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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Höhenflüge, Notlandungen

Dass ein Buch vol­ler poe­ti­scher Höhen­flü­ge »Not­lan­dung« beti­telt ist, mag zunächst absurd klin­gen, es erklärt sich aber rasch, denn eine sol­che vom Autor im iri­schen Shan­non erleb­te Situa­ti­on ist der zen­tra­le Text des Ban­des. Über 30 Sei­ten: »Auf glit­schi­ger Flä­che … glei­te ich abwärts«; alle Fra­gen des Mensch­seins, der Exi­stenz, des »Ungar­seins«, des mög­li­chen Todes ste­hen vor dem Autor, und er gestal­tet die Situa­ti­on durch, in die nie­mand zu kom­men wünscht, der ein Flug­zeug besteigt. Die exi­sten­zi­el­le Durch­drin­gung gip­felt in der Remi­nis­zenz an eine Bruch­ope­ra­ti­on in Toron­to, die fast in einen Zwi­schen­fall aus­ge­ar­tet war, doch die Rezi­ta­ti­on von Gedich­ten Shake­speares und Blakes nebst Beru­hi­gungs­sprit­ze hal­fen. Auch die Not­lan­dung endet bei­na­he neben­säch­lich, Bös­zör­mé­nyi zitiert die Stim­me des Kapi­täns: »Blei­ben Sie bit­te auf Ihren Sit­zen, /​ wenn die Maschi­ne zum Ste­hen kommt. /​ Die unse­rem Flug­zeug fol­gen­den Feu­er­weh­ren /​ mel­den Rauch.« Im Hotel erklärt man den unver­sehrt geblie­be­nen Flug­gä­sten, dem iri­schen Schutz­hei­li­gen St. Patrick sei die Ret­tung zu danken.

Zol­tán Bös­zör­mé­nyi ruft in sei­nen Tex­ten immer alles auf, was »Abend­land« aus­macht: Reli­gi­on, Phi­lo­so­phie, Dich­tung, Geschich­te, Mathe­ma­tik, die Aus­ein­an­der­set­zung geht stets ins Grund­sätz­li­che, ohne Fuß­no­ten­ap­pa­rat kam der Autor nicht aus, der Leser soll­te Nach­schla­ge­wer­ke in Reich­wei­te haben. Aber es ist tröst­lich, dass in Zei­ten des galop­pie­ren­den Flach­sinns in vie­len Berei­chen unse­res All­tags noch sol­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen gewagt wer­den, dass ein Autor sei­ne Leser in Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit sich selbst zwingt und unse­re Denk­tra­di­tio­nen for­dert. Inso­fern sind alle Tex­te des Ban­des »Not­lan­dun­gen«, weil sie Besin­nung und Selbst­kon­fron­ta­ti­on erzeu­gen. Das gilt auch für die im Buch abge­druck­ten Pro­sa­tex­te. Es sind selt­sa­me Schrif­ten, Trak­ta­te bei­na­he, über der Rea­li­tät fast schwe­bend, aber in ihrer abgrün­di­gen Schwer­mut ganz wahr wirkend.

Zol­tán Bös­zör­mé­nyi wur­de 1951 im rumä­ni­schen Arad gebo­ren, sei­ne ersten Bücher erschie­nen in Buka­rest, dem »Inter­es­se« der Secu­ri­ta­te ent­zog er sich durch Emi­gra­ti­on nach Kana­da. Wei­te­re Bücher erschie­nen auf Unga­risch. Das vor­lie­gen­de Buch ent­hält jeweils die unga­ri­sche Ver­si­on der Gedich­te. Das ver­deut­licht die gro­ße Lei­stung des Über­set­zers Hans-Hen­ning Paetz­ke, frei­lich hat die Gegen­über­stel­lung ein ungün­sti­ges Buch­for­mat zur Fol­ge. Fast wie ein Lehr­buch sieht der Band aus, mit sei­nen furcht­bar har­ten Deckeln zumal. Scha­de, so ein Buch wird kaum ein­mal zum Beglei­ter, das man, irgend­wo sit­zend, auf­schlägt, um zu lesen: »All und Fan­ta­sie lau­fen Hand in Hand /​ Die Schön­heit wirkt uner­müd­lich im Hof /​ des Eros. Hei­ter sei das Fla­nie­ren /​ am Gesta­de des Ozeans …«

Zol­tán Bös­zör­mé­nyi: »Not­lan­dung«, aus dem Unga­ri­schen von Hans-Hen­ning Paetz­ke. Mit­tel­deut­scher Ver­lag, 304 Sei­ten, 20 €. Von Albrecht Fran­ke erschien im Mit­tel­deut­schen Ver­lag vor weni­gen Wochen das Buch »Chri­sta Johann­sen – ein erfun­de­nes Leben. Ein Schrift­stel­le­rin­nen­le­ben im 20. Jahr­hun­dert«, 392 Sei­ten, 16 €.