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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Gott ist wiedergekommen

Was haben Kak­teen in einer Aus­stel­lung zur Neu­en Sach­lich­keit zu suchen? Das frag­te ich mich gleich zu Beginn der Schau »Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jah­re« im Ham­bur­ger Buce­ri­us Kunst Forum (bis 19. Mai 2019). In vie­len Foto­gra­fien und zwei Ölbil­dern stand der Kak­tus im Mit­tel­punkt. Dane­ben Still­le­ben mit Glä­sern oder Haus­ge­rä­ten: Eimer, Besen, Lap­pen – nichts Erha­be­nes, All­tags­ge­gen­stän­de. Han­nah Höch sah den Reiz der Spie­ge­lun­gen in den Glä­sern, ver­such­te sie mit Ölfar­be ein­zu­fan­gen (1927). Genau­so wie Albert Ren­ger-Patzsch es mit der Kame­ra tat. Ihn fas­zi­nier­ten an Kak­teen ihre For­men »Kugeln, Zylin­der, Pris­men, Kri­stall­for­men, fast geo­me­tri­sche Pla­sti­ken …«, alles orga­nisch gewach­sen. Selbst in den Bau­haus-Ate­liers stan­den sie, wie ein Foto von Mari­an­ne Brandt beweist (um 1930). Doch die­se Kak­teen­fen­ster hat­ten nicht nur Bewun­de­rer. Der Schrift­stel­ler Karel Čapek fand sie spie­ßig und »wie ein Lager krie­ge­ri­scher Hein­zel­männ­chen« – nur in den Anmer­kun­gen des Kata­logs zu ent­decken (Hirm­er Ver­lag, 264 Sei­ten, 29 €), nicht in der Aus­stel­lung. Die ermög­licht es, durch das Neben­ein­an­der von Gemäl­den und Foto­gra­fien (Sil­ber­ge­la­ti­ne-Abzü­ge) das Gemein­sa­me sowie die Unter­schie­de in den Medi­en der Neu­en Sach­lich­keit nachzuvollziehen.

Die Nach­kriegs­zeit ließ kei­nen Raum mehr für den Über­schwang der Gefüh­le, der Expres­sio­nis­mus war der ernüch­tern­den Rea­li­tät gewi­chen. Die wur­de in der akri­bi­schen Mal­wei­se der alten Mei­ster gespie­gelt oder bei der Foto­gra­fie im Ver­such einer beson­de­ren Per­spek­ti­ve, die unge­wöhn­li­che Sicht­wei­sen auf Bekann­tes schuf. Oder einen Gegen­stand ein­fach nur ins rech­te Licht rück­te, wie es die Rekla­me ver­lang­te. Ren­ger-Patzschs Buch »Die Welt ist schön« war 1928 erschie­nen und dien­te vie­len Foto­gra­fen als Lehr­buch. Wal­ter Ben­ja­min warf dem Autor vor, nur die rei­ne Waren­äs­the­tik zu sehen, die die Rea­li­tät ver­schleie­re und nichts über die Her­stel­lungs­wei­se, die Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se aus­sa­ge. 1930 erschien der Bild­band von Ren­ger-Patzsch »Eisen und Stahl« mit einem Wort des Geleits von Albert Vög­ler, dem Gene­ral­di­rek­tor des größ­ten Stahl­kon­zerns in Euro­pa, den Ver­ei­nig­ten Stahl­wer­ken. Aus die­ser Tech­nik­be­gei­ste­rung her­aus ent­stan­den vie­le Aus­stel­lungs­stücke, auch als Auf­trags­ar­bei­ten für die Indu­strie: Fabri­ken von außen (Schorn­stei­ne wie Tür­me von Kathe­dra­len) oder von innen (kli­nisch sau­be­re Maschi­nen, schön, aber ohne Men­schen). Oder die Eisen­bahn, im Gemäl­de von Max Rad­ler »Die gro­ße Loko­mo­ti­ve« (1935), sta­tisch wie ein Gebäu­de. Aen­ne Bier­manns Foto »Eisen­bahn­schie­nen« (1931/​32) dage­gen erzeugt in ihrer schrä­gen Drauf­sicht Schwin­del­ge­füh­le. Der Film »Das Stahl­tier« von Wil­ly Ziel­ke, den er im Auf­trag der Reichs­au­to­bahn 1935 dreh­te, in einer neu­ar­ti­gen Bild­spra­che, auch nach dem Vor­bild rus­si­scher Fil­me – er durf­te nicht öffent­lich gezeigt wer­den, obwohl er die Tech­nik nicht kri­ti­sier­te. Der Film »Spreng­bag­ger 1010« von Carl Lud­wig Achaz-Duis­berg hat­te schon 1929 ein Pro­blem auf­ge­grif­fen, das uns bis heu­te empört. Im Kata­log­text beschreibt Ulrich Pohl­mann – neben Kath­rin Baum­stark Kura­tor der Aus­stel­lung – wie ein Dorf »den Inter­es­sen eines rück­sichts­lo­sen Unter­neh­mers und einem mäch­ti­gen Braun­koh­le­bag­ger zum Opfer fällt«. Vom Kame­ra­mann und Foto­gra­fen Hel­mar Ler­ski sind Bei­spie­le aus sei­ner Serie »Köp­fe des All­tags« (1928-31) aus­ge­stellt: Land­strei­cher, Bett­ler, eine Rei­ne­ma­chefrau. Kei­ne Typen, Indi­vi­du­en. Gleich danach im Kata­log zwei Fotos, die mich irri­tier­ten – in der Aus­stel­lung. Sie zei­gen, was sich ver­än­dert hat­te in den 30er Jah­ren. Erna Lend­vai-Dirck­sen glo­ri­fi­zier­te mit ihrer Kame­ra einen »pom­mer­schen Erd-arbei­ter« als einen der »Men­schen der Reichs­au­to­bahn«. Blond, nack­ter, mus­ku­lö­ser Ober­kör­per, Blick in die Fer­ne gerich­tet, Griff zur Schau­fel. Wie eine Skulp­tur vom NS-Künst­ler Bre­ker. Der »masu­ri­sche Jun­ge« atmet auch schon die­sen Geist. In der Aus­stel­lung kein Hin­weis. Im Kata­log­text indes sind die Fotos der »natio­nal­so­zia­li­sti­schen Foto­gra­fin« den Bil­dern Ler­skis gegen­über­ge­stellt. Lend­vai-Dirck­sen hat­te schon 1932 den Band »Das deut­sche Volks­ge­sicht« ver­öf­fent­licht, um dort der »ari­schen deut­schen Ras­se« ein Denk­mal zu schaf­fen. Dage­gen das gro­ße Gemäl­de von Con­rad Felix­mül­ler »Zei­tungs­jun­ge« (1928), der da im dün­nen Män­tel­chen ohne Hand­schu­he, mit rot­ge­fro­re­ner Nase und Ohren im Schnee steht.

