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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Heiliger Hass?

Das The­ma ist heu­te zu ernst – Spaß bei­sei­te, wenn es um Sein oder Nicht­sein geht. Auch blo­ßes Still­hal­ten, Wohl­ver­hal­ten oder Zurück­wei­chen ist nicht erwünscht, wenn Ver­nunft, Ver­stän­di­gung oder Ein­len­ken gefor­dert sind. Immer gleich Drauf­los­schla­gen artet schnell in eine wüste Mord­bren­ne­rei aus. Und der Mensch geht als Unmensch vom Schau­platz des Deba­kels. Schlimm­sten­falls als Ver­bre­cher geächtet.

Dabei ist Krieg lei­der ein unver­meid­li­ches Fatum. Denn was im per­sön­li­chen Leben als Streit und Wut­aus­bruch beginnt, wei­tet sich schnell zu mör­de­ri­scher Kon­fron­ta­ti­on und wird in grö­ße­rem Maß­stab zu krie­ge­ri­scher Aus­ein­an­der­set­zung. Die fried­li­che Auf­lö­sung eines gesell­schaft­li­chen Kon­flik­tes ist dann schon eine kon­kre­te Kul­tur­lei­stung von Belang. Viel umfas­sen­der ist die kul­ti­vier­te Umset­zung des ele­men­ta­ren mensch­li­chen Kampf­gei­stes in sport­li­che Wett­kämp­fe aller Art. Gla­dia­to­ren­spie­le und Rit­ter­kämp­fe lei­te­ten einst über zu dem Begriff des gerech­ten Krie­ges. Da stellt sich grund­sätz­lich die Fra­ge der Recht­mä­ßig­keit. Die legi­ti­me Ver­tei­di­gung wah­rer Wer­te wird dann jedoch leicht über­schat­tet vom Malen eines kras­sen Feind­bil­des, das der blan­ke Hass ent­wor­fen hat.

Wer auf den Hass als Wur­zel des Kriegs­gei­stes zu spre­chen kommt, erkennt bald: Der Lie­be ist ein Hei­li­gen­sta­tus sicher. Aber hei­li­ger Hass? Was ist das? Hass­ge­füh­le nisten hart­näckig in der mensch­li­chen Psy­che. Ja, die Lie­be – schön wäre es, wenn sie dau­er­haft blie­be. Sie scheint jedoch oft nur ein irr­lich­tern­der Wider­schein idea­ler Har­mo­nie­t­räu­me zu sein. Was das Ver­hal­ten ande­rer betrifft, da sitzt der gif­ti­ge Dorn per­ma­nen­ten Übel­neh­mens tief. Ob die­ses nun ledig­lich gleich­gül­tig oder eher abwei­send bis feind­se­lig daher­kommt, ist zweit­ran­gig. Jede Abnei­gung gegen ein­ge­bil­de­te oder wirk­lich vor­han­de­ne Wider­wär­tig­kei­ten nistet sich gern in Gehirn­zel­len und Ner­ven­strän­gen fest ein. Ange­nehm besänf­ti­gen­de Erleb­nis­se mögen den Hass mil­dern, ja, über län­ge­re Zeit­ab­schnit­te viel­leicht ein­schlä­fern. Doch wehe, wenn er durch einen Zufall geweckt, aufs Neue auf­springt, um sich greift und zu unkon­trol­lier­ba­ren Hand­lun­gen schreitet.

Per­sön­lich moti­vier­ter Hass mag ja Pri­vat­sa­che sein und blei­ben. Wenn die­ser dage­gen poli­ti­sche Dimen­sio­nen annimmt, wird das Gan­ze schnell zum gesell­schaft­li­chen Problem.

Selbst breit­ge­fä­chert ratio­nal begrün­de­te Argu­men­te blei­ben wir­kungs­los, wenn erst ein­mal Hass und Miss­gunst sich zu tief­sit­zen­den Res­sen­ti­ments ver­fe­stigt haben. Die emo­tio­na­le Auf­ge­la­den­heit von Hass­ge­füh­len ist so wenig kon­trol­lier­bar, dass der Gegen­stand eines Has­ses aus­wech­sel­bar wird. Jenes Phä­no­men war in den 30er Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts zu beob­ach­ten, als Nazis den Volks­zorn von kapi­ta­li­sti­schen Aus­beu­tern auf die behaup­te­ten zio­ni­sti­schen Blut­sauger umlenkten.

