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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Im Vexierbad

Eines Tages klin­gelt der Post­mann, drückt einem eine Buch­sen­dung in die Hand – und auf dem Schreib­tisch liegt ein neu­er Gedicht­band von Tho­mas Böh­me. Obwohl man weiß, dass man damit eine Welt, im Grun­de die Welt aus Wor­ten und Bil­dern, Anklän­gen an uralte Mythen und Erzäh­lun­gen vor sich hat, kann man es nicht unter­las­sen, zuerst nach dem zu suchen, was – und sei es nost­al­gisch! – für einen selbst Tho­mas Böh­me immer aus­ge­macht hat und immer aus­ma­chen wird: den Ton aus »Mit der Sand­uhr am Gür­tel«, jenem Debüt­band aus dem Jah­re 1983. Mit ihm kam damals ein Ton in die Lyrik der DDR, wie man ihn noch nicht kann­te in jenem Land.
In die­sem Buch fin­det man ihn in »Vexier­bad« (Sei­te 104), in dem Jane Bir­kin und David Bowie sich ein Stell­dich­ein geben – auch wenn Jane Bir­kin viel­leicht eine Tau­be ist und Bowie »sich wie­der­mal in sei­ne fer­ne Gala­xis ver­zo­gen« hat. Doch es liegt mehr Ele­gi­sches in den neu­en Tex­ten, auch wenn Böh­me damals die Bedro­hun­gen für unse­re Welt nicht ver­gaß und sie benann­te. Jedoch: Es ist jetzt mehr vom Ver­ge­hen, von der Hin­fäl­lig­keit unse­rer Welt die Rede.
Ande­rer­seits lugt der Lyri­ker, der erzäh­len kann, aus den Buch­sei­ten. Das tut Böh­me in den Kapi­teln »Nacht­wa­chen eines Som­mers«, »Rauh­nachts­plit­ter« und »Die blau­en Vögel«. Beson­ders in die­sem Teil offen­bart der Autor sei­nen Sinn für Absur­des, wobei die Hei­ter­keit etwas Demas­kie­ren­des hat. So haben die blau­en Vögel einen klei­nen Fern­seh­ap­pa­rat, der in einer Kuckucks­uhr ver­steckt ist. Hat der Holz­kuckuck acht­mal geru­fen, beginnt dort das Pro­gramm: Kri­mis! Es knallt, und ein wenig Blut tropft auch her­aus. Hat man genug gese­hen, wird noch debat­tiert, immer vol­ler Froh­sinn dar­über, dass die Welt so fried­lich ist. Auch wenn man von Tho­mas Böh­me zuerst Gedich­te erwar­tet, eigent­lich wünscht man sich von ihm mehr sol­cher Tex­te wie den über die blau­en Vögel.
Um vom Lyri­ker zu spre­chen: Fas­zi­nie­rend ist es immer wie­der, beim Lesen, der Ort sei ein Punkt auf einer Rei­se, ein Irgend­wo, ein Nir­gend­wo oder ein ganz kon­kre­ter Platz, viel­leicht sei­ne Hei­mat Leip­zig, zu schmecken und zu füh­len, wie das Leben, unser Leben in die Tex­te hin­ein­ragt. So etwa im für mich schön­sten Gedicht des gan­zen Buches: »Fried­hof im Juli«. Dar­in kommt der Autor, aus­ge­hend von der wun­der­ba­ren Meta­pher in der ersten Stro­phe, dass über den Grä­bern »Licht­pul­ver« lie­ge und die Toten in der Son­ne »red­se­lig« wür­den, zu einer lako­ni­schen und unge­mein tref­fen­den Beschrei­bung des­sen, was man unse­re Bio­gra­fie nennt: »Die einen mein­ten, sie hät­ten zu wenig geliebt/​die ande­ren gin­gen an ihrer Lie­be zugrun­de. /​Und das ist schon alles.« Sol­che Ver­se kön­nen Beglei­ter für jeden Tag wer­den, ganz ohne Lyrik­ka­len­der oder der­glei­chen. Sie zei­gen, dass Böh­me zu Recht auf Gedich­te ver­traut, aber auch, dass man auf Lyrik ver­trau­en darf, wenn man sie als Beglei­ter zulässt. Frei­lich muss man dann auch das »Vexier­bad« neh­men, um wie das lyri­sche Ich im gleich­na­mi­gen Gedicht zu sehen: »Irgend­wo düm­pel­te sein (das ist wohl der Traum­pi­lot David Bowie, A. F.) ver­beul­tes Raumschiff/​aus dem grel­le Flam­men schos­sen. /​Der Mor­gen roch nach Ben­zin. Ich war wie­der 13 /& von Ster­nen­staub ange­füllt.« Ist solch ein Mythos nicht ein gro­ßes Glück?

Tho­mas Böh­me: Strand­pa­ten­schaft. Gedich­te. Rei­he neue Lyrik, Bd. 21, Poe­ten­la­den Leip­zig 2021, 175 S., 19,80 €.