Georg Z. ist wieder in Freiheit, nach acht Jahren im Strafvollzug. Der Justizfall wirft viele Fragen auf. Nicht nur für Georg Z. ist Rassismus, Antiziganismus, im Spiel. Wegen Umsatzsteuerhinterziehung in 16 Fällen und Nötigung hatte die 9. Strafkammer des Landgerichts Augsburg den Kfz-Mechaniker und Schrotthändler im Januar 2011 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Nach acht Jahren kommt er auf Bewährung frei. Seitdem kämpft er für eine Wiederaufnahme des Verfahrens.
Der gelernte Kfz-Mechaniker und 1953 gebürtige Augsburger übernahm das Nischengewebe, den Handel mit Metallschrott, von seinem Schwiegervater. Alle Familienmitglieder waren der NS-Verfolgung ausgesetzt gewesen, viele haben sie nicht überlebt. Der Schrotthandel bot vielen Sinti eine wirtschaftliche Existenz in der Zeit, in der Porajmos, der Völkermord an Sinti und Roma, gesellschaftlich und politisch noch kein Thema war, stattdessen aber die Kriminalisierung und Diskriminierung von Sinti und Roma juristisch fortdauerte. In dieser Zeit der »zweiten Verfolgung« baut Georg Z. den Schrott- und Metallhandel erfolgreich auf internationaler Basis aus. Er hat keine Schwierigkeiten mit Steuergesetzen. Wenn die Steuerprüfung kam, gab es keine Probleme, erzählt seine Ehefrau.
Eine erste Haftstrafe wegen Umsatzsteuerhinterziehung trifft ihn, als er 50 Jahre alt ist. Schrotthändler hatten ein Steuerkarussell mit Rechnungen ohne Warentransfer installiert. Damals kam er bald auf Bewährung frei. Mit der Staatsanwaltschaft war die Rückzahlung der Steuerschulden vereinbart. Doch am 13. Januar 2010 kommt es zur Großrazzia; er, fast alle Familienmitglieder und viele seiner Geschäftspartner kommen in Haft. Die Augsburger Presse schreibt von »Schrottmafia« und »Familienclan«. Bald ist auch der Name Georg Z. zu lesen. Die Anklage lautet auf bandenmäßige Umsatzsteuerhinterziehung. Obwohl der Tatvorwurf der Bandenbildung nicht haltbar ist, bleibt der Schaden der Rufmordschädigung durch die Presse.
Die Augsburger Staatsanwaltschaft beauftragt nur acht Wochen nach seiner Inhaftierung einen Gerichtsmediziner zur Prüfung seiner Einweisung in Sicherungsverwahrung. Doch der Nervenarzt attestiert ihm psychische Gesundheit. Im Gutachten beschreibt er ihn als »bildungsmäßig schlichten Mann, der als Familienoberhaupt sich um das Wohlergehen der Seinen sorgt und kümmert«. Daneben sei er »prosozial engagiert: mit Eintreten für die Interessen der ethnokulturellen Gruppierung, der er angehört«. Erst viel später erfährt Georg Z. vom Versuch, ihn für »immer wegzusperren«, wie er das Gutachten wertet.
Als die Verhandlungen im Herbst 2011 am Landgericht Augsburg beginnen, nimmt Alexander Diepold, Diplom-Sozialpädagoge, damals Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins »Sinti und Roma Corporation e. V.«, als Prozessbeobachter daran teil. Diepold ist Gründer der Münchner Beratungsstelle für Sinti und Roma, heute Schöffenrichter und Geschäftsführer der »Hildegard-Lagrenne-Stiftung«. Mit Blick auf seine damaligen Aufzeichnungen stellt er fest, dass schon im Vorfeld eine gruppenspezifische Diskriminierung bei der Augsburger Steuerfahndung stattgefunden hatte: »Ich krieg euch alle!«, zitiert er einen Augsburger Steuerfahnder.