Hass­ge­füh­le pfle­gen blind zu sein. Sehen­den Blickes wer­den sie leicht frag­wür­dig. In sich aber sind sie varia­bel. Kaum ver­wun­der­lich, wenn der Gegen­stand des Has­ses wech­selt. Ein dem Sowjet­sy­stem ent­ron­ne­ner Mann wird in Tel Aviv Außen­mi­ni­ster. Wel­ches Feind­bild pflegt er nun? Muss er alles Ara­bi­sche has­sen, nur weil er Jeru­sa­lem ara­ber­frei zu besie­deln gedenkt? Oder bra­ve schwä­bi­sche bis hol­stei­ni­sche Bür­ger – muss sie schon beim Stich­wort Sta­si solch ein Ent­set­zen packen, dass sie, ihr eige­nes feind­se­li­ges Mob­bing ver­ges­send, wild­frem­de Per­so­nen als Spit­zel zu has­sen beginnen?

Wer dage­gen wirk­lich Übles erlebt hat und Ent­setz­li­chem ent­kom­men ist, kommt davon nicht so leicht los. Das ist ver­ständ­lich. Soll er die Hass­ge­füh­le dar­auf unbe­dingt kon­ser­vie­ren? Darf er sie womög­lich als ewi­ge Quel­le des Zorns in sei­nem Herz ver­schlie­ßen? Der Zeit­geist ruft. Schon öff­nen sich die Wut­kon­ser­ven. Wie frisch und unver­braucht da ein jahr­zehn­te­lang ver­dräng­ter Hass daher­kom­men kann. Omi­nö­se Täter wer­den von ange­nom­me­nen oder selbst­er­nann­ten Opfern gern erst nach Jahr­zehn­ten enttarnt.

Im grö­ße­ren Maß­stab wird das alles noch dra­ma­ti­scher. Ein kru­des Ver­folgt­sein gan­zer Bevöl­ke­rungs­grup­pen kann mit Voka­beln der Kla­ge und Ankla­ge jeder­zeit zu Wut und Wahn gestei­gert wer­den. Man unter­schät­ze nicht den mul­ti­pli­zie­ren­den Fak­tor. Hass ist ansteckend. Ver­trei­bungs­sze­na­ri­en vor­zugs­wei­se in jugo- und ande­ren sla­wi­schen Brei­ten züch­te­ten vor Jah­ren das Phan­tom einer kol­lek­ti­ven Opfer­rol­le. Nach­bar­schaft zu Fran­zo­sen war lan­ge ein Dorn der Feind­se­lig­keit für Deut­sche. Stich­wort Napoleon.

Über Gene­ra­tio­nen hin­weg ein­ge­tre­te­ne Kon­flikt­si­tua­tio­nen zwi­schen Völ­kern und Volks­grup­pen bie­ten stets Stoff genug. Sie las­sen sich gut ummün­zen in Legen­den. Da ist schnell von bös­wil­li­gen Aktio­nen has­sen­swer­ter Anders­ras­si­ger oder Anders­gläu­bi­ger die Rede. Von Anders­den­ken­den schwei­gen wir da lie­ber. Oder? Das Den­ken ist angeb­lich der Gip­fel von mög­li­cher Lei­stung mensch­li­cher Intel­li­genz. Es ver­leiht den Den­ken­den ein köst­li­ches Bewusst­sein sei­ner selbst.

Selbst­be­wusst möch­te man schon durch das Leben gehen. Jede Per­son denkt ein wenig anders, und wird damit auto­ma­tisch zum Anders­den­ken­den. Und begibt sich damit in die Gefahr, aus­ge­grenzt zu wer­den. Jen­seits von Gren­zen lebt sich es aber immer gefähr­lich. Die Gewiss­heit, selbst erheb­lich über ande­ren zu ste­hen, führt unfehl­bar zu Über­heb­lich­keit. Da kann man selbst bereits die Komik der Aus­drucks­wei­se einer Spra­che oder eines Dia­lek­tes ande­rer Men­schen has­sen­swert finden.

An der Stel­le ist das Gan­ze end­gül­tig reif für die Sati­re. Ja, wenn die einen Betei­lig­ten ihren Über­heb­lich­keits­wahn soweit zurück­schrau­ben könn­ten, dass auch die ihnen Frem­den über den wirk­lich komi­schen Humor der Gegen­sei­te unbe­schwert lachen könn­ten – dann wäre der Hass abge­mel­det. Viel­leicht genügt aber auch ein ein­zi­ger Hin­weis: Hass macht häss­lich. Das offen­bart ja untrüg­lich die Spra­che selbst. Schickt die Has­sen­den zum Schön­heits­wett­be­werb! Dort dürft ihr sie nach allen Regeln der Kunst ausbuhen.