Die landwirtschaftliche Nahrungserzeugung zu sichern und zu fördern, ist das völlig berechtigte Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU. Und da wird wahrlich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Mit rund 60 Milliarden Euro wird die Landwirtschaft von den Mitgliedstaaten subventioniert. Damit sind die Agrarsubventionen der mit Abstand größte Einzelposten im EU-Haushalt. Inzwischen hat man sich nach langem Ringen auch endlich auf ein Agrarreförmchen geeinigt, das 2023 in Kraft treten soll und dann – zeitlich gestreckt – die eine oder andere bisherige Unwucht (Subventionen werden dann beispielsweise auch, nach und nach, stärker an ökologische Kriterien gekoppelt) vorsichtig korrigieren soll.
Das ist zu begrüßen, aber viel zu kurz gesprungen. Obwohl die Vergabepraxis wegen Intransparenz, offensichtlicher Ungerechtigkeiten und einer sträflichen Vernachlässigung des Umweltfaktors seit Jahren in der Kritik steht, sperren sich insbesondere die nationalen Bauernverbände – sowie die ihnen nahestehenden nationalen Landwirtschaftsministerien – überall gegen eine ernsthafte Reform oder gar ein Absenken der Förderung. Aus gutem Grund? Um ihre Klientel zu schützen? Wer etwas genauer hinschaut, kommt bei der Antwortsuche ins Grübeln. Denn die größten Nutznießer der aus Brüssel sprudelnden Finanzquellen sind nicht etwa landwirtschaftliche Betriebe, wie man meinen sollte, sondern öffentliche Behörden wie etwa Landesämter, Ministerien, Landesbetriebe und Stadtverwaltungen oder große Molkereiunternehmen und gartenbauliche Erzeugerorganisationen. Diejenigen hingegen, die Bauern, für die der ganze Aufwand angeblich betrieben wird, landen bei der Geldvergabe unter fernerliefen.
Im Mai 2019 veröffentlichte die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), wozu sie nunmehr – nach hartnäckigen Widerständen von Seiten der Subventionsbezieher und ihrer politischen Unterstützer – durch EU-Recht gezwungen wurde, erstmals eine Liste der deutschen Empfänger aller Agrarzahlungen im Haushaltsjahr 2018. Nach »Bauern« sucht man in dieser Aufstellung lange vergebens. Angeführt wird sie vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern, das aus dem Agrartopf der EU mit stattlichen 10,4 Millionen Euro gefördert wurde, gefolgt vom Landesbetrieb für Küstenschutz, Husum, dessen Hochwasserschutz-Maßnahmen die EU mit 5,92 Millionen Euro unterstützt hat. Nun gut, gerade in Erwartung eines ansteigenden Meeresspiegels ist ein verbesserter Küstenschutz an Nord- und Ostsee sicher dringend geboten, und die Deiche schützen selbstverständlich auch Ackerflächen.
Wie auch immer. Bis die ersten »größeren« landwirtschaftlichen Betriebe auf der Subventions-Liste auftauchen, sie werden also tatsächlich auch bedacht, dauert es eine Weile. Die Betonung liegt dabei, deshalb die Anführungszeichen, auf »groß«. Und hier ringt man schon nach Fassung: Worin, um Himmels willen, besteht der Sinn solcher Steuerung? Klar, wer mehr Fläche bewirtschaftet und mehr Tiere hält, der braucht wohl auch irgendwie mehr. Das leuchtet auf den ersten Blick ein, widerspricht aber auf den zweiten Blick der fundamentalen Skalenlogik der Industrialisierung. Danach gilt: Je größer die Fläche oder Stückzahl, desto besser, desto profitabler.
Das eben spiegelt sich in der Förderpraxis wider. Der überwiegende Teil der Subventionssumme, die sogenannten Direktzahlungen aus dem EU-Agrarfonds »für die landwirtschaftlichen Betriebe« – und einen Landesbetrieb für Küstenschutz würde ich spontan nicht dazurechnen –, ist tatsächlich an die Größe gekoppelt. Je mehr Hektar jemand bewirtschaftet, je mehr Groß- oder Kleinvieh jemand mästet oder melkt, desto mehr Geld kann von der EU abgerufen werden. Gefördert werden, kurz gesagt, insbesondere diejenigen Großbetriebe, die den fatalen Trend zur Industrialisierung der Landwirtschaft wesentlich vorantreiben. Laut Agrar-
Atlas 2019 kassierten 20 Prozent der Empfänger 80 Prozent der Fördersumme. Ob es für diesen seltsamen Verteilungsschlüssel, außer vielleicht einer seit Jahren zur Gewohnheit geronnenen Praxis, irgendeinen halbwegs vernünftigen Grund gibt, ist schwerlich zu ergründen. Im Gegenteil, von kompetenter Seite stößt man allenthalben auf starke Einwände gegen die praktizierte Agrar-Subventionspolitik, sowohl grundsätzlicher wie auch gewissermaßen betriebswirtschaftlicher Art.
