Was haben Kakteen in einer Ausstellung zur Neuen Sachlichkeit zu suchen? Das fragte ich mich gleich zu Beginn der Schau »Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre« im Hamburger Bucerius Kunst Forum (bis 19. Mai 2019). In vielen Fotografien und zwei Ölbildern stand der Kaktus im Mittelpunkt. Daneben Stillleben mit Gläsern oder Hausgeräten: Eimer, Besen, Lappen – nichts Erhabenes, Alltagsgegenstände. Hannah Höch sah den Reiz der Spiegelungen in den Gläsern, versuchte sie mit Ölfarbe einzufangen (1927). Genauso wie Albert Renger-Patzsch es mit der Kamera tat. Ihn faszinierten an Kakteen ihre Formen »Kugeln, Zylinder, Prismen, Kristallformen, fast geometrische Plastiken …«, alles organisch gewachsen. Selbst in den Bauhaus-Ateliers standen sie, wie ein Foto von Marianne Brandt beweist (um 1930). Doch diese Kakteenfenster hatten nicht nur Bewunderer. Der Schriftsteller Karel Čapek fand sie spießig und »wie ein Lager kriegerischer Heinzelmännchen« – nur in den Anmerkungen des Katalogs zu entdecken (Hirmer Verlag, 264 Seiten, 29 €), nicht in der Ausstellung. Die ermöglicht es, durch das Nebeneinander von Gemälden und Fotografien (Silbergelatine-Abzüge) das Gemeinsame sowie die Unterschiede in den Medien der Neuen Sachlichkeit nachzuvollziehen.
Die Nachkriegszeit ließ keinen Raum mehr für den Überschwang der Gefühle, der Expressionismus war der ernüchternden Realität gewichen. Die wurde in der akribischen Malweise der alten Meister gespiegelt oder bei der Fotografie im Versuch einer besonderen Perspektive, die ungewöhnliche Sichtweisen auf Bekanntes schuf. Oder einen Gegenstand einfach nur ins rechte Licht rückte, wie es die Reklame verlangte. Renger-Patzschs Buch »Die Welt ist schön« war 1928 erschienen und diente vielen Fotografen als Lehrbuch. Walter Benjamin warf dem Autor vor, nur die reine Warenästhetik zu sehen, die die Realität verschleiere und nichts über die Herstellungsweise, die Produktionsverhältnisse aussage. 1930 erschien der Bildband von Renger-Patzsch »Eisen und Stahl« mit einem Wort des Geleits von Albert Vögler, dem Generaldirektor des größten Stahlkonzerns in Europa, den Vereinigten Stahlwerken. Aus dieser Technikbegeisterung heraus entstanden viele Ausstellungsstücke, auch als Auftragsarbeiten für die Industrie: Fabriken von außen (Schornsteine wie Türme von Kathedralen) oder von innen (klinisch saubere Maschinen, schön, aber ohne Menschen). Oder die Eisenbahn, im Gemälde von Max Radler »Die große Lokomotive« (1935), statisch wie ein Gebäude. Aenne Biermanns Foto »Eisenbahnschienen« (1931/32) dagegen erzeugt in ihrer schrägen Draufsicht Schwindelgefühle. Der Film »Das Stahltier« von Willy Zielke, den er im Auftrag der Reichsautobahn 1935 drehte, in einer neuartigen Bildsprache, auch nach dem Vorbild russischer Filme – er durfte nicht öffentlich gezeigt werden, obwohl er die Technik nicht kritisierte. Der Film »Sprengbagger 1010« von Carl Ludwig Achaz-Duisberg hatte schon 1929 ein Problem aufgegriffen, das uns bis heute empört. Im Katalogtext beschreibt Ulrich Pohlmann – neben Kathrin Baumstark Kurator der Ausstellung – wie ein Dorf »den Interessen eines rücksichtslosen Unternehmers und einem mächtigen Braunkohlebagger zum Opfer fällt«. Vom Kameramann und Fotografen Helmar Lerski sind Beispiele aus seiner Serie »Köpfe des Alltags« (1928-31) ausgestellt: Landstreicher, Bettler, eine Reinemachefrau. Keine Typen, Individuen. Gleich danach im Katalog zwei Fotos, die mich irritierten – in der Ausstellung. Sie zeigen, was sich verändert hatte in den 30er Jahren. Erna Lendvai-Dircksen glorifizierte mit ihrer Kamera einen »pommerschen Erd-arbeiter« als einen der »Menschen der Reichsautobahn«. Blond, nackter, muskulöser Oberkörper, Blick in die Ferne gerichtet, Griff zur Schaufel. Wie eine Skulptur vom NS-Künstler Breker. Der »masurische Junge« atmet auch schon diesen Geist. In der Ausstellung kein Hinweis. Im Katalogtext indes sind die Fotos der »nationalsozialistischen Fotografin« den Bildern Lerskis gegenübergestellt. Lendvai-Dircksen hatte schon 1932 den Band »Das deutsche Volksgesicht« veröffentlicht, um dort der »arischen deutschen Rasse« ein Denkmal zu schaffen. Dagegen das große Gemälde von Conrad Felixmüller »Zeitungsjunge« (1928), der da im dünnen Mäntelchen ohne Handschuhe, mit rotgefrorener Nase und Ohren im Schnee steht.
