Die Welt brennt. Und der Waffenhandel floriert. Kriegsgerät ist global gefragt. Rekordverdächtige eintausend-neunhundert-siebzehn Milliarden US-Dollar (in Zahlen: 1.917) haben die Staaten der Welt 2019 für Rüstungsgüter ausgegeben. Es ist der höchste Wert seit 1988, so das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) in seinen aktuellen Jahresbericht. Es ist darüber hinaus der größte jährliche Zuwachs bei den Militärausgaben seit 2010. Auf die USA entfallen mit 732 Milliarden US-Dollar ganze 38 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben. Auch Deutschland hat zu der Steigerung beigetragen: Um ganze zehn Prozent, auf 49,3 Milliarden US-Dollar, hat das Land seine Militärausgaben im Vergleich zum Vorjahr erhöht.
Der SIPRI-Bericht dokumentiert: Insgesamt gaben die 29 NATO-Mitglieder im Jahr 2019 rund 1035 Milliarden US-Dollar aus. Deutlich gesteigert hat auch China seine Militärausgaben: 261 Milliarden. Damit liegt es mit 14 Prozent der weltweiten Ausgaben auf Rang zwei hinter den Vereinigten Staaten. Neben China sorgt eine weitere asiatische Großmacht für Aufsehen: Indien erhöhte seine Rüstungsausgaben 2019 um knapp sieben Prozent auf 71,1 Milliarden US-Dollar – und verdrängte im weltweiten Ranking Saudi-Arabien vom dritten Platz. Im Vergleich zu den riesigen Summen der »Big Player« verblassen die Rüstungsausgaben der restlichen Welt. Die Länder Südamerikas gaben zusammen rund 53 Milliarden US-Dollar aus, die Hälfte davon verbucht Brasilien. Die Länder in Südostasien kommen gemeinsam auf rund 41 Milliarden US-Dollar und die Länder des afrikanischen Kontinents insgesamt auf knapp über 42 Milliarden US-Dollar.
Viele Zahlen, viele Milliarden. Die Politik spricht routiniert von gewachsenen Militärausgaben und notwendigen Verteidigungskosten. Es gehe um nationale Sicherheit, um militärische Bündnisse, um strategische Gleichgewichte. Das Credo der Militär-Politiker: »Wer Frieden will, muss in Rüstung investieren.« Allein das sei Garant gegen Kriegsgefahr.
Klar ist: Wo viel investiert wird, wird auch viel produziert. Auf Nachfrage folgt Angebot, auf Angebot Nachfrage. Dafür sorgen große Rüstungskonzerne, mittelständische Waffen-Fabrikanten und Zulieferer. Beim Vergleich des Fünfjahreszeitraums 2015 bis 2019 mit den Zahlen der Jahre 2010 bis 2014 zeigt sich: Der internationale Waffenhandel ist in dieser Zeit um gut fünf Prozent gewachsen, im Vergleich zu 2005 bis 2009 sogar um 20 Prozent. Ein expansiver, lukrativer Markt. Ein Bombengeschäft.
Damit kommen wir zur Einnahmen-Seite. Auch hier sind die USA Spitzenreiter. Kein Land macht mehr Umsatz. Gleich ob Bush, Obama, Trump oder Biden im White House sitzen: Die US-Rüstungskonzerne können sich der Zustimmung ihrer Regierung sicher sein. Waffenverkäufe sind ein wichtiger Teil der Außen- und Sicherheitspolitik. Die zwölf US-Unternehmen, die in der Rangliste erfasst sind, stehen für 61 Prozent der Verkäufe. Weltweit bester Kunde amerikanischer Rüstungskonzerne der letzten Jahre: Saudi-Arabien. Ausgerechnet in die Krisenregion Mittlerer Osten wurden in den vergangenen fünf Jahren mehr Waffen verkauft als in den fünf Jahren zuvor. Auf Platz zwei im Ranking der größten Waffen-Produzenten. China. Inzwischen befinden sich vier chinesischen Konzerne unter den weltweit größten Rüstungskonzernen. Der tatsächliche Wert der Waffenverkäufe der gesamten chinesischen Rüstungsindustrie dürfte – so die SIPRI-Studie – insgesamt zwischen 70 und 80 Milliarden Dollar liegen. Tendenz steigend. Russland bleibt weiterhin drittgrößter Waffenhändler der Welt. Als umsatzstarker Rüstungsanbieter hat sich seit Jahren auch Frankreich etabliert und 72 Prozent mehr Kampfgerät exportiert als im vorherigen Fünfjahreszeitraum. USA, China, Russland und Frankreich sind das Spitzen-Quartett im globalen Waffen-Wahn.
