»Bei meinem Sohn war das noch so einfach«, jammert ein Freund mir vor. »Als der in die Pubertät kam und anfing, uns alle zu nerven, habe ich ihm einfach ein Heftchen besorgt.« Er sieht sich nach den Frauen um, die auf der Terrasse den Tisch decken. »Du weißt schon, was für eins.«
Ich weiß, natürlich.
»Seitdem läuft er in der Spur. Aber bei Mia ist das anders.« Er sieht mich an, als würde er mir gleich ein großes Geheimnis verraten. »Mia gehört doch zur Generation Alpha«, murmelt er.
»Was ist denn das?«
»Das ist die nächste Generation«, sagt mein Freund mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der Herbert Diess den neuen VW ankündigt. »Du weißt schon, die Generation Alpha kommt nach der Generation Z.«
Ich weiß nicht.
»Seit Corona ist doch alles griechisch.«
»Verstehe«, meine ich vorsichtig. »Es fängt also wieder von vorn an im Alphabet. Passt ja auch. Die erste Generation, die sich ernsthaft mit den Klimawandel auseinandersetzen muss.«
Mein Freund wendet die Steaks. »So ein Quatsch!«, sagt er. »Klimawandel, darum geht es doch gar nicht. Es geht um« – hier senkt er wieder die Stimme – »um Sex.«
Ich sehe ihn fassungslos an. »Aber Mia ist doch erst neun!«
»Na und? Trotzdem hat sie schon eine Sexualität. Frag mal ihren Ethiklehrer, der hat ihr das haargenau erklärt. Die haben sogar eine Klassenarbeit dazu geschrieben.«
»Oh Gott, ist deine Tochter etwa so eine linksversiffte Grüne geworden?«
»Schlimmer, sie ist für die Liberalen. Frag sie mal nach Marco Buschmann. Ah, da ist sie ja.«
Mia kommt zu uns an den Grill und will eigentlich nur grüßen. Aber ihr Vater fragt sie ganz unvermittelt nach unserem Justizminister.
»Buschmann hat mich befreit«, sagt die kleine Mia prompt.
»Wie?«, frage ich überrascht. »Wo warst du denn gefangen?«
»In meiner Sexualität«, sagt Mia. »Meine Eltern haben mir ihre binäre, monogame, heterosexuelle Cis-Liebe vorgelebt. Das hat mich einseitig vorgeprägt. Aber ich will mich frei entfalten. Und durch Buschmann und das neue Selbstbestimmungsgesetz kann ich das jetzt auch.«
Nun sind wir längst aus den pubertären Schwulenwitzen rausgewachsen. Mein Freund ist maximal tolerant in Sachen Sexualität. Schwer vorstellbar, dass sich seine Tochter nicht frei entfalten könnte – auch ohne Buschmann.
»Aber Papa weiß doch gar nicht, was in mir vorgeht. Er kennt nicht mal die Begriffe. Aktuell fühle ich mich zum Beispiel abinär.«
»Ach?«, sage ich höflich.
»Das mussten wir sogar im Einwohneramt eintragen lassen«, sagt mein Freund. »Hat sie sich zum Geburtstag gewünscht.«
»Ja«, meint Mia nachdenklich. »Aber ich denke, so langsam wachse ich aus dieser Phase raus. Nächstes Jahr um diese Zeit bin ich bestimmt schon genderfluid.«
Damit lässt sie uns zwei alte Hasen am Grill zurück.
»Das Gute daran ist, dass ich mir nicht mehr überlegen muss, was ich ihr zum Geburtstag schenke. Man kann ja jedes Jahr seine Sexualität neu angeben.«
Abends im Bett denke ich über die ganze Sache nach. Jedes Jahr eine andere Sexualität, jedes Jahr anders fühlen und sich ausleben. Vielleicht wäre das auch etwas für mich. Am nächsten Tag lasse ich mich dazu von Mia beraten. »Du startest am besten erstmal mit demigender«, empfiehlt sie. »Das heißt, dass du zuerst ein Hetero-Mann bist, aber auch mal etwas anderes ausprobieren würdest.«
»Okay«, sage ich vorsichtig.
»Im zweiten Jahr solltest du entweder mit bigender weitermachen, also ein Stückchen mehr zwischen Mann und Frau rutschen, oder du wirst einfach genderfluid. Damit bleibst du flexibel.«
»Ist ein bisschen so wie im chinesischen Kalender, oder?«, versuche ich einen Witz. »Das Jahr der Ratte, der Schlange, der Ziege – immer etwas anderes.«
Mia lacht nicht. »Für das dritte Jahr empfehle ich dir genderqueer. Damit kannst du dir aussuchen, ob du Mann und Frau zusammen oder nichts von beidem bist. Der Begriff umfasst beides. Aber von trigender rate ich dir ab. Das ist gerade voll im Trend, aber damit wirkst du wie ein Fashion Victim.«
»Trigender?«, frage ich unsicher.
»Da bist du irgendwo zwischen Mann und Frau und einem dritten Geschlecht, das du selbst definierst. Das kann alles Mögliche sein.«
»Auch ein Gegenstand oder etwas Abstraktes?«
»Klar. Alles, was dich anturnt.«
Ich überlege kurz. »Dann bin ich quatrogender!«
»Das gibt’s doch gar nicht!«, mault Mia.
»Doch, ich stehe auf Frauen, Bier, Grillen und Fußball. Das turnt mich alles an.«
»Du bist blöd«, sagt sie und lässt mich stehen.
»Unterdrück mich nicht!«, rufe ich ihr hinterher.
Ich mache den Test beim Amt. Quatrogender, das muss es doch geben. Aber der junge Mann schüttelt bedauernd den Kopf. »Wir haben die Formulare noch nicht umgestellt. Aktuell kann ich Ihnen nur transgender anbieten. Oder einen Reisepass.«
Ich ziehe enttäuscht ab. Von wegen, große Freiheit! Eine der ältesten Vorlieben wird nach wie vor radikal unterdrückt. Buschmann, du Pflaume!