Im Herbst 2008 war der Verein »Gipsy Conference Board e. V.«, später umbenannt in »Sinti und Roma Corporation e. V.«, auf Initiative des Auschwitz-Überlebenden Hugo Höllenreiner gegründet worden. Nur 14 Monate später befindet sich der zweite Vorsitzende Georg Z. hinter Gittern. Im Vorfeld der Verhaftungswelle vom Januar 2010 hatte der Verein mit seiner aktiven Prozessbeobachtung einen ersten Erfolg verbucht. Es gab Freispruch in einem Verfahren, in dem Angehörige der Sinti, unidentifiziert und damit pauschal, der Nötigung verdächtigt waren. Die Täter seien »dem äußeren Anschein nach Zigeuner« gewesen, so lautete die Aussage des Schrotthändlers, der die Anzeige stellte. Damals schon hätte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das 2006 in Kraft trat, Anwendung finden können. Doch niemand brachte es vor. So konnte der Tatvorwurf, der auf die Minderheitengruppe fiel, beliebig oft erhoben werden. Nach den ersten Freisprüchen wird der Tatverdacht der Nötigung auf Georg Z. gerichtet, und mit der Kronzeugenaussage eines vorbestraften ehemaligen Richters und Staatsanwalts, der in einem privaten Gespräch Z.’s Geständnis gehört haben will, steht der Schuldige fest.
Nach der Verurteilung von Georg Z. fragt das Finanzamt Augsburg nach den Regularien und Finanzen des Vereins. Diepold ist Schriftführer und gibt Rapport. Was die Vereinsvorstände nicht wissen: Sie werden abgehört. Rund ein Jahr nach Z.’s Haftentlassung erhält Diepold die schriftliche Mitteilung: Die Telefonabhörung wurde beendet. Der Verein hatte die Observierung bestanden, es waren keine Unrechtmäßigkeiten festzustellen. Doch die Tatsache einer jahrelangen heimlichen Beobachtung eines Vereins, der sich für Belange einer Minderheit einsetzt, irritiert.
Im Mai 2021 wird im Deutschen Bundestag der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus vorgestellt. Markus End hatte für die Kommission strukturelle Diskriminierung in Behörden, speziell innerhalb der Polizei und Justiz untersucht. Es seien über Jahrzehnte gewachsene, meist unbewusste und sich verfestigte Wahrnehmungs- und Denkmuster, die in Behörden wirken, erklärt der Historiker auf Anfrage. Über eine Analyse, wie es behördenintern im Vorfeld zu Entscheidungen kommt, zum Beispiel für den Auftrag einer Großrazzia, sei strukturelle Diskriminierung der Minderheit überprüf- und nachweisbarbar. Doch an die Dokumente ranzukommen, die Erlaubnis zur Akteneinsicht zu erhalten, sei sehr, sehr schwierig, fügt er hinzu.
Romeo Franz ist EU-Abgeordneter und Sinto. Georg Z. versucht ihn seit Monaten zu sprechen. »Justiz und Gerichte sind unabhängig, das wäre ein Armutszeugnis für die Demokratie, wenn Politiker Gerichte beeinflussen könnten«, sagt Franz am Telefon. Er sei kein Justiziar, doch wenn Diskriminierung nachweisbar sei, könne er als Politiker tätig werden. Ob dies auch rückwirkend für einen abgeschlossenen Justizfall gilt?
»Ich glaube, dass in der Justiz die größte Benachteiligung überhaupt stattfindet für Sinti und Roma«, stellt Alexander Diepold fest. Im Strafverfahren von Georg Z. kann er auf Anhieb mehrere Unrechtmäßigkeiten vor allem im Verfahrensablauf aufzählen: Vereinbarungen zwischen Anwaltschaft und Gericht seien nicht eingehalten worden, wichtige Dokumente zur Klärung der Steuerschulden und der Versteigerungserlöse seien verschwunden. Die Hauptverhandlung wurde trotz sichtlicher Erkrankung von Georg Z. nicht unterbrochen. Die Medikamentengaben während Z.‘s Einweisung in die psychiatrische Abteilung der JVA seien nie überprüft worden. Der Wahrheitsgehalt der Kronzeugenaussage des suspendierten ehemaligen Augsburger Staatsanwalts wurde nicht oder unzureichend hinterfragt. Und die verhandelte Nötigung, Bedrohung mit der Waffe, sei eine bis heute nicht bewiesene Tat. Es sind viele Tatsachen, die auf ein starkes Verurteilungsinteresse des Gerichts hinweisen.
