Am 28. November 1820 wurde Friedrich Engels in Barmen geboren, am 28. November 1894 erlebte er die ihm »zuteil gewordnen 74 Jahre« in London, die 75 Jahre wurden dem Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus leider nicht mehr zuteil – am 5. August 1895 war er in seinem Haus in der Regent’s Park Road einem Krebsleiden erlegen. Welche Art von Feierlichkeiten Engels unpassend fand, soll anlässlich der Feier seines 200. Geburtstages nicht unerwähnt bleiben. So schrieb er am 28. November 1891 dem Londoner Sängerverein des Kommunistischen Arbeiterbildungsvereins:
»Werte Genossen! Frau Kautsky teilt mir soeben mit, Freund Leßner habe ihr angezeigt, daß Sie beabsichtigen, mir heute abend zu meinem einundsiebzigsten Geburtstag eine musikalische Begrüßung zu bringen. Nun hatte ich aber schon vorher mit einem Freund abgesprochen, den Abend bei ihm zuzubringen, und da auch andre dorthin kommen werden, ist es mir absolut unmöglich, dies jetzt noch rückgängig zu machen […]. Ich bin also genötigt, Ihnen, werte Genossen, hiermit schriftlich für Ihre so freundliche und für mich so ehrenvolle Absicht meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen und zugleich mein Bedauern, daß ich nicht schon früher von Ihrem Vorhaben unterrichtet war. Sowohl Marx wie ich sind von jeher gegen alle öffentlichen Demonstrationen gewesen, die sich an einzelne Personen knüpfen, es sei denn, im Fall ein großer Zweck dadurch erreicht werden kann; und am allermeisten gegen solche Demonstrationen, die sich zu unsern Lebzeiten um unsre eignen Personen drehen würden. Hätte ich also die geringste Ahnung gehabt, daß mir eine solche Ehre zugedacht sei, so würde ich mich beeilt haben, rechtzeitig die ergebenste, aber dringendste Bitte auszusprechen, die Sängergenossen möchten doch auf die Ausführung dieser Absicht Verzicht leisten. […] Wenn ich so wider Willen in die Notwendigkeit versetzt bin, Ihr für mich so wohlwollendes und so ehrendes Vorhaben zu durchkreuzen, so kann ich dies nur wiedergutmachen, soweit möglich, durch die Versicherung, daß die wenigen Jahre, auf die ich allenfalls noch rechnen darf, und die gesamten Kräfte, über die ich noch verfüge, nach wie vor ungeschmälert der großen Sache gewidmet werden sollen, der sie seit nun fast fünfzig Jahren gewidmet worden sind – der Sache des internationalen Proletariats.« (MEW, Bd. 22, S. 264.)
Überhaupt nicht zum Feiern ist dieser Tage all denjenigen zumute, die auf gute Nachrichten aus dem »Tunnel« der Brexit-Unterhändler gehofft hatten, sprich auf ein Abkommen über die Handelsbeziehungen nach der Brexit-Übergangsphase. Trotz diverser immer neu anberaumter, dann aber nicht ernst genommener Verhandlungsschlusstage – noch jüngst bezeichnete das Vereinigte Königreich den 15. Oktober als »Deadline« für den Abschluss eines »Deals«, anschließend setzte dann die EU eine Frist bis zum 15. November, um noch ausreichend Zeit für die Ratifizierung durch die Parlamente der 27 Mitgliedsstaaten zu haben – stand beim Redaktionsschluss dieser Ossietzky-Ausgabe lediglich fest, dass bis zum letzten möglichen Tag einer Vereinbarung nur mehr ein guter Monat Zeit verbleibt.
Boris Johnson wird nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu erklären, das Vereinigte Königreich könne auch ohne Handelsabkommen mit der EU wirtschaftlich blühen und gedeihen. Viele Brexisten glauben das – anders als der überwiegende Teil der britischen Wirtschaft – auch. Sie sind für einen Austritt ohne Abkommen, also einen klaren Bruch, weil sie ihre Nation wieder als unabhängig und selbstbestimmt agieren sehen wollen. Ian Gillan, Sänger der britischen Band Deep Purple, meint: »Das Problem war und ist für mich die europäische Regierung in Brüssel. Ich fühle mich von diesen Politikern nicht repräsentiert. Viele Briten hatten und haben das Gefühl, Brüssel wolle ihnen die Luft abschneiden und sie bevormunden.« (Ostsee-Zeitung, 1./2.8.2020)
Auch wenn das Getöse von Boris Johnson und einigen seiner Regierungsmitglieder – ab 2021 ohne den ominösen Berater Dominic Cummings, der am 13. November seinen Rückzug verkündete – die Vermutung nahelegt, die Brexit-Verhandlungen seien festgefahren, steht bereits der Großteil des angestrebten Vertragstexts. Umstritten sind vor allem noch die Regelungen für die Wettbewerbsbedingungen und der Zugang zu britischen Fanggründen. Wobei bislang nicht klar ist, wie die EU auf das vom britischen Unterhaus mit deutlicher Mehrheit verabschiedete Binnenmarktgesetz zu reagieren gedenkt, mit dem einige Teile des bereits gültigen und von Johnson unterschriebenen Austrittsvertrags ausgehebelt werden. Die EU spricht immerhin von einem »Vertragsbruch«. Es geht vor allem um die Staatsbeihilfen für Nordirland und die für den Warenhandel zwischen Großbritannien und Nordirland eigentlich vertraglich geltenden EU-Wettbewerbsregeln. Nach Johnsons Ansicht verstoßen die Vereinbarungen des völkerrechtlich gültigen Austrittsvertrages gegen die Integrität des britischen Binnenmarktes. Zwar hat das Oberhaus inzwischen gegen das »den Frieden auf der irischen Insel gefährdende« Binnenmarktgesetz gestimmt, ein Regierungssprecher hat aber bereits erklärt, die vom Oberhaus verlangten Änderungen würden nicht akzeptiert. Sollte das Binnenmarktgesetz tatsächlich eines Tages umgesetzt werden, droht die Wiedererrichtung einer harten Grenze zum EU-Staat Irland und setzen womöglich neue Feindseligkeiten ein.
Seit der Wahl von Joe Biden steht so gut wie fest, dass die USA einen Handelsvertrag mit dem Vereinigten Königreich nur dann abschließen werden, wenn es ein Abkommen mit der EU und zumal keinen Verstoß gegen das Karfreitags-abkommen der Iren gibt. So gesehen wird es wohl bis Ende des Jahres zumindest eine Art Abkommen etwa in Form von Absichtserklärungen sowie eine wie auch immer sprachlich getarnte Verlängerung der Übergangsphase geben. Abwarten und Tee trinken.