Es wirkt wie ein Schildbürgerstreich: In Essen soll eine Widerstandskämpferin mit einem Straßennamen geehrt werden, aber es wird nur eine Straßenseite nach der von der Gestapo ermordeten Käthe Larsch umbenannt, die andere Straßenseite heißt Friedrich-Ebert-Straße. Besonders die Bewohner eines Altenheimes wollten nicht eine Kommunistin als Namenspatronin. Sie wollten an alten antikommunistischen Gewohnheiten festhalten.
An alten Verharmlosungen der Nazis will auch der Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) festhalten. Er meinte kürzlich gar, der Neofaschismus in Dortmund sei gescheitert, denn bei dem einer verstorbenen bundesdeutschen Nazigröße, Siegfried Borchardt, gewidmeten Trauermarsch habe sich das »letzte Aufgebot« der Rechten gezeigt. Wie das? »SS-Siggi« Borchardt lebt zwar nicht mehr, aber Matthias Helferich ist sehr lebendig. Er nennt sich das »freundliche Gesicht des NS« und einen »demokratischen Freisler« Er wurde in den Bundestag gewählt, und er verbindet die offen faschistische Szene mit seinen AfD-Kreisen. Die AfD-Basis ist vielerorts beim Neofaschismus angekommen. Und in Dortmund gibt es weitere Aktivitäten eines Ausbaus der sehr rechten Infrastruktur, zu denen der OB nichts sagt: Schaffung eines Ladengeschäfts der der rechten Volkstum-Bewegungen verbundenen Hermann Niermann Stiftung und Eröffnung eines Thor Steinar Ladens. Es gibt rechte Vorfälle bei der Polizei mit ihren neonazistischen Chatgruppen, Waffenlager in Lütgendortmund, Verbindungen zu einem Neonazischießstand in Mecklenburg-Vorpommern. Und die Bundeswehr/Nato greift nach dem Ruhrgebiet mit einer Cyberkriegsformation; dort soll ein neuer Nato-Stützpunkt geschaffen werden, so haben es SPD und Grüne im Stadtrat beschlossen. Derweil werden die Printmedien immer lautloser, was die Rechtsentwicklung anbetrifft. Und die Stadtleitung verzögert weiterhin die Umbenennung einer Emil Kirdorf Siedlung – Kirdorf war einer der ersten Finanziers der Nazis – im Stadtteil Dortmund-Eving.
Ein anderes Beispiel: Die ursprünglich von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) mitgestaltete Gedenkstätte in Oberhausen wurde umgestaltet. Über dem Eingang stand bis dahin »Faschismus kommt nicht über Nacht, er wird vom Kapital gemacht«. Und dieses »Über Nacht« störte die neuen Ausstellungsmacher offenbar, sie stellten an den Eingang der neuen Ausstellung kommentarlos eine Tafel zum 30. Januar 1933 in Oberhausen. Keine Vorgeschichte. Also doch über Nacht. Der Schwerpunkt der Ausstellung ist die Zwangsarbeit. Und die wurde nun anscheinend gar nicht vom Kapital betrieben, sondern – vor allem von der Gestapo.
Solche neue Schwerpunktsetzung ist auch bei anderen Umwandlungen erkennbar. Dortmund hat eine gute Tradition in der Erinnerungsarbeit. Doch in der Gedenkstätte Steinwache in Dortmund entwickelt sich manches, was merkwürdig zu nennen, Verharmlosung wäre. Dort gibt es den Raum 7 »Die Schwerindustrie setzt auf Hitler«. Der soll, so wurde angekündigt, nun entfallen, denn das Groß- und Finanzkapital sei weniger schuldig als bisher vermutet. Künftig soll die Gedenkstätte sich nur noch mit dem Widerspruch »Polizei versus Zivilgesellschaft im NS« befassen. Und schon jetzt liegt eine Broschüre aus, in der es heißt, dass Reichspräsident Hindenburg nicht Hitler, sondern den rechten Zentrumspolitiker von Papen mit der Kanzlerschaft beauftragt habe.
Die Schuld kapitalistischer Eliten am Faschismus wird allgemein in dieser Republik gern durch die herrschenden Kreise bestritten, ja, es wird behauptet, dass das Grundgesetz unserer Republik den Kapitalismus als Kern der Verfassung ansieht, alle antikapitalistischen Auslegungen seien extremistisch und somit verfassungsfeindlich. Doch weder der Text des GG noch seine Auslegungen durch das Bundesverfassungsgericht bestätigen dies.
