei­ste­rung auch nicht vor der Insel-Büche­rei Halt, was sich in vie­len kriegs­be­zo­ge­nen Bän­den zeig­te. Ende der 1920er Jah­re wur­den vie­le die­ser Band­num­mern mit neu­en Titeln belegt. Nach der Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­li­sten muss­ten vie­le Titel jüdi­scher und nicht geneh­mer AutorIn­nen aus dem Ver­lags­pro­gramm zurück­ge­zo­gen wer­den, u. a. Ste­fan Zweig und Hein­rich Hei­ne. Unmit­tel­bar nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs erhielt der Insel Ver­lag eine Geneh­mi­gung zum Ver­trieb von Lager­be­stän­den und zum Nach­druck älte­rer Titel. Erst mit der Ver­lags­li­zenz 1947 konn­te man wie­der neue Titel ver­öf­fent­li­chen. Wäh­rend der Exi­stenz der bei­den Staa­ten führ­te der Insel-Ver­lag Zweig­stel­len in Ost und West (Leip­zig und Wiesbaden/​Frankfurt am Main), die bei­de die Buch­rei­he wei­ter­führ­ten. So wur­de 1974 in Leip­zig mit »Ich will wir­ken in die­ser Zeit – Druck­gra­phik in der DDR« Band 1000 der Insel-Büche­rei her­aus­ge­ben; erst vier Jah­re spä­ter folg­te Frank­furt am Main mit dem Jubi­lä­ums­band »›Das Tage­buch‹ Goe­thes und Ril­kes ›Sie­ben Gedich­te‹«. Nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung wur­den die bei­den Teil­ver­la­ge wie­der zusam­men­ge­führt; doch der Ver­lag fir­mier­te wei­ter unter den bei­den Ver­lags­or­ten, wobei Leip­zig nur als Nie­der­las­sung geführt wur­de. Seit 2010 hat der Insel Ver­lag sei­nen Sitz in Berlin.

2012 zum 100. Jubi­lä­um der Buch­rei­he wur­den bereits 1.365 Num­mern gezählt. In die­sem Jahr stand nun ein wei­te­res Jubi­lä­um an: Band 1500. Der her­aus­ge­ho­be­ne Jubi­lä­ums­band wur­de dem 150. Geburts­tag des fran­zö­si­schen Schrift­stel­lers Mar­cel Proust (1871-1922) gewid­met, der vor allem durch sein Haupt­werk, den monu­men­ta­len Roman »Auf der Suche nach der ver­lo­re­nen Zeit«, bekannt ist. Der Insel-Band »Brie­fe an sei­ne Nach­ba­rin« prä­sen­tiert 26 unda­tier­te Brie­fe aus den Jah­ren 1908 bis 1916, die Proust, der damals in einem Haus am Pari­ser Bou­le­vard Hauss­mann 102 wohn­te, an sei­ne Nach­ba­rin Madame Wil­liams, die Gat­tin eines ame­ri­ka­ni­schen Zahn­arz­tes, gerich­tet hat. Die Woh­nung der Wil­liams und die Zahn­arzt­pra­xis lie­gen direkt über sei­ner Woh­nung und so lei­det der krän­keln­de und hoch­sen­si­ble Proust, der hier wesent­li­che Tei­le sei­nes Jahr­hun­dert­wer­kes schuf, häu­fig unter Lärm. Die Angst vor Lärm ist so groß, dass er sei­ne Wän­de und Decken mit Kork­plat­ten ver­klei­den lässt.

In die­sen nun zum ersten Mal auf Deutsch ver­öf­fent­lich­ten Brie­fen bit­tet er sei­ne Nach­barn z. B., kei­nen Lärm zu den von ihm ange­ge­be­nen Zei­ten zu machen (»Darf ich für mor­gen um Gna­de bit­ten?«). Der Ton in den Brie­fen bleibt aber stets freund­schaft­lich. Lei­der sind die Ant­wor­ten von Madame Wil­liams nicht erhal­ten. Aber aus Prousts Zei­len lässt sich erah­nen, dass sich sei­ne Nach­ba­rin für des­sen Werk inter­es­siert. Also macht er sich die Mühe und erklärt ihr vie­les. Ein lite­ra­ri­scher und doch kurio­ser Brief­wech­sel über Jah­re hin­weg; dabei hät­te man ja ein­fach ein paar Trep­pen­stu­fen hoch- oder run­ter­ge­hen kön­nen. Trotz­dem sind »Brie­fe an sei­ne Nach­ba­rin« ein wun­der­ba­res und über­ra­schen­des Buch – nicht nur für Proust-Fans.