Wer einen Hochschullehrer besonders schwer beleidigen und schädigen will, nennt ihn im Internet einen »Gehilfen antisemitischer Agitation«. Eben diese verleumderische Beschuldigung erhob die »Grüne Jugend München«, die für die Webseite eines lokalen Bündnisses verantwortlich zeichnet, gegen Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaft der Münchner Universität. Nun hat das Oberlandesgericht München der Grünen Jugend unter Androhung einer Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft von bis zu zwei Jahren Anfang Oktober verboten, dies weiterhin zu verbreiten. Das Gericht korrigierte damit eine Entscheidung des Münchner Landgerichts, das die Formulierung noch für zulässig erklärt hatte.
Insgesamt vier Behauptungen werden der Grünen Jugend untersagt, dazu gehört, dass nicht weiterverbreitet werden darf, Meyen unterstütze »mit großem persönlichem Einsatz antisemitische Bewegungen wie BDS«. Ziel der internationalen BDS-Bewegung (»Boycott, Divestment, Sanctions«) ist es, ähnlich wie beim Kampf zur Überwindung der rassistischen Politik im Apartheid-Südafrika, mit gewaltlosen Mitteln, einschließlich wirtschaftlichen Boykotts, ein Ende der Unterdrückung der Palästinenser zu erreichen. Nicht durchsetzen konnte sich Meyen gegen die Äußerung: »Jedoch muss er sich von uns den Vorwurf gefallen lassen, Antisemitismus zu tolerieren.« Das Oberlandesgericht begründete das u. a. damit, dass sich Meyen von Ken Jebsen interviewen ließ und Beiträge bei Rubikon veröffentlichte.
Die heftige Aggression, die in dem ehrverletzenden Angriff der Grünen Jugend und des Bündnisses mit dem eher irreführenden Namen »Linkes Bündnis gegen Antisemitismus« (LBGA) gegen Meyen zum Ausdruck kommt, basiert insbesondere auf dessen Unterstützung für eine Klage gegen die Stadt München, die ein Bürger der Stadt eingereicht hatte. Gestützt auf einen umstrittenen Ratsbeschluss vom 13.12.2017 verweigerte die Stadt diesem Veranstalter einen Saal für eine Podiumsdiskussion mit dem Titel »Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? Der Stadtratsbeschluss vom 13.12.2017 und seine Folgen«.
Dieser Stadtratsbeschluss – bisweilen auch BDS-Beschluss genannt – geht auf einen gemeinsamen Antrag von CSU und SPD zurück und wurde mehrheitlich auch von den Grünen unterstützt. Die Folgen sind weitreichend: Seither gibt es in München praktisch keine Veranstaltungen mehr, die die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik thematisieren. Der Stadtratsbeschluss untersagt jegliches »Befassen« mit BDS, deshalb werden städtische und städtisch geförderte Räume für Veranstaltungen verweigert. Es sei nicht zu verhindern, dass im Diskussionsteil auch die BDS-Bewegung zur Sprache kommen könne, heißt es zur Begründung.
Nach einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 17.11.2020 ist ein derartiger Beschluss rechtswidrig, weil damit die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzt werden (AZ 4B 19.1358). Weil die Stadt Revision beim Bundesverwaltungsgericht einlegte, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, namhafte Juristen halten es allerdings für wahrscheinlich, dass das sehr sorgfältig begründete VGH-Urteil bestätigt werden wird.
Die Grüne Jugend und ihre Bündnispartner verübeln Meyen außerdem, dass er den Nahost-Spezialisten und früheren taz-Korrespondenten Andreas Zumach zu einem Vortrag mit dem Titel »Israel, Palästina und die Grenzen des Sagbaren« in die Münchner Universität einlud (der außergewöhnliche Vortrag ist hier abrufbar: (https://www.youtube.com/watch?v=oTMKToXZr60).
Das Verhindern von Veranstaltungen durch den Stadtratsbeschluss zu BDS geht aber noch wesentlich weiter. Der israelische Professor Moshe Zuckermann etwa kann in München seit Jahren nicht einmal über Antisemitismus referieren, und der in der Stadt lebenden Jüdin Judith Bernstein, einer Tochter von Holocaust-Überlebenden, wird verwehrt, einen Vortrag über ihre Heimatstadt Jerusalem zu halten. Als ihr zusammen mit ihrem Mann Reiner Bernstein von der Humanistischen Union der Preis »Der aufrechte Gang« verliehen werden sollte, u.a. für ihren Einsatz für die Stolperstein-Initiative, wurde der Humanistischen Union ein Saal dafür im städtischen Gasteig verweigert. Stolpersteine sind in München als einziger größerer deutscher Stadt nicht zugelassen.
Ungewöhnlich und sehr bemerkenswert war auch die Berichterstattung der Süddeutsche Zeitung über das OLG-Urteil. Dem Beitrag war weder zu entnehmen, welche Hauptvorwürfe der Grünen Jugend und dem »Linken Bündnis« verboten wurden, noch dass bei Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro droht. Einer Reihe von Lesern fiel dieser Mangel auf, und als einer von ihnen dies in einem Leserbrief an die Süddeutsche beanstandete, lehnte das Blatt die Veröffentlichung ab. In der Antwort der Redaktion, aus der wir mit Zustimmung des Briefschreibers zitieren, heißt es, die Veröffentlichung des Leserbriefs scheitere »an exakt derselben Hürde, die wir bei der Berichterstattung zu beachten hatten: Wenn ein Vorwurf gerichtlich als unzulässig festgestellt ist, können wir ihn nicht als Zitat wiederholen, ohne das Delikt sozusagen noch einmal zu begehen. Wir beachten die verfassungsgemäße Zuständigkeit des unabhängigen Gerichtes und auch die vom Gericht festgestellte Rechtslage. Das gilt selbstverständlich auch für die Verbreitung in Leserbriefen, weil da sowohl Sie als Verfasser als auch wir als die Verbreiter in der Haftung wären.«
Diese Begründung ist absurd. Selbstverständlich ist es zulässig, dass Medien über Gerichtsurteile berichten, die die Verletzung von Persönlichkeitsrechten feststellen und unterbinden. Und ebenso selbstverständlich darf aus der Urteilsbegründung zitiert werden. Das ist aus guten Gründen gängige Praxis – und in rechtsstaatlicher und vorbeugender Hinsicht auch geboten. Kein Rechtsstaat kann darauf verzichten – ebenso wenig wie ein seriöses Informationsmedium.