Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Glück und Qual

Es ist vor allem eine Lie­bes­ge­schich­te aus den spä­ten acht­zi­ger Jah­ren, die in der Rück­schau mit­hil­fe von Doku­men­ten aus zwei Kar­tons rekon­stru­iert wird. Zu Beginn sind der Zau­ber und das Glück groß, das die neun­zehn­jäh­ri­ge Katha­ri­na und den um Jahr­zehn­te älte­ren Hans anein­an­der­fes­seln. Er ist Schrift­stel­ler und Musik­wis­sen­schaft­ler, ver­hei­ra­tet mit Sohn -– ein typi­scher DDR-Intel­lek­tu­el­ler aus den obe­ren Schich­ten, der sich in sei­nem Staat gut ein­ge­rich­tet hat. Er kann der jun­gen Frau viel an Wis­sen und Erfah­rung geben. Durch ihn erschließt sich ihr ein gan­zer Kos­mos: Mozart, Bach, Brecht, Eis­ler. Aber es dau­ert nicht lan­ge, und er nutzt – ohne sich des­sen bewusst zu sein, denn Selbst­kri­tik und Rück­sicht­nah­me sind sei­ne Sache nicht – sei­ne Über­le­gen­heit aus, indem er die Art des Mit­ein­an­ders domi­niert, kon­trol­liert und der jun­gen Gelieb­ten vor­schreibt, was sie zu tun hat. Sie fügt sich, denn die­se Lie­be ist eine Obses­si­on. Beim Lesen habe ich gestaunt, wie­viel sie sich gefal­len lässt und wie lan­ge es dau­ert, bis sich die bei­den end­gül­tig tren­nen. Aus dem anfangs so sym­pa­thi­schen klu­gen Schön­geist ist ein Mon­strum gewor­den, aus Lie­be Qual.

Gegen Ende des Romans wird das Umfeld – das Zeit­ge­sche­hen – immer wich­ti­ger und drän­gen­der, denn die gesell­schaft­li­che Wen­de mit ein­schnei­den­den Ereig­nis­sen bringt das Leben die­ser Creme der DDR-Intel­li­genz gehö­rig durch­ein­an­der. Dadurch bekommt das Buch einen wei­te­ren Akzent, zumal Jen­ny Erpen­beck das in aller Kür­ze ein­drucks­voll schil­dert. Sie bleibt – wie schon bei der eigent­li­chen Lie­bes­ge­schich­te – Bericht­erstat­te­rin, die ein­zig die Fak­ten spre­chen lässt. Das ist wohl das Auf­re­gen­de und Beson­de­re an die­sem Buch: Zwar distan­ziert, aber kaum wer­tend oder Par­tei ergrei­fend, erzählt sie vom glück­li­chen Augen­blick, des­sen Gott Kai­ros zwar an der Stirn eine Locke zum Fest­hal­ten habe, aber auf der Hin­ter­sei­te kahl sei.

Jen­ny Erpen­beck: Kai­ros. Roman. 379 S., 22 .