Das öffentliche Bild des Syrienkriegs ist gezeichnet von Widersprüchen und Emotionen. Was ist Propaganda? Welche Informationen sind durch Fakten belegbar? Hilfreich bei der Beantwortung dieser und weiterer Fragestellungen ist die im Dezember 2018 erschienene Studie »Der Syrienkrieg. Dimension – Hintergründe – Perspektiven«, veröffentlicht von der Organisation Internationaler Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW). Aus der umfangreichen Untersuchung werden nachfolgend zwei Aspekte herausgegriffen: Kriegsbeteiligung Deutschlands und Rolle der Friedensbewegung.
Militärische Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland
Am 11. September 2015 erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, die deutsche Regierung sei »zutiefst davon überzeugt, dass es für Syrien ganz sicher eine militärische Lösung niemals wird geben können«. Doch schon Ende November 2015 – nach den Attentaten in Paris am 13. November – stellte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Jens Flosdorff, die konkreten Pläne für den Syrien-Einsatz der Bundeswehr vor: Entsendung von »[…] etwa 1200 Kräfte[n …] zum Betrieb einer Fregatte, von Tornados, einer Luftbetankung, für die Arbeiten in den Stäben zur Koordination und auch zur logistischen Unterstützung« und sicherlich auch »für den Krieg gegen den Terror« (Christina Wirtz, stellvertretende Regierungssprecherin).
Schon frühzeitig hatte die Bundeswehr eine Batterie Patriot-Abwehrraketen in der türkischen Grenzregion zu Syrien (400 Soldaten, Bundestagsbeschluss vom 12. Dezember 2012) gegen eine angebliche Bedrohung des NATO-Partners Türkei stationiert. Die in Jordanien stationierten Tornado-Flugzeuge führen für die Luft- und Bodeneinsätze der »Anti-IS-Koalition« Aufklärungsflüge über Syrien durch. Am 20. März 2017 starben mindestens 33 Zivilisten, Flüchtlinge, in einer ehemaligen Schule in al-Mansura nahe Rakka bei einem US-Luftangriff; die Aufklärungsbilder hatten Tornados der Bundeswehr am 19. März 2017 geliefert. Das ist ein weiteres Beispiel für zivile Opfer deutscher Bundeswehreinsätze (wie die Bombardierung der Tanklaster bei Kundus/Afghanistan im September 2009 mit mindestens 120 toten Zivilisten). Durch Waffenlieferungen im großen Stil an die Türkei und Jordanien, insbesondere aber an die »IS«-Unterstützer Saudi-Arabien – laut Thomas de Maizière ein »Stabilitätsanker der Region«– und Katar trägt Deutschland indirekt auch zur Stärkung des »IS« bei. Darüber hinaus berichtete die syrische Nachrichtenagentur SANA über einen Einsatz des deutschen Geheimdienstes und des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Syrien; die Bundesregierung stritt dies ab.
Schwerwiegender für Syrien – und vor allem für seine Bevölkerung – aber ist das politische und ökonomische Agieren Deutschlands ihm gegenüber. Das Projekt »The Day After« stellte der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC), vom Westen als einzige Vertretung der Opposition anerkannt, Ende August 2012 vor. In den Räumen der von der Bundesregierung finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) half das deutsche Außenministerium mit Geld, Visa und Logistik, kooperierte also mit Kräften, die an einem militärischen Sturz des Assad-Regimes arbeiteten. Der Öffentlichkeit blieben diese Aktivitäten der deutschen Regierung weitgehend unbekannt – bis heute. Nach dem Massaker von Hula am 25. Mai 2012, das die meisten westlichen Medien und Politiker der syrischen Armee anlasteten, wurden vier Tage später die syrischen Botschafter aus westlichen Ländern ausgewiesen. Für die Bevölkerung Syriens noch verheerender als der Abbruch der diplomatischen Beziehungen ist der ökonomische Boykott, den Deutschland als stärkste Wirtschaftsmacht der EU gegen Syrien betreibt. Schon sehr frühzeitig, zu Beginn der Konflikte, verhängten die USA und die EU Sanktionen gegen Syrien. Am 6. März 2011, sogar vor Ausbruch der Unruhen in Daraa, wurde der »Syria Freedom Support Act« in den US-Kongress eingebracht. Bischöfe und führende Vertreter katholischer Kirchen Syriens wandten sich im Frühjahr 2016 verzweifelt an die Öffentlichkeit. In ihrem Appell beklagen sie: »In diesen fünf Jahren haben die Sanktionen gegen Syrien dazu beigetragen, die syrische Gesellschaft zu zerstören: Sie liefern sie dem Hunger, Epidemien und Elend aus und arbeiten somit den Milizen […] und Terroristen, die heute auch in Europa zuschlagen, in die Hand.« Die UN-Wirtschafts- und -Sozialkommission für Westasien (UN-ESCWA) bezeichnete die Sanktionen als die »kompliziertesten und weitestreichenden Sanktionsmaßnahmen, die jemals verhängt wurden […] Das gewaltige Ausmaß der Zerstörungen […] hat zu einem dringlichen Bedarf an Entwicklungs- und Wiederaufbauhilfe geführt.« Der UN-Sicherheitsrat hat die Sanktionen nie unterstützt.