Die Landesverfassung von NRW enthält sogar ganz ausdrückliche antikapitalistische Aussagen. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Brief des grünen stellvertretenden Ministerpräsidenten Michael Vesper an die VVN-BdA NRW ein: Zu ihrer Forderung, gegen die IG Farben-Nachfolger den Enteignungsartikel der Landesverfassung anzuwenden, schrieb er einst: Dieser Artikel sei durch das Grundgesetz aufgehoben worden. Das Grundgesetz ist jedoch älter als die Landesverfassung. Bei vollkommener Kenntnis des Grundgesetzes stellte die Landesregierung vor 70 Jahren die Landesverfassung zur Abstimmung durch das Volk, das diese annahm.
Die Verwirklichung dieser Verfassung steht im Mittelpunkt der Programmatik der VVN-BdA. Die gegenwärtige Landesregierung arbeitet jedoch auf der Grundlage eines festgeschriebenen Bruchs der Landesverfassung per Koalitionsvertrag. Darin wird das Prinzip »Privat vor Staat« beschlossen. Die Landesverfassung sieht aber einen Vorrang gesellschaftlicher Interessen vor allen privatwirtschaftlichen Handlungen. Es gibt darin ein Recht auf Arbeit, aber kein Recht auf Profit.
Ein weiteres Beispiel: Die Notwendigkeit und Bedeutung der Stolpersteinverlegungen sind allgemein anerkannt. Die VVN-BdA hat aber auch hier ergänzend gefordert: Es ist auch vor den Tätern zu warnen und nicht nur der Opfer zu gedenken. Also Stolpersteine plus Mahntafeln! Dazu wurde z.B. in Herten auf Antrag der VVN-BdA ein ganzer Maßnahmenkatalog angenommen, der abgearbeitet wird, damit an den Stätten der Leiden der Zwangsarbeiter und des Sitzes der Konzerne auch Mahntafeln stehen.
Deshalb hatten auch Schülerinnen und Schüler vollkommen Recht, als sie verlangten, dass ihr Gymnasium in Kreuztal nicht länger nach dem Nazifinanzier und Kriegsgewinnler Friedrich Flick benannt bleiben soll. Sie bekamen Recht, und die Schule heißt nun nicht mehr Flick-Gymnasium. Und zwar die ganze Schule – und nicht nur die Hälfte. Siehe oben.
In den letzten Jahren waren junge Menschen besonders drängend und erfolgreich in Teilen der Politik. Da die VVN-BdA Generationen-übergreifend, Parteien-übergreifend und internationalistisch wirkt, konnte man annehmen, dass sie auch zu den neuen Jugendbewegungen gute Verbindungen herstellen würde. Dies gelang auch – im Bereich Antifa, Antirassismus und Solidarität mit Migranten, in der Bewegung »Aufstehen gegen Rassismus«. Es gelang leider kaum beim Klimathema. Und die VVN-BdA als Teil der Friedensbewegung konnte wenig ausrichten, um die Friday for Future-Jugend mit dem Abrüstungsthema und dem Antifaschismus zu verbinden. Ein Versuch von mir, dazu etwas beizutragen, war mein Artikel in Ossietzky (Heft 9/2019) mit dem Titel »Helmuth und Greta«.
Ein besonderer Erfolg, an dem die nordrhein-westfälischen Antifaschisten mitwirkten, waren die Enthüllungsaktionen gegen die Traditionsverbände der Gebirgsjäger in Mittenwald. Ermittelt wurden fast 200 ehemalige Wehrmachtssoldaten, die an Kriegsverbrechen teilgenommen hatten. Darunter einer, der seine Mitwirkung an den Morden zugab: Es sei »wie Grasmähen gewesen«, was er mit dem MG machte, dessen Lauf er beim Schießen auf die Frauen und Kinder von Kommeno hin und her schwenkte. Nur einer der Angezeigten wurde verurteilt, aber die Aufklärungsarbeit führte dazu, dass sich die Bevölkerung von Mittenwald von ihren verbrecherischen Vorfahren abwendete. Vor der Schule steht nun eine Gedenkstele an die in Griechenland und anderswo Ermordeten. Und in der Schule wird dieser Teil der Geschichte nun im Unterricht behandelt.
Es bleibt dabei: Für den Frieden und die Menschenrechte weiterhin einzutreten, bleibt unabdingbar, ebenso für die »sozialen Menschenrechte«. Ich erinnere an Friedrich Schiller, der 1797 schrieb: »Würde des Menschen? Nichts mehr davon, ich bitt Euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen: Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.«