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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Geldsegen vom Staat

Immer weni­ger Mit­glie­der, aber immer mehr Geld vom Staat – rund 594 Mil­lio­nen Euro an »Staats­lei­stun­gen« wer­den auch in die­sem Jahr den Kir­chen auf­grund von Rege­lun­gen aus dem 19. Jahr­hun­dert über­wie­sen. Dabei soll­ten die­se Zah­lun­gen schon vor 102 Jah­ren abge­schafft wer­den. Doch pas­siert ist bis­lang nichts.

Wenn man Men­schen – ganz gleich, ob gläu­big oder nicht gläu­big – ver­sucht, die soge­nann­ten »Staats­lei­stun­gen« zu erklä­ren, trifft man auf Kopf­schüt­teln. Kaum jemand weiß davon. Es geht dabei nicht um staat­li­che Zah­lun­gen, etwa für den Betrieb von Kin­der­gär­ten, Kran­ken­häu­sern, Pfle­ge- und Senio­ren­hei­men, die ohne­hin fast voll­stän­dig an Cari­tas oder Dia­ko­nie von öffent­li­chen Haus­hal­ten (also von allen Steu­er­zah­len) gelei­stet wer­den. Nein, die Kir­chen bekom­men das Geld als – salopp for­mu­liert – »Aus­gleich­zah­lun­gen« auf­grund der mit Beginn des 19. Jahr­hun­derts ein­set­zen­den Säku­la­ri­sa­ti­on. Zur Zeit der napo­leo­ni­schen Krie­ge wur­den die geist­li­chen Ter­ri­to­ri­en und Kir­chen­gü­ter des »Hei­li­gen Römi­schen Reichs« säku­la­ri­siert, das heißt, sie wur­den der Hoheit der welt­li­chen Lan­des­für­sten unter­stellt. Der Staat ver­pflich­te­te sich gegen­über den Kir­chen im Gegen­zug dazu, sie für ihre Ver­lu­ste zu ent­schä­di­gen und etwa den Unter­halt der Pfar­rer sicherzustellen.

Sowohl die Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung (1919) als auch das Grund­ge­setz (1949) ver­lang­ten bzw. ver­lan­gen, dass die­se Staats­lei­stun­gen been­det wer­den. Ein from­mer Wunsch. Kei­ne Regie­rung der letz­ten Jahr­zehn­te, gleich ob christ-, sozi­al­de­mo­kra­tisch oder rot-grün, sah hier Hand­lungs­be­darf. Die eher­ne Kom­pli­zen­schaft von Staat und Kir­che über­dau­er­te alle Regie­run­gen. Nun sind FDP und Grü­ne gemein­sam mit der SPD nicht mehr Oppo­si­ti­on, son­dern Regie­rung. Doch die Ampel schal­tet nicht um: Der Ent­wurf war­tet noch immer auf sei­ne Umset­zung. Ein andau­ern­der Verfassungsbruch.

Immer­hin: Im März 2020 hat­ten Bünd­nis 90/​Die Grü­nen, FDP und Die Lin­ke einen gemein­sa­men »Ent­wurf für ein Grund­sät­ze­ge­setz zur Ablö­sung der Staats­lei­stun­gen« in den Bun­des­tag ein­ge­bracht. Er sah vor, dass sich die Ablö­se­zah­lung am Bewer­tungs­ge­setz ori­en­tie­ren und auf das 18,6-Fache des jewei­li­gen Zah­lungs­be­tra­ges aus dem Jahr 2020 belau­fen soll­te. Zusätz­lich soll­ten 20 Jah­re lang die bis­he­ri­gen Staats­lei­stun­gen wei­ter­ge­zahlt wer­den. Mitt­ler­wei­le belau­fen sich die­se Zah­lun­gen, die von Bun­des­land zu Bun­des­land unter­schied­lich hoch sind, auf eine Gesamt­sum­me von nicht weni­ger als eine hal­be Mil­li­ar­de pro Jahr. Aus dem Geld aller Steu­er­zah­ler, ob reli­gi­ös oder nicht. Ins­ge­samt sol­len seit Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik auf die­sem Wege min­de­stens 19 Mil­li­ar­den Euro in die Kir­chen­kas­sen geflos­sen sein.

Auch in die­sem Jahr kön­nen sich die bei­den gro­ßen Kir­chen über einen staat­li­chen Geld­se­gen freu­en: Rund 594 Mil­lio­nen Euro wer­den in die Bun­des­län­der über­wie­sen. Davon ent­fal­len etwa 59 Pro­zent auf die evan­ge­li­sche und 41 Pro­zent auf die katho­li­sche Kir­che. Das sehen die Haus­halts­plä­ne der Bun­des­län­der (außer Bre­men und Ham­burg) vor, die die Huma­ni­sti­sche Uni­on (HU) seit Jah­ren aus­wer­tet. Die Zah­len­ga­ben beru­hen auf den Haus­halts­plä­nen der 14 Bun­des­län­der (Ham­burg und Bre­men zah­len als ehe­ma­li­ge Freie und Han­se­städ­te kei­ne Staats­lei­stun­gen an die Kirchen).