Zu den Selbstporträts: mehrmals Otto Dix, so wie er sich sehen wollte – etwas finster blickend, an der Staffelei mit einer magischen Glaskugel (1931). Ein anderer, Barthel Gilles, sieht sich mit Gasmaske (1929/30), der Krieg ist noch nicht vorbei. Das Coverbild der Ausstellung: »Halbakt« (1929), ein Gemälde von Christian Schad. Sollte so die neue Frau gesehen werden? Alles glatt, auch der schwarze Bubikopf, das Gesicht im Profil, ohne Ausdruck. Sie, hingestreckt auf Kissen, mit Halskette, die zwischen nackten Brüsten hängt. Alles so schön deutlich wie ein Reklamebild, die Konturen nachgezogen.
Anbetungswürdig: Frauen – oder Maschinen? »Der gelbe Kessel« von Carl Grossberg (1933) ist so ein Ding mit starker Ausdruckskraft, ein Gemälde. Neben Walter Benjamin war es auch Bert Brecht, der sich gegen die Technik-Euphorie von Intellektuellen wandte, die kritiklose, nur an der Ästhetik gemessene Darstellung in Literatur und Kunst. Sein Gedicht »700 Intellektuelle beten einen Öltank an« drückt das in Form eines Glaubensbekenntnisses aus: »… Eilet herbei, alle/ Die ihr absägt, den Ast, auf dem ihr sitzet/ Werktätige!/ Gott ist wiedergekommen/ in Gestalt eines Öltanks./ Du Häßlicher/ Du bist der Schönste!/ Tue uns Gewalt an/ Du Sachlicher! …« Brechts Hymne an den Öltank führt zum Schluss der Ausstellung, zur »Politischen Montage«. Schon seit der Zeit des Dadaismus war die Fotomontage ein Mittel des Protests. Hannah Höch blieb ihr ein Leben lang treu. Von ihr ist »Hochfinanz« (1923) ausgestellt, eine aus Zeitungen ausgeschnittene Collage, mit der Höch versuchte, das aufzuzeigen, was die Presse verschwieg. Ihre Fotomontagen sind oft spielerisch und weniger deutlich als die von John Heartfield. Von ihm ist keine Arbeit ausgestellt, nur im Flur an der Wand, eine Reihe von Titelblättern der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ), die Heartfield gestaltete. Andere Vertreter der politischen Montage, Georg Scholz, Erwin Blumenfeld und Karl Hubbuch, zeugen von der Bandbreite des Genres. So erkennt man in der Kaltnadelradierung »Mörderzentrale«(1922) von Hubbuch Berlin – im Hintergrund, die Siegessäule vor dem Reichstag, noch unverbrannt. Nur im Katalog drei Beispiele der Collagen von Heartfield. Eine »Das Spiel der Nazis mit dem Feuer« vom 28. Februar 1935, dem Jahrestag des Reichstagsbrands. Goering mit brennender Fackel in der Hand. Dazu der Text: »Wenn die Welt erst brennt, werden wir schon beweisen, daß Moskau der Brandstifter war.« 1933 mussten die meisten kritischen Künstler Deutschland verlassen, die Zeit politischer Collagen war zu Ende. Eine letzte Montage von Erwin Blumenfeld nun aus Holland: »Hitler‘s Mug« (Hitlerfresse), ein Totenkopf des Führers von 1933. Das Foto wurde als amerikanisches Flugblatt millionenfach über Deutschland abgeworfen, im Jahr 1942.