Dass ein Buch voller poetischer Höhenflüge »Notlandung« betitelt ist, mag zunächst absurd klingen, es erklärt sich aber rasch, denn eine solche vom Autor im irischen Shannon erlebte Situation ist der zentrale Text des Bandes. Über 30 Seiten: »Auf glitschiger Fläche … gleite ich abwärts«; alle Fragen des Menschseins, der Existenz, des »Ungarseins«, des möglichen Todes stehen vor dem Autor, und er gestaltet die Situation durch, in die niemand zu kommen wünscht, der ein Flugzeug besteigt. Die existenzielle Durchdringung gipfelt in der Reminiszenz an eine Bruchoperation in Toronto, die fast in einen Zwischenfall ausgeartet war, doch die Rezitation von Gedichten Shakespeares und Blakes nebst Beruhigungsspritze halfen. Auch die Notlandung endet beinahe nebensächlich, Böszörményi zitiert die Stimme des Kapitäns: »Bleiben Sie bitte auf Ihren Sitzen, / wenn die Maschine zum Stehen kommt. / Die unserem Flugzeug folgenden Feuerwehren / melden Rauch.« Im Hotel erklärt man den unversehrt gebliebenen Fluggästen, dem irischen Schutzheiligen St. Patrick sei die Rettung zu danken.
Zoltán Böszörményi ruft in seinen Texten immer alles auf, was »Abendland« ausmacht: Religion, Philosophie, Dichtung, Geschichte, Mathematik, die Auseinandersetzung geht stets ins Grundsätzliche, ohne Fußnotenapparat kam der Autor nicht aus, der Leser sollte Nachschlagewerke in Reichweite haben. Aber es ist tröstlich, dass in Zeiten des galoppierenden Flachsinns in vielen Bereichen unseres Alltags noch solche Auseinandersetzungen gewagt werden, dass ein Autor seine Leser in Auseinandersetzungen mit sich selbst zwingt und unsere Denktraditionen fordert. Insofern sind alle Texte des Bandes »Notlandungen«, weil sie Besinnung und Selbstkonfrontation erzeugen. Das gilt auch für die im Buch abgedruckten Prosatexte. Es sind seltsame Schriften, Traktate beinahe, über der Realität fast schwebend, aber in ihrer abgründigen Schwermut ganz wahr wirkend.
Zoltán Böszörményi wurde 1951 im rumänischen Arad geboren, seine ersten Bücher erschienen in Bukarest, dem »Interesse« der Securitate entzog er sich durch Emigration nach Kanada. Weitere Bücher erschienen auf Ungarisch. Das vorliegende Buch enthält jeweils die ungarische Version der Gedichte. Das verdeutlicht die große Leistung des Übersetzers Hans-Henning Paetzke, freilich hat die Gegenüberstellung ein ungünstiges Buchformat zur Folge. Fast wie ein Lehrbuch sieht der Band aus, mit seinen furchtbar harten Deckeln zumal. Schade, so ein Buch wird kaum einmal zum Begleiter, das man, irgendwo sitzend, aufschlägt, um zu lesen: »All und Fantasie laufen Hand in Hand / Die Schönheit wirkt unermüdlich im Hof / des Eros. Heiter sei das Flanieren / am Gestade des Ozeans …«
Zoltán Böszörményi: »Notlandung«, aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke. Mitteldeutscher Verlag, 304 Seiten, 20 €. Von Albrecht Franke erschien im Mitteldeutschen Verlag vor wenigen Wochen das Buch »Christa Johannsen – ein erfundenes Leben. Ein Schriftstellerinnenleben im 20. Jahrhundert«, 392 Seiten, 16 €.