Dreimal wurden die Anklageschriften im Verfahren gegen Georg Z. verändert, die ersten Schriften legen offen, dass ein verdeckter Ermittler, ein V-Mann, tätig war. Die Telefonabhörprotokolle nennen die Person »Dr. Faust«. Einmal wird erklärt, dass es sich dabei um einen »Decknamen« handle, der aus »Geheimhaltungsgründen« im Ermittlungsverfahren Verwendung finde. »Dr. Faust« wird Teil von neuen Geschäftsvereinbarungen, er hält als Steuer- und Wirtschaftskundiger bald alle Fäden für die Geschäfte von Georg Z. und seiner Ehefrau in der Hand. Er leiht Erika R. von seinem Privatvermögen Geld für das »China-Geschäft«, vermittelt laut Z. den Investor Schottdorf, er arbeitet die Verträge für die Zinkerz-Lieferungen nach China aus, für welche Erika R. als Geschäftsführerin zeichnet. Er überzeugt das Ehepaar über die Notwendigkeit eines »GmbH-Mantels« für die neu gegründete Firma. Er vermittelt dem Ehepaar seine Steuerberater und die Anwaltskanzlei, in der er tätig ist.
Hinter »Dr. Faust« verbirgt sich der ehemalige Augsburger Staatsanwalt, der erwähnte Kronzeuge. Im späteren Prozessverlauf fordert er von Erika R. sein geliehenes Geld zurück und begründet dies mit der damaligen Überweisungszahlung des »Dr. Faust«. Der V-Mann entlarvt sich damit selbst. Mit seinem fundierten Spezialwissen hatte er bald großes Vertrauen unter den Angehörigen der Minderheit, weil er als Rechtsberater für den Verein Sinti und Roma Corporation ehrenamtlich tätig war und weil er sagte, dass er rassistische Tendenzen in der Vorgehensweise der Steuerfahndung sehe. Die Protokolle der Telefonüberwachung lassen ihn als »agent provocateur« vermuten. Falls er in diesem Auftragsverhältnis oder als V-Mann mit der Justiz arbeitete, schützt ihn bis heute ein rechtsfreier Raum. Obwohl er wegen Geldwäsche, Betrug, Vorteilsannahme und Verwahrungsbruch von seinem Amt als Staatsanwalt und Richter suspendiert worden war, darf er als Rechtsassessor in Kanzleien arbeiten. »Dr. Faust« vermittelt Georg Z. den chinesischen Geschäftspartner für Lieferungen von Zinkerz, alles mit der Aussicht für das Ehepaar auf Gewinn, mit dem noch ausstehende Steuerschulden beglichen werden sollen, und im sicheren Glauben, dass die Geschäfte rechtmäßig seien. Es ist dieses millionenschwere China-Geschäft, das bis heute von Steuerberatern und Banken geleugnet wird und in keinen Bilanzen verzeichnet ist. Der Versuch, »Dr. Faust« über Kontaktdaten im Internet zu kontaktieren, lief leider ins Leere. Die Recherchen über ihn basieren vor allem auf der Auswertung der Gerichtsprotokolle.
»Bedrohung mit der Waffe – das hat Georg Z. nie gemacht, er war vielleicht ein Trickser, aber Gewalt – nein«, habe der Zeuge mehrmals zu Diepold gesagt. In der Hauptverhandlung sagte er dann das Gegenteil: Georg Z. habe die Nötigung ihm gegenüber zugegeben. Mit dieser Kronzeugenaussage erhält Z. zehn Jahre Freiheitsentzug – es ist die Zeit, nach der Finanzklärungen unmöglich werden, weil sie verjähren. Georg Z. und seine Ehefrau melden gerade noch rechtzeitig die Prüfung der Steuerschulden und Bilanzen ihrer Firma an. Der beauftragte Steueranwalt schreibt, er verstehe nicht, weshalb kein Einspruch gegen die Steuerfestsetzung gemacht wurde und man alle Fristen habe verstreichen lassen. »Es ging um 405.000 Euro Umsatzsteuer. Wir hätten die Steuerschuld sofort zahlen können, das Geld war auf dem Konto«, dies sei nachweisbar, betont Georg Z. immer wieder. Doch Banken würden bis heute Kontoauskünfte verweigern, seine damaligen Anwälte und Steuerberater seien seit dem Tag der Großrazzia »verschwunden«. Das China-Metall-Geschäft sei wie unsichtbar gemacht. Wer hat es weitergeführt, als Georg Z. und seine Ehefrau in Haft waren? Die Staatsanwaltschaft Augsburg ließ sein Haus und weitere Besitztümer versteigern. »Wo ist das Geld hingekommen?«, fragt er das Finanzamt Augsburg. Die Antwort steht bis heute aus.
Die Autorin ist Europäische Ethnologin mit den Schwerpunkten Regionalgeschichtsforschung und Biografiearbeit. 2017 erschien ihre Biografie des Münchner Sinto Peter Höllenreiner »Der Junge aus Auschwitz … eine Begegnung«, 224 S., 9,80 €.