Spaltung und Lähmung der Friedensbewegung
Grundsätzlich ist man sich unter Friedensaktivistinnen und -aktivisten darüber einig, dass Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele abzulehnen ist. Der Meinung waren auch die Teilnehmer einer Aktionskonferenz, zu der die Kampagne »Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien« die Friedensbewegung im Mai 2017 eingeladen hatte. Auch die breite Masse der Bevölkerung teilt diese Auffassung: Wie Umfragen bestätigen, lehnt die Mehrheit der Menschen in Deutschland ein militärisches Eingreifen der Bundeswehr in den Konflikt ab. Wie die aktuelle Situation in Syrien einzuschätzen und wie darauf zu reagieren sei, dazu gehen aber auch innerhalb der Friedensbewegung die Auffassungen auseinander. »Das Regime von Präsident Assad trägt die Hauptschuld an der Misere.« Diese in den Massenmedien überwiegend verbreitete einseitige Schuldzuweisung wird von den meisten Organisationen zwar in Frage gestellt oder gar abgelehnt, führt aber auch in für den Frieden engagierten Kreisen zu Verunsicherung bis hin zur eindeutigen Parteinahme in dem Konflikt. Im Dezember 2012 veröffentlichte medico international zusammen mit der Initiative »Adopt a Revolution« einen Aufruf mit dem Titel »Freiheit braucht Beistand«, der von zahlreichen Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft unterschrieben wurde. In dem Aufruf wird die Verantwortung für die gewaltsame Eskalation der im Kontext des »Arabischen Frühlings« anfangs friedlichen Proteste in Syrien einseitig der Regierung unter Baschar al-Assad zugeschrieben. Der Text distanziert sich nicht von der bewaffneten, aus desertierten Soldaten der Syrischen Armee gebildeten oppositionellen Freien Syrischen Armee. Der Aufruf hat eine heftige Diskussion innerhalb der Friedensbewegung ausgelöst, die unter anderem auf der Aktionskonferenz der Kampagne »Macht Frieden« im Mai 2017 geführt wurde und die bis heute anhält. Medico international unterstützt weiterhin zivile Projekte der syrischen bewaffneten Opposition. Adopt a Revolution geht deutlich weiter: Während vordergründig für die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Projekte geworben wird, erklärt man die Absetzung der aktuellen Regierung zur Bedingung für den Frieden. Die Zeit veröffentlichte am 7. Januar 2016 einen Artikel von Elias Perabo, einem der Gründer und Wortführer von Adopt a Revolution mit der Überschrift: »Pseudopazifisten«. Darin stellte er fest: »Um in Syrien Frieden zu ermöglichen, muss die Nichteinmischung einer aktiven Außenpolitik weichen.«
Wer für den Frieden eintreten möchte, noch dazu in einer so komplexen Situation wie der in Syrien, sollte sich davor hüten, für eine der Konfliktseiten Partei zu ergreifen. Wem das nicht gelingt, der geht den Kriegstreibern auf den Leim. Das bedeutet nicht, einer Äquidistanz das Wort zu reden, sondern auf der Basis von Fakten eine Debatte über Kriegsinteressen und deren Vertreter zu führen mit dem Ziel, mit Gründen für eine gewaltfreie Lösung internationaler Konflikte die Meinungsführerschaft zu gewinnen.
Die 80-seitige Studie ist bei www.ippnw.de/bit/syrienakzente zu lesen oder kann für 10 Euro plus 4,70 Euro Versandkosten im Onlineshop https://shop.ippnw.de/ bestellt werden. Alle Quellen zu den im Artikel aufgeführten Zitaten sind in der Studie zu finden.