Sonntagmorgen um halb Neun. Die Nachrichten sind vorbei. Zu faul, vom Frühstück aufzustehen, das Radio auszuschalten: »Wie fühlt sich Sündenvergebung an?« Hä? Ach so, die Sendung im Deutschlandfunk heißt: »Wenn Designstudenten katholische Rituale erlebbar machen.«
Neugierig? Na und wie – der Kaffee wird kalt. »Sündenvergebung irgendwie erlebbar machen«? Ganz einfach, so wie Jesus Wasser in Wein verwandelte: Man nimmt ein Objekt, nennt es »Candle of Sins« – eine Kerze, die, aber ja, »aus vergebenen Sünden gegossen wird«.
Herr, wie soll das gehen? Dr. Fabian Hemmert, Professor für Design an der Universität Wuppertal hat sich mit seinen Studenten die kirchlichen Rituale angesehen, diese »Schnittstelle zwischen Mensch und Gott«. Die muss »überarbeitet« werden – nach den »Regeln des Produktdesigns« und überführt in eine »zeitgemäße Ästhetik«. Diese Rituale »ins 21. Jahrhundert bringen«: Das ist die Aufgabe.
Ein katholischer Schamane, Diakon Dr. Dr. Andreas Bell, der für das Erzbistum Köln »den Dialog« mit »den Wissenschaften« betreibt, wird von der Autorin dieser Sendung, Verena Tröster, die auch beim Domradio Köln moderiert, befragt, ob man die Sünde als Segen begreifen kann. Ablass? Tetzel? Gegenfrage des Diakons: »Warum ist die Schuld glücklich? Wie fühlt sie sich an?« Ist sie eine Frau? Antwort: Um den »tiefsten Winkel ihrer Seele Gott zeigen zu können« – das sei der »Luxus«, den Christen haben.
Doch um den letzten Winkel auszuleuchten, braucht es das Licht. Das bringt uns zu »Schritt zwei im Produktionsprozess: Die Konzeption von Lösungsvarianten«. Diese »glückliche Schuld« müsse nun »im Design erlebbar werden«. Man soll sie »in die Hand nehmen können«. Die Frage: Welches Material eignet sich? Steine? »Das hat zwar schon eine gewisse Haptik, aber was macht man dann nachher mit den Steinen?« So seien sie darauf gekommen, Wachs zu verwenden und es einzuschmelzen. Schon sind wir bei »Phase drei, dem Entwurf. Kleine Stücke Wachs machen den Ballast der Sünde anfassbar.« Aus den Verfehlungen wird ein farbiges Wachsstück, das in einen kleinen gusseisernen Behälter geworfen wird, eben die »Candle of Sins«. Übers Jahr füllt er sich, die »Sünden werden sichtbar, ihre Last schwerer«.
Die Idee der Design-Studierenden: »Und dann schmelzen die Wachspellets zusammen, sollten idealerweise sintern, also sich langsam ineinander schmiegen« zu einer marmornen Farbigkeit. Nach der Abkühlung hat man eine Kerze, »in der jedes einzelne Eckchen dafür steht, dass ein Gemeindemitglied eine Sünde gebeichtet hat «. Der Beichtvater ist wegrationalisiert. Dennoch, »alle Sünden sind vergeben«. Die Sünden einer ganzen Gemeinde sind »Licht« geworden.
Designexperte Hemmert sagt: »Von der Insulinspritze bis zum Schreibtisch, überall umgibt uns Produktdesign.« Und zum Objekt, es sei immer dann gut, »wenn es seinen Zweck« erfülle: die Mensch-Gott-Schnittstelle? Die von seinen Studenten entworfenen Objekte seien »sehr klar nach den Regeln des Produktdesigns entstanden«, dennoch »rechnen sie quasi mit Gottes Anwesenheit«. Noch ein Projekt: »Flame of Prayers«. Hier werden Gebete in Farbe beantwortet. Das Design, einfach, aber wirkungsvoll. Eine »kupferfarbene Messingschale«, worin ein paar Lavasteine liegen. Und unter den Steinen der Flammenwerfer: eine »Gaskartusche, die eine Flamme wirft«. Am wichtigsten: Metallsalze als Pellets eingesetzt. Ob das dann rot, blau, grün oder gelb leuchtet: Der Betende bekommt – mutmaßlich von Gott – ein »farbliches Feedback zu seinem Anliegen«.
Und so sind sieben Einzelobjekte für den upgedateten Gott in der Designklasse von Professor Hemmert entstanden. Wo kann man sie bestellen? Kein Hinweis. Der Hörer am Sonntagmorgen erfährt immerhin, dass diese Arbeiten an der Mensch-Gott-Schnittstelle »eine sehr gewinnbringende Sache« seien. Und Diakon Andreas Bell weiß, dass die von den Studierenden designten Objekte »durchaus für den realen Einsatz« taugen.
Und wo das Beichten nicht mehr in ist, kann man, so der Diakon, einen »Wall of Confessions« schaffen. Der Beichtstuhl im Design des 21. Jahrhunderts, eine »öffentliche Wand zur Beichte«? Nun der Regen wird alles »reinwaschen«. Der geupdatete Gott macht alles, was die Designerklasse von Professor Hemmert will. Ob das Kirchenvolk da mitzieht?
Bevor die katholischen Heerscharen aufbrechen und dem Deutschlandfunk in Köln wegen Gotteslästerung die Scheiben einwerfen: stopp! Der Sender will für den Inhalt der Sendung, die er nachweisbar gesendet hat, nicht verantwortlich sein, das sei Sache einer kirchlichen Einrichtung, der »Katholischen Hörfunkarbeit«. Also, kehrt marsch! Der Kölner Dom hat auch prächtige Fenster.
P.S. Die Frankfurter Allgemeine vier Tage später: »Im Erzbistum Köln reiht sich derzeit in rascher Folge eine Erschütterung an die nächste.«