Strafverfahren oder Skandale im Bereich der Religionsgemeinschaften finden in der Öffentlichkeit, zu Recht, größte Aufmerksamkeit, werden doch oft dadurch viele verdrängte oder vertuschte Abartigkeiten, die in solchen Gemeinschaften ihr Unwesen treiben, überhaupt erst bekannt. Das war und ist so, seit die jahrhundertelange Praxis von sexuellen Verbrechen an ihren Schutzbefohlenen durch kirchliches Personal aufgedeckt wurde, und nun gibt es, allerdings in kleinerem Maßstab, den »Fall Latzel«, durch den eine größere Öffentlichkeit Kenntnis von sehr zweifelhaften Bibelbotschaften erhalten kann.
Zum Fall: In Bremen hatte der evangelikale Pastor Latzel Homosexuelle als Verbrecher bezeichnet und war deshalb im vorigen Jahr wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 8000 Euro verurteilt worden. Er ging in Berufung, und das Landgericht muss nun entscheiden, ob der Angeklagte sich, »von der Bibel gedeckt«, in seiner Hetzrede auf die Religionsfreiheit berufen könne oder ob die Würde der Menschen nach Artikel 1 (1) GG Vorrang hat und er zu Recht verurteilt sei. Als Gutachter dazu beauftragte das Landgericht den evangelikalen Theologieprofessor Christoph Raedel von der Freien Theologischen Hochschule in Gießen. Ausgerechnet!
Dieser Theologe ist nämlich mit seiner Hochschule der »Deutschen Theologischen Allianz« verbunden, zu deren »theologischer Basis« das »Bekenntnis« gehört, das »die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift und ihre völlige Zuverlässigkeit und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung« betont. Als Ausflüsse dieser angeblich »göttlichen Inspirationen« seien aus der »Heiligen Schrift« (vulgo Bibel) einige typische Aussagen vorgestellt, die den Gemeindegliedern weitgehend unbekannt sein dürften.
Zur Homosexualität aus dem »Heiligkeitsgesetz« (3. Mose, 17-26, bes. 20.13): »Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist und sollen beide des Todes sterben.« Diese »göttliche Inspiration« wurde seit dem 13. Jahrhundert im christlichen Abendland durch öffentliche Verbrennung Homosexueller jahrhundertelang umgesetzt.
Kinderfeindlichkeit: 5. Mose, 21. 18-21 (»Todesstrafe für ungeratene Söhne« durch Steinigung).
Frauenfeindlichkeit: 1. Timotheus 2.11 (»Unterordnung der Frauen«).
Kampf- und Fluchworte gegen die Juden: Johannes 8, bes. V. 44 (»Ihr habt den Teufel zum Vater«) – laut Daniel Goldhagen (»Die katholische Kirche und der Holocaust«, Siedler 2002, S. 351) gibt es allein in den 4 Evangelien und der Apostelgeschichte »rund 450 explizit antisemitische Verse«.
Schließlich ein besonderer Leckerbissen aus den »göttlichen Inspirationen« für die, die den Gesetzen Gottes überhaupt nicht gehorchen: Gott empfiehlt, so zu »strafen, dass ihr sollt eurer Söhne und Töchter Fleisch essen«, 3. Mose, 26.28f.
Kein Gericht darf in Zukunft das Bekenntnis zu solchen sexual-, kinder-, frauenfeindlichen, kriegstreiberischen, antisemitischen und menschenfresserischen »göttlichen Inspirationen« in der Bibel mehr billigen. Deswegen hat das Landgericht Bremen nun wohl auch auf den evangelikalen Professor Raedel als Gutachter verzichtet, der, wie inzwischen bekannt geworden war, »gelebte Homosexualität für Sünde« hält, genauso wie das Millionenheer evangelikaler Zionskämpfer.
Wer immer nun neuer Gutachter wird, und wie schließlich das Berufungsurteil ausfällt: Der angeklagte »Hetzpastor« (so das Göttinger Tageblatt vom 5.10.21) wird im Falle der Urteilsbestätigung wohl erneut Einspruch dagegen einlegen und bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Die Zeit bis dahin sollte genutzt werden, einen Kanon mit all jenen, den Menschenrechten zuwiderlaufenden Bibelstellen erarbeiten zu lassen, damit in einem Konfliktfall wie dem vorliegenden in Zukunft der Art.1 (1) GG (»Die Würde des Menschen ist unantastbar«) immer Vorrang hat vor Art. 4 (1) GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit), auch dann, wenn die »Freiheit des Glaubens« »von der Bibel gedeckt« ist. Da gibt es, siehe oben, die Bestrafung durch Steinigung für mindestens elf »Vergehen« – ganz ähnlich wie es auch die Scharia befiehlt. Solche göttlichen Barbareien haben in einer menschenfreundlichen Rechtspflege nichts zu suchen; sie müssen vielmehr geächtet werden, öffentlich, von der Wissenschaft, der Publizistik, von der Justiz und der Politik.