Beginnen wir mit dem letztgenannten Einwand. Bereits vor Jahren hat ein Forscherteam der Berliner Humboldt-Universität »die Verteilungseffekte der EU-Direktzahlungen in der deutschen Landwirtschaft« untersucht und hierfür die Geschäftsberichte und Bilanzen von mehr als 11.000 Betrieben und knapp 500 größeren Agrarfirmen analysiert. Das Ergebnis war an Eindeutigkeit kaum zu überbieten. Während die EU-Subventionszahlungen bei Familienbetrieben durchschnittlich rund 30 Prozent des Jahresgewinns ausmachten, betrug der Anteil der Förderung am Jahresgewinn von Großbetrieben stattliche 70 Prozent. In anderen Worten, die Familienbetriebe arbeiten wesentlich effektiver, wohingegen die Agrarfabriken ohne EU-Gelder kaum lebensfähig wären. Entsprechend fiel das Urteil der Wissenschaftler aus: Die Direktzahlungen seien ein Beitrag zur Ungleichheit und zur Fehlentwicklung in der Landwirtschaft. Die Großempfänger, im Verbund mit einflussreichen Lobbyisten, hätten mit ihrer Durchsetzungsmacht eine Agrarpolitik befördert, die zu den größten wirtschaftlichen Irrtümern zähle. Hier würden Großbetriebe gezüchtet und künstlich am Leben gehalten, etwa Mastställe mit zigtausenden Schweinen, die nur mit Hilfe der Steuerzahler zum Himmel stinken können.
Sehr viel grundsätzlicher noch kritisierte schon der im Auftrag von Weltbank und Vereinten Nationen erstellte, im Jahr 2008 vorgestellte »Weltagrarbericht« (https://www.weltagrarbericht.de/) den Zustand der Agrarwirtschaft und das Wirken der Agrarpolitik. Mehr als 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten darin den Stand des Wissens über die globale Landwirtschaft, ihre Geschichte und ihre Zukunft zusammengefasst. Nach mehrjähriger internationaler Forschung forderten sie am Ende nichts anderes als eine radikale Abkehr von der industrialisierten Landwirtschaft, die mehr Energie verbrauche, als sie produziere, ökologisch buchstäblich verbrannte Erde hinterlasse, soziale Ungleichheit hervorbringe und den Welthunger nicht, wie stets versprochen, reduziere, sondern seine Zunahme in Kauf nehme. Ein schlechteres Zeugnis ist nicht denkbar. Getan hat sich seither jedoch wenig.
Dabei beschränkten sich die Experten durchaus nicht auf ihr vernichtendes Urteil, sondern gaben konkrete Hinweise, welche Schritte nötig wären, um sowohl die Welternährungssituation zu stabilisieren als auch die Umwelt zu entlasten. So zeigen sie beispielsweise, dass überall dort, wo Tiere Gras und andere Pflanzen fressen, die nicht direkt zur menschlichen Nahrung taugen, das Lebensmittelangebot vergrößert wird. Als das dringlichste und sicherste Mittel, den Hunger zu bekämpfen, empfahlen die Autorinnen und Autoren des »Weltagrarberichts« deshalb Investitionen in die kleinbäuerliche Produktion. Bei entsprechender Verfügbarkeit von Land, Wasser und Geld erwirtschafte sie einen deutlich höheren Nährwert pro Hektar als die industrielle Landwirtschaft, und zwar mit einem niedrigeren externen Input und entsprechend geringeren Umweltschäden.
Aber Politik und Wirtschaft machen im Großen und Ganzen weiter wie bisher, nicht nur in der EU, sondern weltweit. Wie krass ungleich und ungerecht die in der Landwirtschaft geschaffenen Werte zwischen Herstellern, Rohstoff-, Lebensmittel- und Einzelhandelskonzernen verteilt werden, hat erst kürzlich (2019) eine Studie der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam am Beispiel von Assam-Tee offengelegt (https://www.oxfam.de/system/files/schwarzer-tee-weisse-weste-assam.pdf. Danach sieht die »Wertschöpfungskette« beispielsweise für ein Paket Markenschwarztee mit 50 Teebeuteln folgendermaßen aus: Von den circa drei Euro, die ein solches Päckchen in Deutschland kostet, gehen 2,60 Euro an die Lebensmittelkonzerne, wie etwa »Teekanne« oder »Meßmer«, und die Supermärkte, 20 Cent behalten die Zwischenhändler ein, 16 Cent bekommen die Plantagenbetreiber, und 4 Cent bleiben am Ende für die Arbeiterinnen und Arbeiter übrig. Am Verkaufspreis für den Tee sind diejenigen, die diesen »Schatz« heben, die ihn anbauen, pflegen und ernten, also gerade einmal mit 1,3 Prozent beteiligt. Für die hiesigen Milchbauern sieht der Verteilungsschlüssel nur unwesentlich besser aus. Das ist der »tötende Kapitalismus« (siehe Ossietzky 5/2021), den auch die EU mit ihrer »Agrarhilfe« befördert.