Und Deutschland? Das Land gehört seit Jahren zu den wichtigsten Rüstungslieferanten – und damit zu den fünf Staaten, deren Exporte über drei Viertel des globalen Handels mit Kriegsgerät ausmachen. Die deutsche Bundesregierung spricht dennoch gern davon, eine »restriktive« Rüstungsexportpolitik zu betreiben. Doch so richtig passen will die Aussage nicht zu den offiziellen Zahlen. Auch deutsche Rüstungsexporte haben kräftig zugelegt. Der bisherige Höchststand aus dem Jahr 2015 wurde mit 7,95 Milliarden Euro für Rüstungsgüter knapp übertroffen. Genehmigt wurde die Ausfuhr von Kriegswaffen im Wert von etwa 2,6 Milliarden Euro und »sonstiger Rüstungsgüter« im Wert von knapp 5,4 Milliarden Euro.
Die Bundesregierung begründet die Waffenlieferungen, vor allem in sogenannte »Drittländer«, die weder der EU noch der NATO angehören, mit dem »strategischen Gleichgewicht« in Konflikt-Regionen. Und mehr ist dazu nicht zu erfahren, denn sobald es um Rüstungsexporte geht, zieht sich die Regierung auf angebliche Geheimhaltungspflichten zurück. Wer welche Waffen aus Deutschland bekommt, wird im Bundessicherheitsrat entschieden. Und der – das regelt nun einmal ein Gesetz – tagt und entscheidet »vertraulich«. Die Öffentlichkeit – also wir, die Bürgerinnen und Bürger – erfahren von den Beschlüssen meist erst nach erfolgter Lieferung. Den Umfang der Ausfuhren in Drittstaaten stuft die Regierung als »Verschlusssache« ein.
Wir lernen: Rüstungsgeschäfte haben viel mit Politik zu tun, mit strategischen, wirtschaftlichen Interessen. Die heimische Rüstungsindustrie kann zufrieden sein. Die Lobbyisten haben ihr Job ordentlich erledigt. Mit dem Segen der Politik. Deutsche Wertarbeit von Firmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann und Heckler & Koch ist weltweit gefragt. Auch wenn es sich bei den Begünstigten der zahlreichen Millionen-Deals mitunter um – freundlich formuliert – ziemlich undemokratische, autoritäre Regime handelt, in denen Menschenrechte nicht besonders geachtet werden. Die Geschäfte laufen glänzend. Für moralische Bedenken ist da kein Platz.
Und: Wir sollten hier nicht nur über U-Boote, Panzer und allerlei großes Gerät sprechen, sondern auch über sogenannte »Kleinwaffen«. Der Begriff klingt harmlos, beinahe niedlich. Dabei fallen diesen Waffen, verglichen mit schweren Waffen, weltweit die meisten Menschen zum Opfer. Und kaum ein anderes Mordswerkzeug lässt sich so leicht weiterverkaufen oder weiterschmuggeln. So ist es eine gängige und beliebte Autosuggestion der deutschen Rüstungsindustrie, dass deutsche Kleinwaffen nur an »zuverlässige Partner« geliefert würden und dass diese Partner die Waffen nur gegen böse Feinde von außen einsetzen, nie gegen die eigene Bevölkerung. Wie zweifelhaft diese Beteuerungen sind, zeigen Bilder aus Ägypten, Algerien oder Saudi-Arabien.
In den vergangenen zehn Jahren exportierte Deutschland Kriegswaffen im Gesamtwert von fast 17 Milliarden Euro, wie aus dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung hervorgeht. Und die Rüstungsindustrie setzt weiterhin auf Wachstum, neue Märkte, neue digitale Waffensysteme. Militärs und Verteidigungsexperten sind sich einig: Drohnen sind die Waffen der Zukunft.
Soldaten steuern per Joystick Tausende Kilometer vom Kriegsschauplatz entfernt die perfekten Tötungsmaschinen. Auf Kollateralschäden kann dabei nicht immer Rücksicht genommen werden. Sie fliegen lautlos, sie töten mit großer Präzision, und sie sind unschlagbar preiswert. Eine »Predator« beispielsweise kostet gerade mal fünf Millionen Dollar, ein Kampfflugzeug vom Typ »F-35 Lightning« schlägt dagegen mit mehr als 100 Millionen Dollar zu Buche. Drohnen sind also wahre Schnäppchen im Kampf gegen Terroristen und andere böse Mächte in der Welt. Ab 2028 wollen Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und womöglich weitere EU-Mitgliedstaaten auf die bewaffnungsfähige »Eurodrohne« umsatteln, die europäische Rüstungsfirmen unter Führung von Airbus bis dahin serienreif entwickelt haben wollen.
Ob Drohnen, Bomben, Raketen, diverses Kriegsgerät oder »Kleinwaffen« – die Welt rüstet weiter auf. Der Waffen-Wahn nimmt kein Ende. Schaffen Waffen Frieden und Stabilität? Kann ein »Gleichgewicht des Schreckens« Konfliktparteien tatsächlich zügeln und bewaffnete Gewaltanwendung verhindern, zumindest aber erheblich einschränken? Immer wieder begründen Staaten Waffenkauf und Waffenexporte damit, dass sie der regionalen und globalen Stabilität dienten. Aufrüsten als Abschreckungseffekt, der potenzielle Angreifer von einem Waffengang abhält und möglicherweise dazu veranlasst, in einen Dialog zu treten. Realistische Weltsicht oder frommer Wunsch?