Zu den Selbst­por­träts: mehr­mals Otto Dix, so wie er sich sehen woll­te – etwas fin­ster blickend, an der Staf­fe­lei mit einer magi­schen Glas­ku­gel (1931). Ein ande­rer, Bart­hel Gil­les, sieht sich mit Gas­mas­ke (1929/​30), der Krieg ist noch nicht vor­bei. Das Cover­bild der Aus­stel­lung: »Halbakt« (1929), ein Gemäl­de von Chri­sti­an Schad. Soll­te so die neue Frau gese­hen wer­den? Alles glatt, auch der schwar­ze Bubi­kopf, das Gesicht im Pro­fil, ohne Aus­druck. Sie, hin­ge­streckt auf Kis­sen, mit Hals­ket­te, die zwi­schen nack­ten Brü­sten hängt. Alles so schön deut­lich wie ein Rekla­me­bild, die Kon­tu­ren nachgezogen.

Anbe­tungs­wür­dig: Frau­en – oder Maschi­nen? »Der gel­be Kes­sel« von Carl Gross­berg (1933) ist so ein Ding mit star­ker Aus­drucks­kraft, ein Gemäl­de. Neben Wal­ter Ben­ja­min war es auch Bert Brecht, der sich gegen die Tech­nik-Eupho­rie von Intel­lek­tu­el­len wand­te, die kri­tik­lo­se, nur an der Ästhe­tik gemes­se­ne Dar­stel­lung in Lite­ra­tur und Kunst. Sein Gedicht »700 Intel­lek­tu­el­le beten einen Öltank an« drückt das in Form eines Glau­bens­be­kennt­nis­ses aus: »… Eilet her­bei, alle/​ Die ihr absägt, den Ast, auf dem ihr sitzet/​ Werktätige!/ Gott ist wiedergekommen/​ in Gestalt eines Öltanks./ Du Häßlicher/​ Du bist der Schönste!/ Tue uns Gewalt an/​ Du Sach­li­cher! …« Brechts Hym­ne an den Öltank führt zum Schluss der Aus­stel­lung, zur »Poli­ti­schen Mon­ta­ge«. Schon seit der Zeit des Dada­is­mus war die Foto­mon­ta­ge ein Mit­tel des Pro­tests. Han­nah Höch blieb ihr ein Leben lang treu. Von ihr ist »Hoch­fi­nanz« (1923) aus­ge­stellt, eine aus Zei­tun­gen aus­ge­schnit­te­ne Col­la­ge, mit der Höch ver­such­te, das auf­zu­zei­gen, was die Pres­se ver­schwieg. Ihre Foto­mon­ta­gen sind oft spie­le­risch und weni­ger deut­lich als die von John Heart­field. Von ihm ist kei­ne Arbeit aus­ge­stellt, nur im Flur an der Wand, eine Rei­he von Titel­blät­tern der Arbei­ter-Illu­strier­te-Zei­tung (AIZ), die Heart­field gestal­te­te. Ande­re Ver­tre­ter der poli­ti­schen Mon­ta­ge, Georg Scholz, Erwin Blu­men­feld und Karl Hub­buch, zeu­gen von der Band­brei­te des Gen­res. So erkennt man in der Kalt­na­del­ra­die­rung »Mörderzentrale«(1922) von Hub­buch Ber­lin – im Hin­ter­grund, die Sie­ges­säu­le vor dem Reichs­tag, noch unver­brannt. Nur im Kata­log drei Bei­spie­le der Col­la­gen von Heart­field. Eine »Das Spiel der Nazis mit dem Feu­er« vom 28. Febru­ar 1935, dem Jah­res­tag des Reichs­tags­brands. Goe­ring mit bren­nen­der Fackel in der Hand. Dazu der Text: »Wenn die Welt erst brennt, wer­den wir schon bewei­sen, daß Mos­kau der Brand­stif­ter war.« 1933 muss­ten die mei­sten kri­ti­schen Künst­ler Deutsch­land ver­las­sen, die Zeit poli­ti­scher Col­la­gen war zu Ende. Eine letz­te Mon­ta­ge von Erwin Blu­men­feld nun aus Hol­land: »Hitler‘s Mug« (Hit­ler­fres­se), ein Toten­kopf des Füh­rers von 1933. Das Foto wur­de als ame­ri­ka­ni­sches Flug­blatt mil­lio­nen­fach über Deutsch­land abge­wor­fen, im Jahr 1942.