Die Gesamt­sum­me der Zah­lun­gen für das Jahr 2022 beläuft sich auf 594 Mio. Euro (594.017.50). Das ist gegen­über 2021 (581 Mio. Euro) ein Anstieg um 2,2 Pro­zent. Bei Annah­me der glei­chen Anstiegs­ra­te – die auf­grund der jähr­li­chen Anpas­sungs­klau­seln zu erwar­ten ist – wer­den die Staats­lei­stun­gen für 2023 die 600-Mio. Mar­ke über­stei­gen und schät­zungs­wei­se rund 607 Mio. Euro betragen.

Der aktu­el­le HU-Bericht ver­weist dar­auf, dass auch in die­sem Jahr bei den Haus­halts­be­ra­tun­gen »in kei­nem ein­zi­gen Bun­des­land die Abge­ord­ne­ten die Staats­lei­stun­gen ange­spro­chen, geschwei­ge denn kri­tisch dis­ku­tiert haben«. Auch nicht in den Län­dern, die – gemes­sen an ihrer Ein­woh­ner­zahl – extrem viel Geld für die bei­den Kir­chen vor­se­hen, wie zum Bei­spiel Sach­sen-Anhalt (40 Mil­lio­nen Euro), Rhein­land-Pfalz (66 Mil­lio­nen Euro), Thü­rin­gen (28 Mil­lio­nen Euro) oder Baden-Würt­tem­berg (137 Mil­lio­nen Euro).

Seit dem Inkraft­tre­ten des Grund­ge­set­zes erge­ben sich kumu­liert Zah­lun­gen der 14 Län­der von über 20 Mil­li­ar­den Euro. Hin­zu­kom­men Zah­lun­gen für »gesell­schaft­lich nütz­li­che sozia­le Akti­vi­tä­ten«. In Kran­ken­häu­sern, Schu­len, Kin­der­gär­ten, Pfle­ge­ein­rich­tun­gen oder beim Denk­mal­schutz wer­den die Kir­chen ohne­hin auf ande­re Wei­se nahe­zu voll­stän­dig öffent­lich finan­ziert und genie­ßen dar­über hin­aus umfang­rei­che Steu­er- und Abga­ben­pri­vi­le­gi­en. Auch auf das soli­de Finanz­pol­ster, das die gesetz­li­che Kir­chen­steu­er den Kir­chen ohne­hin garan­tiert, müs­sen sie zukünf­tig nicht ver­zich­ten. Allein im Jahr 2020 nahm die Katho­li­sche Kir­che rund 6,45 Mil­li­ar­den Euro und die Evan­ge­li­sche Kir­che etwa 5,63 Mil­li­ar­den Euro durch die Kir­chen­steu­er ein.

In Zei­ten, in denen die Mit­glie­der­zah­len der bei­den gro­ßen Kir­chen dra­ma­tisch zurück­ge­hen (im Jahr 2020 tra­ten rund 220.000 Per­so­nen aus der Evan­ge­li­schen Kir­che und ca. 221.000 Per­so­nen aus der Katho­li­schen Kir­che aus. Die­ser Trend hat sich auch 2021 fort­ge­setzt), sind die hor­ren­den staat­li­chen Zah­lun­gen kaum mehr zu vermitteln.

Tat­sa­che ist: Immer mehr Men­schen ent­schei­den sich für ein Leben in Kon­fes­si­ons­frei­heit. Vor 50 Jah­ren waren es in Deutsch­land unter vier Pro­zent, heu­te sind es über vier­zig Pro­zent. Ihnen ist nicht län­ger zuzu­mu­ten, wei­ter­hin die insti­tu­tio­nel­le För­de­rung exklu­siv mit jähr­li­chen Stei­ge­rungs­ra­ten aus all­ge­mei­nen Steu­er­mit­teln mit­zu­fi­nan­zie­ren. Die Ampel-Regie­rung soll­te den per­ma­nen­ten Ver­fas­sungs­bruch ein Ende zu setzen.

Hel­mut Ort­ner hat bis­lang mehr als zwan­zig Bücher, über­wie­gend poli­ti­sche Sach­bü­cher und Bio­gra­fien ver­öf­fent­licht. Zuletzt erschie­nen: »Wider­streit: Über Macht, Wahn und Wider­stand« sowie »Volk im Wahn – Hit­lers Deut­sche oder Die Gegen­wart der Ver­gan­gen­heit« (April 2022). Sei­ne Bücher wur­den bis­lang in 14 Spra­chen übersetzt.