Die Gedenkstätte des Tivoli in Gotha hat eine lange Geschichte. Sie ist vor allem mit der Entstehung der SPD verbunden. 1865 hielt August Bebel hier eine bedeutsame Rede vor Arbeitern, 1875 entstand aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein ADAV (Lassalleaner) und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei SDAP (Eisenacher) die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands SAP, die seit 1890 den Namen SPD trägt. So wundert es nicht, dass der historische Ort nach 1990 unter anderem auch von Willy Brandt und Egon Bahr besucht wurde. Letzterem wurde hier ein Preis verliehen, den auch andere bedeutsame Persönlichkeiten in den zurückliegenden Jahren erhielten. Die Gedenkstätte führt regelmäßig interessante Veranstaltungen zur Zeitgeschichte durch und lädt sich namhafte Referenten und Autoren dazu ein.
Erst vor kurzem wurde dort Wolfgang Benz begrüßt, der über den Widerstand gegen Hitler referierte und dazu beispielhaft mehrere Schicksale vorstellte, so auch das des Ehepaars Alfred und Lina Haag. Lina Haag führte einen intensiven Kampf, um zu erreichen, dass ihr Ehemann, der als KPD-Abgeordneter im Stuttgarter Landtag saß, aus dem KZ Mauthausen entlassen wurde, wohin er aufgrund einer Intrige durch die Nazis verbracht worden war. Dabei schaffte sie es, bis zu Heinrich Himmler vorzudringen und ihm ihr Anliegen persönlich vorzutragen. Auf diese Weise erreichte sie ihr Ziel. Auch wenn Himmler nicht das geringste Verständnis für die kommunistische Überzeugung des Ehepaars hatte, so duldete er doch keine Intrigen von ihm Untergebenen. Nach der Zerschlagung des Faschismus veröffentlichte Lina Haag die Geschichte in dem Buch »Eine Hand voll Staub«. Als ich es vor etwa 40 Jahren las, bewegte mich sein Inhalt sehr.
Auch über die Rote Kapelle wusste der bis 2010 an der Technischen Universität Berlin lehrende Professor Wolfgang Benz Interessantes zu berichten. So rief er die Geschichte Georg Elsers, der als einzelner ein Attentat auf Hitler 1939 unternahm, welches nur scheiterte, weil Hitler den Ereignisort Bürgerbräukeller in München knapp eine Viertelstunde früher als vorgesehen verlassen hatte, noch einmal in Erinnerung. In der anschließenden Diskussion ging es auch um viele Altnazis, die nach 1945 in der Bundesrepublik wieder Fuß fassen konnten und bis in höchste Ämter aufstiegen. Irgendwann fiel der Name Hans Maria Globke, Adenauers Staatssekretär. Wolfgang Benz kennzeichnete ihn als einen biederen Verwaltungsbeamten, der unter jedem Regime bereit war, sich einzubringen und das zu tun, was von ihm verlangt wurde, gegebenenfalls noch ein bisschen mehr. Als echten Täter während der Nazizeit sieht er ihn wohl nicht. Ich wartete, ob er zumindest auf den von Globke zusammen mit Stuckart verfassten juristischen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen oder seine Verurteilung zu lebenslangem Zuchthaus durch das Oberste Gericht der DDR im Jahr 1963 zu sprechen kommen würde. Als das nicht der Fall war, erhob ich diesen Einwand, auch um deutlich zu machen, dass aus meiner Sicht Globke viel stärker als geistiger Unterstützer des Naziregimes einzuordnen ist. Benz antwortete mir sofort, dass er mit einem Juristen nicht darüber streiten wolle, welchen Wert ein juristischer Kommentar in einer Diktatur wie dem Naziregime hatte. Der Einwand ist nicht unberechtigt. Dennoch musste ich erwidern, dass wir uns sicherlich darüber einig seien, dass die Faschisten keinem einzigen jüdischen Mitbürger weniger ein Haar gekrümmt hätten, wenn es den Kommentar von Globke nicht gegeben hätte. Globke aber hat aus meiner Sicht durch den Kommentar dem menschenunwürdigen und letztlich mörderischen Vorgehen der Nazis, das für die Opfer oft in den Gaskammern von Auschwitz endete, einen juristischen Deckmantel gegeben, den Anschein von Rechtmäßigkeit, den Antisemitismus, Rassismus und Mord niemals haben können. Darin waren wir uns sofort einig.
Die Diskussion der Anwesenden mit Wolfgang Benz bereicherte seinen ohnehin gelungenen Vortrag. Meine Neugier, die durch einen anderen Vortrag von ihm zur Teilung Deutschlands zwei Jahre vorher geweckt worden war, erwies sich als begründet. Bereits damals überzeugte Benz durch Thesen, die auch meiner Überzeugung entsprachen und widersprach damit manchem seiner Kollegen. In Gotha hob Benz mehrfach hervor, dass es zuerst deutsche Kommunisten waren, die den Kampf gegen den Faschismus frühzeitig und mit großen Opfern führten. Alles in allem ein gelungener Abend mit einem Mann, der seit 1985 die Dachauer Hefte herausgibt und Träger des Geschwister-Scholl-Preises ist.