Dass dieser kleine Roman gerade jetzt erscheint, wo sich die politischen Ereignisse, die ihm zugrunde liegen, zum dreißigsten Mal jähren, mag Zufall sein. Das Problem, das er behandelt, wird dieses wiedervereinigte Deutschland noch lange begleiten: Wird ein reales Zusammenleben, das viel beschworene Zusammenwachsen, gelingen? Erzählt wird die gescheiterte Liebe zwischen Silke, einer blutjungen Ostberlinerin, und dem Charlottenburger Ulf, der, in kleinbürgerlichen Westberliner Verhältnissen groß geworden, sein Single-Dasein lebt. Beide begegnen sich während der Demo-Randale am 3. Oktober 1990, der ersten Einheitsfeier, auf dem Alex, versuchen in den Monaten danach ein gemeinsames Leben. Kögel erzählt, was die historischen Vorgänge betrifft (auch den 7. Oktober 1989), historisch
exakt. Wie er aber dann die Zeitereignisse mit dem Lebensschicksal zweier junger Berliner verknüpft, verrät beachtliches poetisches Gestaltungsvermögen. Und er kann Typen gestalten, Silkes Mutter etwa, die sich in der DDR-Opposition engagiert, oder den Westberliner Anarchisten Malicke, der mit Sprengstoff gegen »die da oben« hantiert. Gerade ihn durchschaut die 15-jährige Ostberlinerin Silke schnell. »Ich habe ihm erzählt, wie das war vor einem Jahr und was sich mit ein paar tausend Kerzen alles anstellen lässt. Ich habe erzählt, wie es immer mehr wurden, und vom 4. November auf dem Alexanderplatz habe ich erzählt, sogar davon, was ich mit meiner Mutter dort erlebt habe, ihr habt das nie kennengelernt, ihr im Westen, eine halbe Million, hättet ihr nie zusammengekriegt, für keine Demo, für nichts.«
Jürgen Kögel ist schon in der DDR – damals war er noch Cellist im Berliner Sinfonie-Orchester – mit literarischen Erzählungen und Romanen hervorgetreten, unter anderem »Sprechen im Dunkeln« und »Zertanzte Schuhe«. Es bleibt zu hoffen, dass sein neues Buch ein breites Echo findet – bei ost- und westdeutschen Lesern.
Jürgen Kögel: »Silkes zweiter Schatten, Edition Freiberg, 139 Seiten, 9,95 €